© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/11 / 07. Oktober 2011

Große Hoffnung, kleine Wirkung
Zehn Jahre deutsches Engagement in Afghanistan: Trotz Milliardenausgaben und großem Personalaufwand hat sich die Situation am Hindukusch kaum gebessert
Curd-Torsten Weick

Das Ende der Trittbrettfahrerei ist erreicht. Deutschland gehört zum Konzert der großen Demokratien, ob es will oder nicht, und wenn eine dieser Demokratien beiseite steht, schadet sie unweigerlich nicht nur den anderen – sondern letztlich auch sich selbst.“

Zwar konnte Bundespräsident Roman Herzog im Jahr 1995 noch nicht ahnen, was Ende 2001 um Afghanistan geschehen würde, doch wies er seherisch den Weg. Knapp sechs Jahre später wurde es Realität. Infolge der Anschläge am 11. September 2001 bewies Deutschland seine „uneingeschränkte Solidarität“ und „drängte“ (Spiegel) sich den USA förmlich auf. Diese hatten am 7. Oktober ihren Krieg gegen den Terror in Afghanistan begonnen. Deutschland zog zwei Monate später nach. Am 22. Dezember erteilte der Bundestag das Mandat für die deutsche Beteiligung am Isaf-Einsatz auf Basis der UN-Resolution 1386.

Am 2. Januar 2002 traf daraufhin ein deutsches Vorauskommando in Kabul ein, und am 14. Januar 2002 beteiligten sich dann erstmals Bundeswehrsoldaten an Patrouillen in Kabul. Der Krieg in Afghanistan, der lange nicht beim Namen genannt werden durfte, hatte begonnen. Deutschland gehört seitdem zu den größten Truppenstellern, hat mit Übernahme des Kommandos über die Isaf-Kräfte im Norden des Landes an Verantwortung gewonnen, entsprechend peu à peu die Mannschaftsstärke der deutschen ISAF-Truppe erhöht und mußte seitdem 52 gefallene Soldaten beklagen.

Da das militärische Engagement über die Jahre in erster Linie für schlechte Nachrichten sorgte, versuchten sowohl die Regierung Schröder als auch die Regierung Merkel den Fokus auf den politischen Beitrag Deutschlands für Afghanistan zu richten. Fern jeder Trittbrettfahrerei setzte Berlin sich in puncto politischer Neuanfang und Wiederaufbau („Nation-Building“) an die Spitze. Ausdruck fand dies in der Ausrichtung der sogenannten Petersberg-Konferenz (27. November bis 5. Dezember 2001) in der Nähe von Bonn. Geschickt spielte die Regierung Schröder/Fischer die historische Karte des „ehrlichen Maklers“ Deutschland in Afghanistanfragen, die bis zum Ersten Weltkrieg (JF 23/07) zurückzuverfolgen ist.

Zwar betonte Außenminister Joseph Fischer (Die Grünen) bei seiner Eröffnungsrede den multilateralen Charakter der Veranstaltung, doch dessen Hinweis, gerade in der bilateralen Partnerschaft ein neues Kapitel aufschlagen zu wollen und die Beschwörung der „langen und positiven Geschichte“ der deutsch-afghanischen Beziehungen setzten Zeichen.

Deutschland übernahm als sogernannte lead nation die Führungsverantwortung bei der Polizeiausbildung, ließ aber auch keinen Zweifel daran, beim zivilen Aufbau eine führende Rolle zu übernehmen. „Sie können sich auf unsere Solidarität und Hilfe verlassen“, versprach Bundeskanzler Gerhard Schröder den afghanischen Vertetern auf der zweiten Petersberg-Konferenz (2. Dezember 2002) und Tagungsleiter Fischer sekundierte: „Es geht hier um nichts Geringeres als um den Kampf der zivilisierten Welt gegenüber dem internationalen Terrorismus.“

Das bilaterale Projekt „German Police Project Team“ (GPPT) begann. Seit April 2002 endsendet Deutschland Polizeibeamte zur Polizeiausbildung nach Afghanistan, parallel dazu seit 2007 zudem Experten für die „European Police Mission Afghanistan“ (Eupol AFG), deren Ziel der Aufbau der Kriminalpolizei in Afghanistan und die Korruptionsbekämpfung ist.

Die Situation war von Anfang nicht einfach. Mangelnde Bildung, wenig Respekt vor dem Polizeiberuf sind nur zwei Seiten der Medaille. Doch die Bundesregierung zeigt sich optimistisch. Obwohl das Land Brandenburg sich seit Februar 2010 nicht mehr an der Polizeiausbildung beteiligt (Begründung: in Afghanistan herrsche faktisch Krieg), sieht sie Fortschritte und will sich auch nach einem möglichen Abzug der Isaf-Truppen und über das geplante Ende der Polizeihilfe im Jahr 2014 hinaus durch Bereitstellung weiterer Polizisten und weiterer Finanzhilfen beteiligen.

Zwischen 2002 und 2010 wurden nach Angaben des Auswärtigen Amtes über 230 Millionen Euro für die Polizeihilfe aufgewandt. Für das Jahr 2011 wurden bereits 77 Millionen Euro bereitgestellt, und für die Zukunft drohen weitere Ausgaben, denn Berlin plant zur Unterstützung der avisierten Aufstockung der afghanischen Polizei, die Ausbildungsanstrengungen zu forcieren.

Doch die Zeit wird knapp. Während derzeit rund 5.350 Soldaten (stationiert im Vier-Monats-Rhythmus) und bis zu 260 deutsche Polizei- und Sicherheitsexperten ihren Dienst für die „Sicherheit unseres Landes“ (Bundeskanzlerin Angela Merkel) tun und auf ein baldiges Ende ihrer Mission hoffen, goß der ehemalige afghanische Wiederaufbauminister Amin Farhang Wasser in den Wein, indem er gegenüber der Mitteldeutschen Zeitung davor warnte, die Sicherheitsverantwortung wie geplant 2014 an die Afghanen zu übergeben. Ihm zufolge könnten Polizei und Armee auch zu diesem späten Zeitpunkt das Land „nicht unter Kontrolle halten“.

Zehn Jahre nach Beginn des Engagements in Afghanistan scheint kein Ende in Sicht, und die vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung errechneten 17 Milliarden Kosten für den bisherigen Einsatz werden noch steigen. Denn allein schon der Einsatz von knapp 2.000 Entwicklungshelfern im Dienst der Bundesregierung schlägt mit jährlich 430 Millionen Euro zu Buche.

Foto: Hehre Ausbildungswelten im August 2003: Die deutsche Polizeiausbilderin Isabelle Voßwinkel vom „German Project for Support of the Police in Afghanistan“ mit einer Gruppe afghanischer Polizei-Rekruten in Kabul

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