© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/11 / 30. September 2011

Pankraz,
die Piraten und das Burn-out im Internet

Parallelität des Entgegengesetzten. Zur selben Zeit, da die erste „Internetpartei“, also die Piratenpartei, zu parlamentarischen Weihen gelangt und nun eine „wahrhaft freie und transparente“, nämlich am Internet orientierte Politik in Aussicht stellt, wird dieses Internet als politischer Versager ohnegleichen vorgeführt, und zwar nicht von äußeren, „reaktionären“ Kräften, sondern von den leidenschaftlichsten Internet-Einwohnern selbst, von prominenten Bloggern, „Netzwerkern“ und „Social Media“- Spezialisten. Es wimmelt zur Zeit von Einträgen, die die völlige kommunikative Pleite des Internets signalisieren und ihm jede politische Seriosität absprechen.

Das politisierende Bloggerwesen und die ganze angeschlossene Netzwerkerei, heißt es, dienten ausschließlich zur Selbstbefriedigung einiger weniger Aktivisten und seien zudem bereits „völlig niedergebrannt“. Man spricht vom „Burn-out“ der Bloggerszene und konstatiert eine „Abwanderung gerade der Besten in die Altmedien“. Niggemeier gehe zum Spiegel, klagt einer, „Lobo sitzt in den Talkshows, Sixtus arbeitet fürs ZDF. Lübberding & Strobl docken bei der FAZ an, (…) Weissgarnix ist grußlos aus dem Netz verschwunden, und bei Basic Thinking stehen gerade Los Todeswochos auf dem Programm.“

Miriam Meckel, die bekannte Burn-out-Forscherin, hat sich ebenfalls gemeldet und deutet die Bloggerpleite als Moment und Vorausabteilung einer allgemeinen Entmenschlichung und Ich-Abschaffung, die ihrer Meinung nach das Internet insgesamt über uns bringen wird. Das Internet summiert ja die Themen, die angeklickt werden, bei großer Klickzahl zu sogenannten „Algorithmen“, also zu Nutzerempfehlungen und regelrechten Handlungsanleitungen, und so gewinnt es, glaubt Meckel, allmählich totale Macht über unser Denken und Handeln. Wir danken als Individuen angeblich ab zugunsten des Roboters Internet.

Diese Art von Schwarzseherei hält Pankraz freilich für reine Science-ficton. Natürlich gibt es in Industrie und Verwaltung längst Entscheidungsbereiche, wo uns der Computer die Arbeit abgenommen hat. Die Boden-Stewardeß der Lufthansa etwa organisiert nicht mehr selbst die Plätze an Bord , sie bedient nur noch einen Computer, der intern ein Programm verwaltet. Der Pilot im Cockpit nimmt nicht mehr mit dem Sextanten selbst die Ortsbestimmung vor, sondern verläßt sich voll auf das computerisierte Trägheits-Navigationssystem. Aber mit „geistiger Abdankung des Menschen“ hat all das nicht das geringste zu tun.

Und genauso verhält es sich mit den Algorithmen im Internet. Kein Nutzer wird dazu gezwungen, sich ihnen anzuschließen, es ist eine Angelegenheit der freien Entscheidung. Das Internet ist ein Instrument des lebendigen menschlichen Geistes und wird es bleiben. Es kann einem viele mechanische oder auch logisch-mathematische Operationen abnehmen, so wie der Flughafen-Computer der Stewardeß und der Bord-Computer dem Piloten so manches abnehmen. Doch ihm gegenüber abdanken werden – man muß es leider so grob sagen – nur Dummköpfe, faule Bequemlichkeitsfanatiker und gelangweilte Nichtstuer.

Was aber die Politik betrifft, so verhält es sich damit folgendermaßen: Das Internet gewinnt seine Algorithmen aus der Vielzahl der Klicks, es ist stets die große Zahl, welche hier den Ausschlag gibt, die pure Quantität, welche mit der Qualität keineswegs von vornherein im Bunde stehen muß. Wer Politik macht, indem er stur der großen Zahl folgt, mag sich für einen lupenreinen Demokraten halten – ob er auch gute oder zumindest akzeptable Politik macht, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Herkömmliche Volksentscheide sind viel besser als blindes Sichorientieren an Algorithmnen des Internets. Volksentscheide sind konkreter, wirklichkeitshaltiger und, nicht zuletzt, auch viel transparenter, können weniger leicht manipuliert werden als Internet-Algorithmen. Die Strategen der Piratenpartei sollten sich nicht täuschen: Die Ausbreitung ihres geliebten Internets wird keinen Schub in Richtung mehr bürgerliche Freiheiten mit sich bringen, sondern einen Schub in Richtung mehr Schummelei und Gängelei.

Ihre Rückseite ist letztlich die totale Offenlegung des Inneren der Netznutzer. Mit jedem Touchscreen, mit jedem Link machen wir einen Teil unseres Inneren gleichsam weltweit öffentlich und verfügbar, und es wäre völlig geschichtswidrig zu glauben, daß sich niemand finden wird, der diese Situation für schnöde Geld- und Machtspiele auszunutzen versucht.Der Prozeß ist schon im vollen Gange. Es wachsen via Internet neue Überwachungs- und Gängelei-Instanzen heran, im Vergleich zu denen jedes Stasi-Regime wie ein harmloser Schrebergarten wirken würde.

Aber vielleicht ist die Angst vor neuartiger Überwachung und Gängelei auch übertrieben und voreilig, vielleicht erledigt sich die ganze gegenwärtige Internethuberei durch die Ohnmacht ihrer Exekutoren von selbst? Wie schreibt der in der Szene nicht unbekannte Blogger Wolfgang Michael? „Mancher Community-Manager stellt sich die Frage, ob er sich mit konstruierten Identitäten und anonymen Zeitgenossen wirklich die Zeit vertreiben will. Was bringt es, wenn das eigene Tun so gar keinem Zweck mehr dient, sondern als Endlosschleife nur dafür sorgt, daß man nicht irrtümlich für tot erklärt wird?“

Es klingt wie das bekannte Pfeifen im Wald, wenn Michael am Ende seiner kritischen Intenet-Bilanz dann geradezu emphatisch ausruft: „Stimmt es also, wenn Anpassung, Auszehrung und Burn-out in gleich drei Kernzonen des Netzes diagnostiziert werden? Ja, es stimmt, doch es spielt keine Rolle mehr! Denn alles, was bisher passiert ist, war nur das Aufwärmtraining vor dem Start, das Sich-Ausprobieren, das Üben, das Vorspiel.“

„Nun, dann übt mal schön weiter !“ kann Pankraz da nur raten. „Aber behelligt damit bitte nicht die große Politik, denn die ist – auch wenn man es immer öfter kaum glauben mag – kein Kindergarten und Sandkasten, sollte es wenigstens nicht sein.“

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