© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/11 / 30. September 2011

„Das ist ein Verzweiflungsschrei“
Deutschlands Schulden türmen sich bereits zum Sechsfachen des Bundeshaushalts auf – zudem droht der Eintritt in die EU-Haftungsunion. Der Berliner Bankier Ehrhardt Bödecker versucht nun, mit einem offenen Brief an Angela Merkel in der FAZ die Öffentlichkeit aufzurütteln.
Moritz Schwarz

Herr Bödecker, hat Frau Merkel Ihnen schon geantwortet?

Bödecker: Weder sie, noch Herr Schäuble. Und eine Antwort erwarte ich auch nicht.

Die „FAZ“ hat immerhin eine Auflage von über 350.000 und wird auch von zahlreichen Entscheidern gelesen.

Bödecker: Ich halte unsere Politiker inzwischen für weitgehend beratungsresistent. Die kümmert das nicht mehr.

Wie kommen Sie darauf?

Bödecker: In unserem Staat fürchten die Politiker nicht das Volk, sondern nur einander: Ob die Bürger wählen gehen oder nicht, ist denen egal. Denn die Parlamente sind trotzdem voll. Gefährlich wäre nur, wenn einer unter ihnen mit dem Sparen wirklich Ernst machen würde und im Zuge dessen etwa der Bundestag verkleinert würde. Außerdem habe ich so meine persönlichen Erfahrungen. Frau Merkel zum Beispiel traf ich vor vielen Jahren persönlich. Sie ist eine bemerkenswert intelligente Frau und daher eine interessante Gesprächspartnerin. Auch an meine Begegnung mit Herrn Schäuble erinnere ich mich. Es war im Jahr 1989 in Berlin, wo er bei der Frage nach der Deutschlandpolitik stets ausweichend geantwortet hat: Kleine Schritte! Aber wohin sollten sie führen?

Sie rechnen also gar nicht mit einer Reaktion der Kanzlerin?

Bödecker: Nein.

Worauf zielt Ihre Anzeige dann? Bürger zu Briefen an Frau Merkel zu bewegen?

Bödecker: Auch das würde nichts nützen.

Warum nicht?

Bödecker: Ich sage doch: Beratungsresistenz.

Wozu schalten Sie die Anzeige dann?

Bödecker: Tja, es ist ein Akt der Verzweiflung.

Inwiefern?

Bödecker: Was soll man sonst tun?

Sie unternehmen also etwas, obwohl Sie nicht im geringsten an den Erfolg glauben?

Bödecker: Nein, nicht „obwohl“, sondern „weil“: Weil ich so verzweifelt bin, gebe ich das Geld dafür aus. Meine Anzeige ist ein Verzweiflungsschrei.

Warum sparen Sie nicht die 70.000 Euro dafür und fahren lieber in den Urlaub?

Bödecker: Ja, das könnte man tun. Aber ich mache mir ernste Sorgen um unser Land.

Aus Patriotismus?

Bödecker: Auch das, aber ich würde es eher Verantwortungsgefühl nennen.

Was ist es, was Sie so quält?

Bödecker: Die Verschuldung Deutschlands beträgt inzwischen fast 1,98 Billionen Euro, mehr als das Sechsfache des Bundeshaushalts 2010 und mehr als 77 Prozent unseres Sozialprodukts! Ich frage mich: Auf welche Höhe soll unsere Schuld denn noch steigen, bevor die Politik etwas tut? Bedenklich auch, daß unser verarbeitendes Gewerbe nur noch von fünf Millionen Arbeitnehmern repräsentiert wird. Fünf Millionen „ernähren“ damit im Endeffekt die übrigen 75 Millionen – das kann auf Dauer nicht gutgehen. Der Umsatz der Finanzwirtschaft beträgt inzwischen das Sieben- oder Achtfache der Realwirtschaft. Früher folgte das Bankvolumen dem Realvolumen, das waren noch gesunde Verhältnisse. In Deutschland waren Termin- und Leergeschäfte verboten. Als die Regierung in den siebziger Jahren die Termingeschäfte erlaubte, sagte ich zu meinen Mitarbeitern: „Das ist der Anfang vom Ende.“ Die deutsche Politik folgte den ausländischen Wünschen: Es war eine vom Ausland uns aufgedrängte Politik. Warum werden in Deutschland nicht wieder Gesetze gemacht, die zu einem geordneten Bankwesen führen? Das alte Kreditgesetz wäre auch heute noch durchaus akzeptabel, wozu auch die Richtlinien der Bundesbank gehören. Unsere Parteien thematisieren diese Probleme so gut wie gar nicht.

Also brauchen wir eine neue Partei?

Bödecker: Nein! Um Gottes Willen, nur keine neue Partei! Die wäre ganz schnell nur Teil des Problems, statt der Lösung.

Wie soll es denn dann gehen?

Bödecker: Tja ... wissen Sie, einmal hatten wir Besuch aus Frankreich. Meine Frau fragte meinen französischen Gast: „Wen werden Sie wählen?“ Darauf unser Gast: „Natürlich die alte Regierung.“ „Aber warum?“entgegnete meine Frau verwundert: „Dann sind sie doch kein Sozialist?“ Woraufhin unser Freund mit der Replik überraschte: „Es ist doch egal, wen ich wähle. Jedenfalls ist es immer teurer, wenn wir eine neue Regierung bekommen, weil die alte dann in Pension geht.“ Zunächst möchte man über die, allerdings bittere Pointe herzlich lachen, aber eigentlich ist das doch eine sehr vernünftige Auffassung, finde ich.

Eine nette Anekdote, aber keine Antwort auf die Frage.

Bödecker: Doch, da kommt schließlich die ganze Ausweglosigkeit der Lage, in der wir uns befinden, zum Ausdruck: Beratungsresistenz und Reformunfähigkeit. Oder was glauben Sie, warum so viele Bürger nicht mehr zur Wahl gehen?

In Berlin haben die Piraten für zwei Prozent mehr Wahlbeteiligung gesorgt.

Bödecker: Ich bitte Sie: Piratenpartei! So ein Quatsch! Die haben noch weniger Ahnung. In Berlin wird über Verschuldung nicht gesprochen! Die Politiker vermeiden es. In einer Stadt, in der Verschuldung Top-Thema sein müßte, erhält eine Partei fast neun Prozent, deren Vorsitzender auf die Journalisten-Frage nach der Höhe der Berliner Verschuldung die Antwort gibt: „viele, viele Millionen“. Also manchmal kann man auch am Wähler verzweifeln. Christian Wolff, ein berühmter preußischer Aufklärer, hat schon Anfang des 18. Jahrhunderts auf die Dummheit der Wähler hingewiesen.

Nun kommt zu unserer Staatsschuld noch die anderer Staaten. Stichwort: Europäischer Rettungsschirm.

Bödecker: Wirklich treffend hat dieses Problem kein anderer als Ludwig Erhard auf den Punkt gebracht: „Eine einheitliche Währung ohne einheitliche Politik bedeutet den Ruin der gesamten Volkswirtschaft.“ So, und wie lautet die Antwort unserer Politik darauf? Den Euro zu stabilisieren, indem man den Schulden-Ländern immer mehr Geld gibt, ist keine Lösung. Oder ich verstehe sie nicht, denn es ist doch klar, daß das nicht unbegrenzt durchzuhalten ist. Würde ich heute noch einmal zu einem Abendessen mit Frau Merkel eingeladen, würde ich sie fragen, wo denn bitte bloß das Geld dafür am Ende herkommen soll? Nein, ich glaube, daß eintreten wird, was Ludwig Erhard prophezeit hat. Und so wird der Euro scheitern und – wenn das so weitergeht – wir mit ihm.

In Ihrer Anzeige heißt die Antwort: Preußen!

Bödecker: Der Schweizer Staatsrechtslehrer Fritz Fleiner hat gesagt: „Die beste Verfassung ist eine gute Verwaltung.“ Also, welches Land wird oder wurde am besten verwaltet? Und so stoßen Sie auf Preußen, ganz ohne Zweifel!

Warum Preußen?

Bödecker: Otto Braun, der berühmte sozialdemokratische Ministerpräsident von Preußen sagte: „Die preußische Verwaltung ist die beste Verwaltung, die die Welt je gesehen hat.“ In Preußen wurde die meiste Zeit der einfache Grundsatz beachtet: „Macht keine Schulden und gebt nicht mehr aus, als ihr einnehmt“, wie es König Friedrich Wilhelm I., der „Soldatenkönig“, formuliert hat. Preußen ist lange ohne Schulden geführt worden. Und später war Preußen-Deutschland bis 1918 immerhin noch das am wenigsten verschuldete Land in Europa. Betrachten Sie dagegen Griechenland, Portugal und Italien, dann werden Sie feststellen, daß diese Länder keine gute Verwaltung haben und daher in den Strudel geraten sind.

Also, was können wir ganz konkret von Preußen lernen?

Bödecker: Der Kern des Problems ist eigentlich die Frage der Einstellung. Es geht letztlich nicht um konkrete Sparvorschläge, sondern darum, daß wir grundsätzlich wieder ein Gefühl für das Sparen bekommen. Es gibt eine Psychologie des Schuldenmachens: Sie kommen mit ihrem Geld nicht aus, aber statt sich einzuschränken, leihen Sie sich welches. Sie passen sich also nicht ihrer Lage an, und die Folge ist, daß Sie bald neue Schulden eingehen. Schließlich gewöhnen Sie sich an den Zustand, Skrupel und Gewissensbisse verschwinden und bald halten Sie das alles sogar für ganz normal: Die Falle ist zugeschnappt. Es muß daher erst gründlich umgelernt werden, bevor mit dem Schuldenabtragen überhaupt begonnen werden kann.

Sparen bedeutet allerdings soziale „Grausamkeiten“, Bildung, Infrastruktur, Armee „kaputtzusparen“, wie Kritiker warnen.

Bödecker: Kaputtsparen ist eines der übelsten politischen Schlagworte. Die Parteien fordern mehr Geld für Bildung. Warum reduzieren sie nicht den aufgeblähten Verwaltungsapparat, der für Bildung in Deutschland zuständig ist? Hier ließen sich Milliarden einsparen und wir bekämen außerdem eine bessere Bildungspolitik. In Preußen wurden 5,04 Goldmark pro Kopf für Bildung und Unterricht ausgegeben. In Frankreich 5,52 Goldmark und in England 7,87 Goldmark. Trotzdem standen Bildung und Unterricht in Deutschland an der Spitze der Welt. Die Rechtsstaatlichkeit in Preußen war auch eine Folge der guten Verwaltung. Die meisten leitenden Männer in der Verwaltung waren Juristen. Das wurde negativ benannt, mit dem Ausdruck Juristenmonopol. Nein, ein guter Jurist mit einer entsprechenden ethischen Einstellung ist wertvoll für die Verwaltung. Der berühmte jüdische Staatsrechtslehrer Otto Mayer sagte einmal treffend: „Der preußische Verwaltungsakt trägt die Rechtmäßigkeit auf der Stirn.“ Diese allgemein verbreitete Meinung verhinderte auch die Unzahl von Verwaltungsgerichtsprozessen, die wir heute erleben müssen. Zur Rentenfrage: Wir finanzieren Renten auf Pump. Das muß eines Tages dazu führen, daß das System kollabiert. Nein, auch den Sozialstaat können wir nur retten, wenn wir lernen zu sparen! Und zum Schluß noch eine Bemerkung: Der berühmte Rechtslehrer Christian Thomasius sagte 1720: „Geschichtliche Kenntnisse sind die Grundlage politischer Klugheit.“ Das heißt also, die Politiker sollten mehr geschichtliche Kenntnisse besitzen.

Ist es wirklich nur eine Frage der Einstellung?

Bödecker: Als ich die Weberbank 1966 übernahm, hatte sie ein Volumen von 20 Millionen Mark, als ich sie 1995 verkaufte ein Volumen von 15 Milliarden Mark – mehr kann man nicht wachsen! Und schon damals habe ich zum Beispiel Griechenland keine Anleihen gegeben. Denn ich habe nie auf diese Einstufungen wie AAA und so geschaut, sondern mir immer mein Gegenüber persönlich angesehen. Andere Banken meinten: „Wenn da was passiert, wird international schon geholfen.“ Ich widersprach. Schulden mit Schulden zu bekämpfen, wie jetzt mit dem Euro-Rettungsschirm, wäre mir nicht eingefallen. Wir haben eben nicht immer zuerst ans Geld gedacht, sondern eine Einstellung gehabt. Und das ist es, die ethische Einstellung in Politik und Wirtschaft, was Deutschland und Europa heute wieder von Preußen lernen muß.

 

Ehrhardt Bödecker, der ehemalige Bankier, Jurist, Publizist und „Preußen-Liebhaber“ (Die Welt) will angesichts der Schuldenkrise mit Hilfe großformatiger Zeitungsanzeigen (siehe rechts) „die Kanzlerin zu preußischer Disziplin erziehen“, wie die FAZ schreibt. Dort ist die ganzseitige Anzeige nun zum ersten Mal auch erschienen. Bödecker wirbt seit Jahren mit dem von ihm gegründeten Preußenmuseum in Wustrau, sechzig Kilometer vor Berlin, dem einzigen Preußenmuseum Deutschlands, für eine Renaissance des deutschen Musterstaates. Ebenso mit seinen im Olzog-Verlag erschienenen Büchern „Preußen, die Wurzel des Erfolgs“ (2004), „Preußen und die Marktwirtschaft“ (2006) und zuletzt „Preußen. Eine humane Bilanz“ (2010). Geboren wurde der ehemalige Chef der Berliner Weberbank 1925 in Zwickau.

www.brandenburg-preussen-museum.de

Foto: Die Kanzlerin und der Große König: Unsere Verschuldung beträgt inzwischen 1,98 Billionen Euro, 77 Prozent unseres Sozialprodukts ... In Preußen dagegen wurde lange der Grundsatz beachtet: „Gebt nicht mehr aus, als ihr einnehmt.“

 

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