© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/11 / 30. September 2011

Im Bann des Papstes
Benedikt XVI. zu Besuch in Berlin: Bundestag, Bellevue, Protest und Olympiastadion – mit vier JF-Redakteuren einen Blick hinter die Kulissen werfen
Christian Vollradt / Marcus Schmidt / Sven Foligowski / Ronald Gläser

Einmalig“ findet Familie Schlecht aus dem Landkreis Biberach in Baden-Württemberg, zum Besuch des Papstes eingeladen worden zu sein. Lucia Schlecht, achtfache Mutter, ehrenamtliche Übungsleiterin im Sportverein und von 2004 bis 2009 parteilose Stadträtin, hatte die Einladung direkt vom Bundespräsidialamt erhalten. Ihr Mann Ulrich und alle acht Kinder – im Alter von acht Monaten bis 17 Jahren – durften sie zum offiziellen Empfang des Heiligen Vaters im Garten des Schlosses Bellevue in Berlin begleiten. Für die praktizierenden Katholiken ist es ein unvergeßliches Ereignis, daß sie in einer der vorderen Reihen auf der Besuchertribüne Platz nehmen durften.

„Als ich den Papst sah, wie er so gebeugt geht, da dachte ich: Was für eine Last trägt dieser Mann auf seinen Schultern!“, schildert Lucia Schlecht gegenüber der JUNGEN FREIHEIT ihren Eindruck. Eine Gänsehaut habe sie bekommen, als dann die Hymnen ertönten. In ihren Augen wurde da nicht irgendein Staatsoberhaupt empfangen, sondern der Stellvertreter Christi auf Erden.

Das alles wird auch nicht getrübt von einer Episode, die Ulrich Schlecht schildert: „Nach dem Zeremoniell und den Reden kam dann der Bundespräsident wieder in den Garten. Einige nutzten die Gelegenheit für Autogramme und Fotos. Auch ich fragte ihn, ob er mit uns noch für ein gemeinsames Foto zur Verfügung stünde, als Erinnerung, zumal er ja auch Ehrenpate unseres siebten Kindes ist. Nach seiner Zusage kam kurz darauf eine Dame vom Bundespräsidialamt, um freundlich aber bestimmt zu erklären, daß ein Foto mit dem Präsidenten nicht möglich sei. Zur Begründung sagte sie nur, es sei ein Artikel in der Schwäbischen Zeitung erschienen, aus dem hervorgeht, daß wir der Piusbruderschaft nahestehen.“

Tatsächlich brachte die Schwäbische Zeitung einen Tag später einen entsprechenden Artikel.

 

 

Plötzlich saß der römische Klerus der Linksfraktion im Nacken. Kurz bevor Benedikt XVI. den Plenarsaal des Reichstages betrat, nahm der Troß des Papstes auf den eigens aufgestellten Stühlen hinter den Fraktionsbänken der Linkspartei Platz. Auch wenn es allein den räumlichen Gegebenheiten geschuldet war, entbehrte es nicht einer gewissen Ironie. Denn die Linke hatte bereits im Vorfeld angekündigt, daß aus Protest gegen den Auftritt eines „Religionsführers“ im Parlament viele ihrer Abgeordneten das Ereignis boykottieren würden.

Aber auch bei Grünen und SPD hatten es einige vorgezogen, lieber an den Anti-Papstdemonstrationen teilzunehmen, so daß das Plenum, vor dem Benedikt XVI. seine vielbeachtete Rede hielt, deutliche Lücken aufwies. Auch von diesen angekündigten „Protesten“ abgesehen fehlte dem Auftritt des Oberhauptes der Katholischen Kirche alles Feierliche, stellte sich kein Zauber ein. Dies lag allerdings nicht am Papst, sondern am kühl wirkenden Plenarsaal, in dem sich grundsätzlich keine Atmosphäre einstellt. Schon den Einzug des Papstes in den Plenarsaal hatten viele Bundestagsabgeordnete erst bemerkt, als dieser fast seinen Platz vor dem Rednerpult erreicht hatte. Da von der Sitzungsleitung keinerlei Ankündigung erfolgte, war von den Tribünen aus die bizarre Situation zu beobachten, wie der Papst fast unbemerkt seinen Platz einnahm. Erst ganz allmählich erhoben sich die Abgeordneten, die vielfach in Gespräche vertieft oder mit ihren Handys beschäftigt waren, um zu klatschen.

Allein dem Papst selbst schien bewußt zu sein, welche Bedeutung sein Auftritt „vor dem Parlament meines deutschen Vaterlandes“ hatte. Doch kaum hatte Benedikt am Ende den Abgeordneten den Rücken zugedreht, um den Plenarsaal zu verlassen, setzte – als sei nichts gewesen – wieder ein geschäftiges Geplauder unter den Abgeordneten ein. Der historische Moment war da vom Bundestag ungenutzt längst verstrichen.

 

 

Die Situation ist unübersichtlich. Tausende haben sich auf dem Potsdamer Platz versammelt. Sie sind dem Aufruf des Bündnisses „Der Papst kommt“ gefolgt. Es besteht aus ungefähr 65 Organisationen, unter anderem Piraten, Linke und Antifa. Unter dem Motto „Keine Macht den Dogmen“ wollen sie durch Berlins Innenstadt ziehen. „Wir haben nichts gegen Kirche. Aber wir Homosexuelle sind nicht weniger Mensch als andere“, erklärt ein Teilnehmer, während andere Transparente gegen Religion hochhalten. Es scheint, als würde jeder für seinen eigenen Zweck demonstrieren.

Der Platz ist weiträumig abgeriegelt. Die Hundertschaften der Polizei versuchen ein Minimum an Ordnung zu erhalten. Viele von ihnen wirken angespannt. Die zuvor groß angekündigte Protestaktion, die zu einem Großaufgebot an Journalisten geführt hat, verläuft jedoch friedlich. Auf Unverständnis stößt das große Polizeiaufgebot unterdessen beim teilweise kostümierten Teilnehmerzug. Schrill und bunt sollte er sein. Schrill, aber dafür weniger bunt, erscheint die Kostümierung zweier Demonstranten, die Hand in Hand, als Adolf Hitler und Papst Benedikt verkleidet, durch die Menge schreiten.

Plötzlich blickt die Menge gen Himmel. Unbekannte werfen Flugblätter aus dem Fenster eines Hochhauses. Auf ihnen steht der Bibelpsalm „Der Herr ist mein Hirte“, der sich an die „ungläubigen Mitbürger“ richtet. Auch in der Menge versuchen christliche Gruppen Zettel zu verteilen, ernten aber lediglich böse Blicke. Ein zur Bühne umfunktionierter Lastwagen dient als Podium. Grüne und Linke-Bundestagsabgeordnete geben sich ein Stelldichein. Schließlich tritt Ehrengast Uta Ranke-Heinemann ans Mikrofon. Der 83jährigen fällt es schwer, gegen Wind und Mitdemonstranten anzukommen: „So, ruhig jetzt!“ Langatmig beklagt sie, daß die Kirche bis heute zu keiner anderen Einschätzung gleichgeschlechtlicher Liebe gekommen sei. Die bunte Menge applaudiert artig.

 

 

Vor dem Olympiastadion hat sich eine Handvoll Papst-Gegner versammelt. Sie halten Pappschilder mit Tierköpfen darauf und bizarren Losungen wie „Mehr Papst geht nicht“ und „Tiere haben eine Seele“ hoch. Keinen stört’s. Gelassen strömen die Tausende an ihnen vorbei ins Stadion. Die Reihen füllen sich.

Die Rede Benedikts im Bundestag wird auch ins Olympiastadion übertragen. Im Pressebereich starren die Journalisten wie gebannt auf den Monitor. Papst-Gegner und -Befürworter halten sich die Waage. Während einer eine abfällige Bemerkung macht, klettert ein anderer auf einen Stuhl, um den Ton lauter drehen zu können, weil ihn die Hintergrundgespräche ärgern. Danach lauschen alle gespannt den Worten des Heiligen Vaters, der die Grünen oberflächlich umschmeichelt, um sie zwischen den Zeilen hart zu kritisieren.

Im allerletzten Moment erscheinen mehrere Busse mit Politikern aus dem Reichstag, darunter Hermann Gröhe, Peter Altmaier und Philipp Mißfelder (alle CDU), Wolfgang Thierse (SPD) und Antje Vollmer (Grüne). Wenige Minuten später beginnt die Zeremonie mit der Rundfahrt des Papstes im Papamobil.

Berlins neuer Erzbischof Rainer Maria Woelki begrüßt den Heiligen Vater in seiner „atheistischen Stadt“. Wie als Beweis lümmeln sich zwei Berliner Polizisten im Block 8. Während 61.000 Menschen das Vaterunser beten, spielen die zwei ungeniert mit ihrem iPhone.

Benedikt macht einen Schritt auf seine Kritiker zu und räumt ein, daß es neben „Weizen“ auch „Unkraut“ in der Kirche gäbe. Jedoch: „Das Mysterium der Kirche erschließt sich nicht mehr, wenn der Blick auf das Negative fixiert ist.“ Zudem bemängelt er die Rastlosigkeit unserer Zeit, in der „die Liebe oberflächlich geworden ist“. Eine Anspielung auf den anwesenden Bundespräsidenten Christian Wulff (CDU), dessen Teilnahme am Abendmahl wegen seiner zweiten Ehe eigentlich unzulässig ist?

Foto: Willkommenszeremonie bei Bundespräsident Wulff; Rede des Pontifex vor dem Deutschen Bundestag; Benedikt XVI. begrüßt die Gläubigen: „Das Mysterium der der Kirche erschließt sich nicht mehr, wenn der Blick auf das Negative fixiert ist“; Protest gegen Papstbesuch „Keine Macht den Dogmen“; Eucharistiefeier im Berliner Olympiastadion

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