© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/11 / 30. September 2011

Angst um August
Dresdner Wahrzeichen entwaffnet und entzahnt
Paul Leonhard

Wild bäumt sich das Roß auf. Doch der in einen Schuppenharnisch gekleidete Reiter hat seinen Lipizzanerhengst fest im Griff. August der Starke, Kurfürst von Sachsen und König von Polen, hat gerade sein Residenzschloß verlassen, die Elbe gequert und ist in nordöstlicher Richtung unterwegs: nach Polen. Sachsens Cäsar erobert Warschau und Krakau.

In dieser Situation hat der Hofbildhauer Jean-Joseph Vinache den Wettiner festgehalten und der Kunstschmied Ludwig Wiedemann das Standbild in zwei Millimeter dünnes Kupferblech getrieben und feuervergoldet. Zwei Jahre, von 1732 bis 1734, dauerten die Arbeiten. Erst Ende 1736 wurde das Denkmal am Neustädter Markt in Dresden enthüllt. Da war der König schon drei Jahre tot.

Aber die Verehrung der Dresdner ist geblieben. Respekt vor der Königlichen Hoheit hatten selbst die Kommunisten. Sie ließen das 1944 aus Sicherheitsgründen zerlegte und im Winterhafen der Weißen Flotte eingelagerte Reiterstandbild Anfang der 1950er Jahre vom Bildhauer Walter Flemming restaurieren und wieder zusammensetzen. Anläßlich der 750-Jahrfeier Dresdens wurde der Goldene Reiter wieder an seinem ursprünglichen Standort inmitten einer Ruinenlandschaft aufgestellt.

Der Respekt ist verlorengegangen. Das bekannteste Dresdner Wahrzeichen ist nicht mehr sicher. Es begann in diesem Jahr an einem Sonntagmorgen Mitte Juli. Ein Anwohner, Hans-Jörg Schwabl, erwischte zufällig vier junge Männer, die auf das Denkmal geklettert waren, das Schwert des Reiters abbrachen und mitnahmen. Die Polizei stellte die 20 bis 22 Jahre alten Täter. Der entstandene Schaden wurde auf mehrere tausend Euro geschätzt. Allein die Wiederbewaffung des Reiters mit dem Schwert, die Anfang September erfolgte, kostete 9.500 Euro.

Die Schändung auf die Spitze trieb jedoch ein angehender Künstler, der seine Unreife sogar auf Video festhalten ließ. Marcel Walldorf, Student der Dresdner Hochschule für Bildende Künste, kletterte alkoholisiert auf das Denkmal, um neben dem starken August Platz zu nehmen. Ein Freund hielt die „Performance“ mit der Kamera seines Handys fest. Einem der steinernen Löwen, die den Denkmalsockel zieren, brach Walldorf alle Eckzähne aus. Zwei davon fand die Polizei in seinen Taschen.

Walldorf, der sich inzwischen für seine Tat entschuldigt hat, hatte Anfang des Jahres mit seiner in der Kunsthochschule ausgestellten lebensgroßen Skulptur der urinierenden Polizistin „Petra“ für Schlagzeilen gesorgt. Einige ältere „Objekte“ Walldorfs wie ein Kuhfladen in Waffelform (2008) sind ähnlich provokant: Eine Videoinstallation aus dem Jahre 2007 besteht beispielsweise aus „fünf synchronabgespielten Videoclips auf jeweils fünf Fernsehmonitoren“, die „jeweils fünf sich synchrondrehende Damen“ zeigen, „die sich jeweils synchronlaufenlassend in ihre Hosen pinkeln“.Untermalt durch „eine herzerweichende Spieluhrmelodie“.

Jetzt sind die Dresdner in Sorge. Sie fürchten weitere Attacken auf ihr Heiligtum und diskutieren die Zukunft des Goldenen Reiters. Während die Experten der Firma Fuchs + Girke die Schäden beheben, beraten Denkmalschützer und Polizei über einen besseren Schutz. Im Gespräch sind ein Zaun und Videoüberwachung. Ein Teil der Dresdner will das Denkmal gar durch eine Kopie ersetzen und das Original in einem Museum ausstellen. Ähnliches haben die Römer mit der Statue des römischen Kaisers Mark Aurel gemacht. Die Mehrheit setzt aber auf öffentliche Abschreckung und wünscht eine harte Bestrafung des Täters. August der Starke soll wieder unbehelligt am Elbufer thronen.

Foto: Das Reiterbild Augusts des Starken in der sächsischen Landeshauptstadt: Halbstarke rücken ihm zu Leibe

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