© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/11 / 30. September 2011

Der Pixel-Wahn
Das Persönlichkeitsrecht wird zu oft gegen die Pressefreiheit ausgespielt / Eine Streitschrift
Ronald Berthold

Was früher der schwarze Balken war, sind heute die Pixel. Wenn es mehr oder sogar weniger interessant wird, kommen die Körner, die einen Bildausschnitt unscharf machen. Ob Gesichter, Auto-Nummernschilder oder sogar Hausfassaden – im Zweifel machen Journalisten heute vieles unkenntlich, was vor Jahren noch auf Fotos gezeigt worden wäre.

Die auf Presserecht spezialisierten Rechtsanwaltskanzleien und die Angst der Verlage vor einem kostspieligen Fehler sorgen inzwischen für übervorsichtige Bild-Veröffentlichungen. Und das in einer Zeit, in der Printmedien wie nie zuvor auf Optiken setzen. Setzen müssen.

Denn gegen die Fotostrecken im Internet haben Tages- und Wochenzeitungen kaum eine Chance. Dennoch sollen die Leser mit Bildern bei der Stange gehalten werden. Es ist ein Wettlauf, der durch eine teilweise absurde Pixelmania zum Hindernisrennen wird.

Es fehlt – wie bei der zunehmend einseitigen und hysterischen inhaltlichen Berichterstattung – auch bei der optischen das gesunde Maß. Daß es gute Gründe gibt, Menschen auf Bildern unkenntlich zu machen, steht außer Frage. Das Konterfei eines Verbrechensopfers hat nichts auf der Titelseite verloren, wenn es das nicht wünscht. Und erst recht kein Kind.

Aber muß es wirklich sein, Schüler in einer Reportage über Unterrichtsausfall zu pixeln? Zeitungsgeschäft ist hektisch und eilig. Der Journalist wird in die Schule eingeladen, um zu berichten, kann aber die Einwilligung aller Eltern für eine Veröffentlichung nicht einholen. Bevor sich der Verlag einer Klage aufgeregter Muttis und Vatis einhandelt, verzichtet er lieber auf das Zeigen jener Gesichter. Er pixelt. Folge: Schon völlig harmlose Berichte wirken heute wie Bilder von Kriminellen und deren Umfeld früher.

Was ist eigentlich so schlimm daran, Kinder mit ihrer Lehrerin in der Zeitung zu zeigen? Ein Risiko für die Kleinen oder gar ein Schaden sind nicht ersichtlich. Früher wäre die Verwandtschaft stolz gewesen und hätte das Blatt mit dem Artikel überall herumgezeigt. Heute flattert dem Verlag in vielen Fällen eine Unterlassungserklärung und eine Forderung nach Geldentschädigung ins Haus.

Ohne Frage: Wer – ob politisch oder gesellschaftlich – in einem falschen Zusammenhang gezeigt wird, muß in einer politisch korrekten Welt mit unerwünschten Konsequenzen rechnen. Daher ist das Recht am eigenen Bild wichtig. Aber es bekommt eine Dimension, die das Abbilden der Wirklichkeit erschwert. Gerade dies ist aber die originäre Aufgabe eines Mediums. Daher stammt der Begriff. Er bedeutet „Mittler“ – Mittler zwischen dem Ereignis in Wort und Bild und dem Leser.

Begonnen hat die verschärfte Problematik mit dem sogenannten Caroline-Urteil. Die Prinzessin von Monaco hatte sich durch alle Instanzen bis hoch zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen die Veröffentlichung von Bildern aus ihrem Privatleben geklagt – und 2004 recht sowie eine dicke Geldentschädigung bekommen. Bis dato galten Politiker, Showstars und Monarchen presserechtlich als „absolute Personen der Zeitgeschichte“, von denen jederzeit Fotos geschossen und gedruckt werden durften.

Anders liegt der Fall des vorgeblichen Vergewaltigungsopfers von Jörg Kachelmann. Die Frau wurde während der gesamten Prozeßdauer nicht namentlich genannt und höchstens verpixelt gezeigt. Und das völlig zu Recht. Daß sie nach ihrer Niederlage gegen Bares für die Bunte posierte, ist ebenfalls ihr gutes Recht. Um solche Fälle darf es – trotz des hier offensichtlichen Mißbrauchs des Persönlichkeitsrechtes – bei der Debatte um die informelle Selbstbestimmung nicht gehen.

Vielmehr dagegen schon um jene Absurditäten, die sich zum Beispiel bei Ratiopharm zutrugen. Als der Arzneimittelhersteller Kunden und Journalisten zum „Tag der offenen Tür“ lud, berichtete das Manager Magazin über den PR-Termin. In dem Artikel veröffentlichten die Wirtschaftsredakteure auch ein Bild von Unternehmenschef Ludwig Merckle. Der klagte dagegen und obsiegte.

Der Wahnsinn geht weiter. Seit einem Jahr sind nun sogar Gebäude verpixelt. Ein Mieter kann von Google verlangen, daß im Online-Dienst Street View das Haus unkenntlich gemacht wird, in dem er wohnt. Sollte der Vermieter anderer Meinung sein und der Bäcker im Erdgeschoß aus Werbezwecken sogar eine Darstellung der Fassade ausdrücklich wünschen, setzt sich der skeptische Mieter durch. Es lebe der Datenschutz! Doch welche Daten werden eigentlich geschützt, wenn ein Haus nicht im Internet gezeigt wird?

Um Orte für ein Verbrechen auszukundschaften, können Kriminelle immer noch persönlich vorbeischauen – da nutzt der stärkste Pixel nichts. Die Frage lautet vielmehr, wann der erste Mieter dagegen klagt, daß sein Haus in der Zeitung gezeigt wird. Eine gruselige, aber durchaus nicht unrealistische Vorstellung: Verpixelte Menschen vor verpixelten Gebäuden.

 

Fakten über das Recht am eigenen Bild

Das Kunsturheberrecht besagt in Paragraph 22: „Bildnisse dürfen nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden.“ Ausnahme: Die abgebildete Person war einverstanden, hat gar ein Honorar erhalten. Weitere Ausnahme:

Personen der Zeitgeschichte. Je größer die „Bedeutung“ einer Person, desto eher sind Bildveröffentlichungen zulässig. Im Streitfall urteilen Gerichte.

Auf der anderen Seite ist der Schutz von Opfern von Verbrechen oder Minderjährigen um so ausgeprägter. Ihre Bilder zu veröffentlichen ist nicht zulässig. Auf seiner jüngsten Sitzung Mitte September hat sich der Deutsche Presserat mit mehreren Fotoveröffentlichungen auseinandersetzen müssen. So erhielt Bild eine nicht-öffentliche Rüge für die Veröffentlichung eines Fotos von einem Mädchen, das bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Die Veröffentlichung des Bildes habe einen schweren Verstoß gegen die Persönlichkeitsrechte des Mädchens dargestellt, so der Presserat, der allgemein eine steigende Zahl von Einsprüchen gegen Fotoveröffentlichungen registriert.

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