© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/11 / 30. September 2011

Der Nachwuchs entert die Piraten
Bildung: Auf der Berliner Jugendmesse „You“ werben politische Parteien und Institutionen mit unterschiedlichem Erfolg um die Gunst der jungen Generation
Sven Foligowski

Dutzende Jugendliche warten am vergangenen Sonntag in der brütenden Spätsommerhitze. Sie wollen am letzten Tag der Jugendmesse „You“ noch unbedingt auf das Berliner Messegelände. Das ganze Wochenende über strömen insgesamt 140.000 Jugendliche und junge Erwachsene durch die Hallen der You. Mit ihrem Angebot aus Musik, Sport, Lifestyle und Bildung gilt sie als die größte Jugendmesse Europas und ist ein Zuschauermagnet. 280 Aussteller stellen die neuesten Jugendtrends vor. Schwerpunkt dieses Jahr ist vor allem das Sport- und Lifestyle-Angebot.

Auf einer Veranstaltung, die Jugendliche in Massen anzieht, sind natürlich auch Parteien und politische Institutionen nicht weit. Und so herrscht an einem kleinen und eher unscheinbaren Stand ein besonders großer Trubel. Zahlreiche Jugendliche und junge Erwachsene stehen mit orangenen Papier-Fähnchen und Buttons vor dem Stand der jungen Piraten (juPis). Nach dem überraschenden Erfolg der Piratenpartei bei den Wahlen in Berlin und dem Einzug ins Abgeordnetenhaus genießt nun auch die Jugendorganisation der Piraten das gesteigerte Interesse von jungen Wählern und Noch-nicht-Wählern. Allerdings erscheint die Nachwuchsorganisation der Piraten angesichts der generell sehr jungen Partei vielen Interessenten fast überflüssig. „Nein, das stimmt nicht. Anders als die Piraten haben wir juPis kein Mindestalter, um beitreten zu können“, widerspricht das Mitglied des Bundesvorstandes der jungen Piraten, Leo Bellersen. „So können sich Jugendliche noch früher ehrenamtlich und politisch engagieren.“

Die Besucher haben schnell das Gefühl, daß die Piraten den Geist der Zeit erkannt haben. Vorstandssitzungen werden öffentlich im Internet abgehalten, das Wahlprogramm des Landesverbandes gibt es auf CD, eine Piraten-App für Smartphones, mit der Berlins Schuldenstand angezeigt wird, ist ebenfalls erhältlich. Besonders ansprechend wirken auf die Jugendlichen in den Messehallen die Forderung eines kostenlosen öffentlichen Nahverkehrs sowie die Legalisierung weicher Drogen.

Nicht weit von den jungen Piraten entfernt hat die Linksjugend „solid“ ihren Stellplatz. Der Stand des Nachwuchses der Linkspartei ist gut dreimal so groß wie der der Piraten. Allerdings stehen hier keine Jugendlichen nach Papierfähnchen oder Ansteckern Schlange: Es herrscht gähnende Leere. Ohne App und ohne Onlinesitzungen versucht solid ihr Glück bei den You-Besuchern mit bunten Aufklebern und einer Musik-CD: „Aufmucken gegen Rechts“ mit fragwürdigen Interpreten wie „Reizgas“ und „Arschtritt in die Fresse.“ Doch scheint es auf der Messe nicht so, daß solid der alternden Linkspartei auf diesem Weg junge Genossen zutreiben kann.

Nur wenige Meter entfernt versucht auch der Deutsche Bundestag, seinem Bildungsauftrag auf der „You“ gerecht zu werden. Das Parlament hat eigens einen sogenannten „Show-Truck“ anrollen lassen, um dem Nachwuchs die Arbeit der Volksvertreter näherzubringen. Die Jugendlichen bekommen hier unter anderem die Möglichkeit, vor laufender Kamera zu sagen, was sie in der Gesellschaft stört.

Unterhaltsamer für viele Besucher scheinen derweilen die Stände der Polizei und der Bundeswehr, die aus welchen Gründen auch immer ausgerechnet im Lifestyle-Bereich angesiedelt sind. Die Bundeswehr, die seit dem Aussetzen der Wehrpflicht händeringend um Nachwuchs wirbt, versucht an ihrem Stand auf die vielen Berufs-chancen in der Truppe aufmerksam zu machen. „Besonderen Andrang hatten wir am Freitag von den Schulklassen. Hauptsächlich Schüler, die die Mittlere Reife anstreben“, berichtet eine Wehrdienstberaterin vor dem Bild eines Jagdbombers vom Typ „Tornado“. Die Bundeswehr präsentiert sich auf der Messe als junger und moderner Arbeitgeber – ein buntes Musikprogramm auf ihrer „Open Air Stage“ inklusive. Die Auslandseinsätze und der Krieg in Afghanistan bleiben dabei auffällig im Hintergrund.

Jung und dynamisch versucht sich auch die Polizei aus Nordrhein-Westfalen und Berlin zu präsentieren. Unter dem Motto „Teamwork live“ wird mit Fußball, Musik und Gewinnspielen für sich als frischer und verantwortungsvoller Arbeitgeber geworben. Alles ganz nach dem Motto: Die Exekutive als Jugendtrend.

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