© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/11 / 07. Oktober 2011

Ein einzigartiger Geist
Studentenverbindungen: Das vorläufige Aus für das konservative Diskussionsforum „Tradition mit Zukunft“ reißt im Internet eine große Lücke
Nils Wegner

Ich bedaure diesen Entschluß zutiefst, bin aber überzeugt, daß der Grundgedanke dieses couleurstudentischen Netzwerkes auch bei Facebook & Co. weiterleben kann und wird.“ Mit diesen Worten machte Thilo Haas, Mitglied der Turnerschaften Tuisko und Hansea zu Hannover, in der vergangenen Woche den Entschluß bekannt, sein verbindungsstudentisches Internetforum „Tradition mit Zukunft“ einzustellen. Grund dafür sei vor allem der enorme Arbeitsaufwand, den das rein unentgeltliche Projekt ihm abverlange und zu dessen Bewältigung er sich nicht mehr in der Lage sehe (JF 40/11).

„Tradition mit Zukunft“, 2001 aus einem internen Forum des turnerschaftlichen Verbandes „Marburger Konvent“ hervorgegangen, entwickelte sich im Laufe seines zehnjährigen Bestehens zur größten deutschsprachigen Plattform für Verbindungsstudenten und ihr Brauchtum. Sie bot neben einer offen zugänglichen Suchfunktion, die sämtliche Korporationen in der Bundesrepublik, Österreich und der Schweiz sowie beispielsweise auch die chilenischen Burschenschaften erfaßte, unter anderem auch einen umfassenden Medienbereich mit unzähligen Berichten von und über Studentenverbindungen.

Das Herzstück von „Tramizu“, wie die Seite von ihren Nutzern liebevoll genannt wurde, bildete jedoch das umfangreiche Diskussionsforum. Zu jeder Tages- und Nachtzeit hochfrequentiert, stellte es nicht nur die in Internetforen üblichen Themen „Politik“ und „Kultur“ zur Diskussion, sondern verfügte auch naturgemäß über viele verbindungsspezifische Themen.

Einerseits verkehrten bei Tramizu viele Angehörige der verschiedenen studentenhistorischen Organisationen, so daß bei Fragen nach eventuellen Korporationszugehörigkeiten historisch bedeutsamer Personen, aber auch eigener Vorfahren stets Auskunft gewährleistet war. Andererseits wurden sämtliche Medienberichte über Studentenverbindungen bekanntgemacht und kontrovers diskutiert, so beispielsweise die Pressekampagnen gegen die Deutsche Burschenschaft im Verlaufe dieses Jahres.

Ein bemerkenswertes Detail war, daß bei „Tradition mit Zukunft“ stets unter Klarnamen und mit Verweis auf die Verbindungszugehörigkeit des jeweiligen Autoren geschrieben wurde. Dies diente einerseits als Sicherheitsvorkehrung, um jeden neuangemeldeten Nutzer durch Nachfrage bei seiner Korporation auf seine Authentizität hin überprüfen zu können. Außerdem jedoch stellte diese gegenüber „normalen“ Internetportalen mit ihren weitgehend anonymen Nutzerkonten außergewöhnliche Vorgehensweise sicher, daß die Grundsätze verbindungsstudentischen Umgangs miteinander auch im Internet gewahrt blieben. Angesichts der zuletzt rund 15.000 angemeldeten Mitglieder von über 2.000 Studentenverbindungen sämtlicher Verbände und Ausrichtungen konnte die Plattform wohl insbesondere aufgrund des sachlichen und höflichen Tonfalls der dort verfaßten Beiträge als einzigartig bezeichnet werden. In den zehn Jahren seines Bestehens wurden insgesamt etwa 1,5 Millionen Beiträge verfaßt.

„Tradition mit Zukunft“ war auch der Ausgangspunkt für die im Februar 2011 vom Convent Deutscher Akademikerverbände (CDA) vorgestellte Studie „Gewalt gegen Korporationen – Eine Dokumentation über das Jahr 2010“ des Historikers und Burschenschafters Frank Grobe. Die darin erfaßten, zumeist linksextremistischen Übergriffe auf Verbindungsstudenten und die Häuser ihrer Korporationen waren zum überwiegenden Teil zuerst in einem dafür vorgesehenen Unterabschnitt des „Tramizu“-Forums veröffentlicht und dokumentiert worden, ehe sie in die voluminöse Publikation des CDA übernommen wurden. Durch die Möglichkeit des internen Austauschs und die zusammengefaßte Verfügbarkeit unzähliger Meldungen über Angriffe gegen Korporationen stellte die Internetplattform das optimale Medium dar, um einen detaillierten Überblick hierzu zusammenzustellen – wichtig nicht zuletzt auch deswegen, weil Gewalt gegen Korporationen in den Medien wenig bis gar nicht präsent ist.

Neben aller fachlichen Bezogenheit auf das Verbindungsstudententum war die Leitmaxime von „Tradition mit Zukunft“ immer der interkorporative Austausch. Unzählbar dürften die Freundschaften sein, die im Internetforum ihren Ausgang nahmen und bei dort organisierten, feierlichen Zusammenkünften vertieft wurden. Auch für Praktika und Arbeitsgesuche fand sich dort eine lebhafte Börse, die nicht von den vielbeschrieenen „Seilschaften“ lebte, sondern von der Verbundenheit durch die gemeinsame, heutzutage wahrhaftig „alternative“ studentische Lebensart.

Mit „Tramizu“ hat die deutschsprachige Verbindungslandschaft ihr heimliches Zentrum verloren. Eifrig werden seit Bekanntwerden der Schließung die Möglichkeiten diskutiert, Nachfolger oder Ableger zu schaffen, um den bunten Diskussionsreigen so bald wie möglich wiederaufleben zu lassen.

Doch scheinen die von Thilo Haas selbst vorgeschlagenen Alternativen wie „Facebook & Co.“ allesamt unvermögend, den einzigartigen Geist des alten Projektes in sich aufzunehmen. Einzelne Engagierte arbeiten jedoch bereits fieberhaft gemeinsam daran, „Tradition mit Zukunft“ in neuem Gewand bald wieder ans Netz gehen zu lassen: „Wir werden ein neues System aufsetzen müssen. Ich gehe aber davon aus, daß wir bald wieder online sind. Solange werden die Kontakte über andere soziale Netzwerke gehalten. Tramizu kommt wieder!“ bekräftigt Sascha Rasmussen (Turnerschaft Berlin zu Berlin), der vom ehemaligen Betreiber mit der Fortführung seiner Arbeit betraut worden ist.

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