© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/11 / 07. Oktober 2011

Der Weg ins Fiasko
Zehn Jahre nach Beginn des Afghanistankrieges fällt die deutsche Bilanz verheerend aus
Thorsten Hinz

Nach zehn Jahren Krieg in Afghanistan fällt die deutsche Bilanz verheerend aus. Über fünfzig Bundeswehrsoldaten sind gefallen, Hunderte, wenn nicht Tausende, sind an Körper und Seele verwundet. Die finanziellen Kosten betragen laut dem Wirtschaftsforschungsinstitut DIW über 17 Milliarden Euro.

Dazu kommen die politischen Schäden. Die Nato muß die aufständischen Taliban, die sich als unbesiegbar erwiesen haben, als Verhandlungspartner anerkennen. Nebenbei hat Deutschland sich mit einem Volk verfeindet, das viel Sympathien für uns gehegt hatte. Die deutsche Beteiligung am „Antiterrorkampf“ wurde als „humanitärer Einsatz“ verkauft: Die Widerlegung dieses hanebüchenen Konzepts hat die Bundesrepublik zum Gespött in der Welt gemacht.

Warum das alles? Den Anlaß gab der 11. September 2001. Kanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte damals das richtige Gefühl, daß er den Vereinigten Staaten von Amerika, die sich im Ausnahmezustand befanden, solidarisch zur Seite treten mußte. Doch maßlos ergriffen von der Bedeutsamkeit des Augenblicks, verkündete er eine „uneingeschränkte Solidarität“. Selbst diese unkluge und undiplomatische Formel verpflichtete ihn noch nicht zum Krieg. Wie der Spiegel, gestützt auf Akten und Depeschen der Bundesregierung, kürzlich nachwies, hatten die Amerikaner von Deutschland auch gar keinen militärischen Einsatz verlangt. Die rot-grüne Bundesregierung hatte selber darauf gedrängt! Der 11. September, die terroristischen Anschläge in Amerika waren nur der Anlaß, nicht der Grund für den Einatz.

Der liegt im weitesten Sinne in der Unsicherheit, von der die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik nach der Wiedervereinigung erfaßt wurde. Vier Jahrzehnte lang hatte sie jeglichen Machtgedanken von sich gewiesen und auf militärische Mittel verzichtet. Ihre außenpolitischen Aufgaben waren überschaubar, wenngleich schwierig: Sie mußte das westliche Bündnis festigen und – wegen der exponierten Lage Deutschlands – zugleich die Spannungen zum Ostblock abzubauen versuchen. Drittens mußte sie die deutsche Frage politisch offenhalten und die Folgen der Teilung lindern. Diese Agenda hatte sich mit der Wiedervereinigung erfüllt beziehungsweise erschöpft. Eine außenpolitische Tradition, an der das erneut zur europäischen Zentralmacht aufgestiegene Deutschland anküpfen konnte, ließ sich daraus nicht ableiten. Die Diskussionen, die anläßlich des Golfkriegs von 1990 bis 1991 sowie später über die Nato-Intervention in Jugoslawien stattfanden, waren moralisierender, nicht politischer Natur: Sie drehten sich um die Frage, ob man trotz oder wegen Hitler mitmachen solle oder müsse – oder lieber nicht.

1998 zog der außenpolitisch unerfahrene Gerhard Schröder als Chef einer rot-grünen Koalition ins Kanzleramt ein. Er hatte immerhin begriffen, daß eine Aufgabe und Chance seiner Kanzlerschaft darin lag, dem vereinten Deutschland außenpolitische Kontur zu verleihen – und daß die Deutschen und die Welt darauf warteten. Der Medienprofi Schröder sprach mit sonorer Stimme von der Souveränität Deutschlands, seiner internationalen Verantwortung, sogar von deutschen Interessen. Nur fehlte es ihm an historischer Bildung und an den Mitteln, um im Namen Deutschlands die entscheidenden Fragen aufzuwerfen und zu beantworten: Wer bin ich? Welche politischen Grundtatsachen sind bestimmend für mich? Wer ist Freund, wer Feind? Was sind folglich meine Interessen? Und wie mache ich sie geltend?

Schröder und sein grüner Außenminister Joschka Fischer, für den Deutschland erklärtermaßen ein „Risiko“, kein Objekt hegender Sorge darstellte, wollten den unterschiedlichen Erwartungen im In- und Ausland mit einer großen Erzählung und deren praktischem Nachweis gerecht werden: mit dem „humanitären Einsatz“ in Afghanistan, der Deutschland zudem in die Lage versetzte, die 1945 empfangene Segnung seiner „Befreiung“ weiterzureichen.

Vordergründig wurden mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Deutschland demonstrierte seine Souveränität, indem es in einer fernen Weltgegend militärisch intervenierte. Allerdings nicht für ein egoistisch-nationales, sondern für ein allgemein-menschheitliches Ziel. Und außerdem sollte der Einsatz nicht eigentlich militärisch, sondern karitativ und „zivilgesellschaftlich“ angelegt sein. Eine Außen- und Sicherheitspolitik neuen Typs sozusagen. Also war weniger von Krieg, strategischen Interessen, kulturellen Differenzen und religiösen Prägungen die Rede als von afghanischen Frauen, die ihren Schleier ablegen konnten, oder von Mädchen, die dank der Bundeswehrpräsenz zur Schule gehen konnten. Doch wie viele abgelegte Schleier wiegen das abgerissene Bein eines Bundeswehrsoldaten auf? Wie viele afghanische Studentinnen sind wie viele tote Deutsche wert? Solche Grenzfragen finden in der hypermoralisierenden Betrachtung von Problemen, die politischer und miltärischer Natur sind, keinen Platz. Doch irgendwer muß für die Differenz zwischen Realität und Moralismus ja einstehen.

Lange wurde den toten Bundeswehrangehörigen der Ehrentitel eines „Gefallenen“ verweigert. In der Kundus-Affäre um den Oberst Georg Klein, der gegen die Entführer eines Tanklastzuges Bomber angefordert und so den Tod zahlreicher Zivilisten ausgelöst hatte, gewann man den Eindruck, daß der Tod einer gleichen Anzahl von Bundeswehrsoldaten für die ahnungslosen Aufklärer in Deutschland die anständigere Lösung gewesen wäre.

Am 20. Juli 2008 sagte Altkanzler Helmut Schmidt beim Rekrutengelöbnis vor dem Reichstag an die „lieben jungen Soldaten“ gerichtet: „Ihr könnt euch darauf verlassen: Dieser Staat wird euch nicht mißbrauchen.“ Was ist der unausgegorene Afghanistan-Einsatz anderes als der Mißbrauch von Landeskindern?

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen