© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/11 / 30. September 2011

Retten, was zu retten ist
Nachbetrachtung zum Papst-Besuch: Das nationale Selbstverständnis der Deutschen hat sich im Widerstand gegen Rom entwickelt
Karlheinz Weissmann

Der Papst hat seinen Deutschlandbesuch beendet und ist von Freiburg nach Rom zurückgekehrt. Im einen oder anderen Kommentar wurde darauf hingewiesen, daß das umliegende Breisgau und das alte Vorderösterreich überhaupt zwar katholisches Terrain sind, aber eine besondere Prägung haben durch die Einflüsse eines nichts weniger als kirchenfreundlichen Absolutismus der josefinischen Zeit. Aber so kritisch die Nachfragen „kritischer“ Katholiken bei den letzten Begegnungen im Südwesten auch waren, der Papst durfte sich dort eher zu Hause fühlen als in den Regionen, die er zuvor besuchte, das gilt für das gottlose Berlin genauso wie für Mitteldeutschland.

Nach allgemeiner Überzeugung hat Benedikt XVI. bei seinem Auftritt im Deutschen Bundestag und bei der Begegnung mit den hohen und höchsten Repräsentanten der Republik Eindruck gemacht, selbst bei vielen, die ihm feindselig gegenüberstanden. Klugheit und Verbindlichkeit im Ton gehören ohne Zweifel zum Stil des Pontifikats Benedikts XVI., was doch einigermaßen überrascht bei einem Mann, der als Leiter der Glaubenskongregation für die Schärfe und Härte seines Urteils bekannt war.

Von einer irenischen Tendenz ist aber keine Rede, was vor allem deutlich wurde in der Begegnung des Papstes mit den Vertretern der evangelischen Kirche. Zu denen darf man schon die thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) zählen, eine ehemalige Gemeindepastorin, die ihn in Erfurt begrüßte; das gilt aber erst recht für die Ratsmitglieder der EKD, die er im Augustinerkloster traf. Der Ort ist unlöslich mit dem Namen Martin Luthers verbunden, der seine Zeit als Mönch dort verbrachte. Man kann ihn repräsentativ nehmen für die Kernlandschaft der Reformation, jene sächsischen und thüringischen Gebiete, in denen sich während der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die neue Lehre zuerst verbreitet hat, und die ihrerseits dem Evangelischen eine bestimmte Färbung gegeben haben.

Erfurt, Wittenberg, Leipzig, Eisenach, die Wartburg sind jedenfalls Orte, die unlöslich mit der Geschichte des deutschen Protestantismus verbunden sind. Sie sind darüber hinaus Teil einer Region, von der die deutsche Reichsbildung im Mittelalter ausgegangen ist, und sie gehören zu jenem Germanien jenseits des Limes, das niemals romanisiert wurde.

Man hat diesem Sachverhalt früher große Bedeutung beigemessen und zwischen Arminius und Luther oder zwischen Arminius, Widukind, Heinrich I., Luther, Friedrich dem Großen und Bismarck eine Verbindung hergestellt, in der es immer darum ging, daß das nationale Selbstverständnis der Deutschen nicht wie das der anderen großen Völker des Abendlands – Spanier, Portugiesen, Italiener, Franzosen, Engländer – selbstverständlich vom lateinischen Erbe geprägt war, sondern davon, daß sich die Identität der Gemeinschaft auch und gerade im Widerstand gegen alles, was als „römisch“ galt, entwickelt hatte.

Dieses Sonderbewußtsein wurde im 19. und 20. Jahrhundert teilweise so forciert, daß es in der Gegenwart ganz diskreditiert erscheint. Aber man sollte sich doch nicht davon abhalten lassen, ihm jenes Maß an Ursache zuzubilligen, das es zweifelsohne hat. Denn auch auf der Gegenseite sprach man vom „ewigen Protestantismus“ der Deutschen – der Russe Dostojewski genauso wie der Franzose Maurras –, und von Benedikt XV., dem Namensvorgänger des heutigen Papstes, wird behauptet, er habe bei Ende des Ersten Weltkriegs gesagt: „Luther hat den Krieg verloren.“

Vielleicht ist Benedikt XVI. diese Auffassung nicht fremd, dürfte die Vermutung, daß seine Geringschätzung der Moderne und seine Weigerung, die Annäherung an die Evangelischen (anders als an die Orthodoxen) voranzutreiben auch darauf beruhen, daß er die Reformation als Teil, wenn nicht als Ursache jenes Verfallsprozesses betrachtet, in dessen Endstadium wir heute stehen. Jedenfalls weiß der Papst um die Schwäche der evangelischen Position. Die spiegelte sich auch in dem physiognomischen Eindruck wider, den man aufgrund der Bilder von der Begegnung zwischen den führenden Vertretern des Protestantismus, irgendwie blassen und austauschbar wirkenden Alltagsfiguren, und dem ruhigen Selbstbewußtsein des Pontifex gewann.

Wahrscheinlich hatte das seine Ursache auch in der Erwartung des Triumphs, der ihn bei der Vesper in Etzelsbach erwartete. Der Wallfahrtsort besitzt zentrale Bedeutung für das Eichsfeld, jene Übergangslandschaft zwischen Niedersachsen und Thüringen, deren tief katholische Prägung den Kultur- wie den Kirchenkampf und die Unterdrückung in der DDR überstand und auch den Kräften der Säkularisierung Widerstand zu leisten scheint. Das Eichsfeld ist die Ausnahme von jener oben aufgestellten Regel, denn der Katholizismus dort hat zwar zu tun mit der Verbindung zum Erzbistum Mainz, die über Jahrhunderte bestand, aber unbeschadet dessen liegt es jenseits der Limeslinie. Die Menschen sind ihren protestantischen oder heidnischen Nachbarn in vielem ähnlich, abgesehen von bestimmten, mit einer typischen – von den anderen oft als Rückständigkeit bespöttelten – Zähigkeit festgehaltenen Sitten und jener „Schwärze“, die längst zum Kollektivcharakter gehört.

Hier ist der Vorgang nicht zu beobachten, in dem Gott aus der Gesellschaft verschwindet und den Benedikt XVI. als das eigentliche Übel der Gegenwart betrachtet. Und das verdankt man nicht irgendwelchen Referenzen an den Geist der Zeit, sondern jener Geschlossenheit und Einheit, deren Bedeutung der Papst vergangenen Sonntag kurz vor seinem Abflug nach Rom in seiner letzten Ansprache hervorhob und von der er zu recht meint, daß sie die entscheidende Voraussetzung darstellt, um für die Zukunft zu retten, was zu retten ist.

www.papst-in-deutschland.de

Foto: Papst Benedikt XVI. verläßt am 25. September 2011 das Konzerthaus in Freiburg im Breisgau: Geringschätzung der Moderne

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