© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/11 / 30. September 2011

Spart endlich!
Die Euro-Krise hat es offenbart: Wir leben über unsere Verhältnisse und müssen lernen, Maß zu halten
Michael Paulwitz

De Euro-Krise ist nicht bloß eine Euro-Krise. Sie ist die europäische Ausprägung der globalen Staatsschuldenkrise. Die Fehlkonstruktion Euro hat sie so ausbrechen lassen, wie sie ausgebrochen ist: Verführt von der Möglichkeit, dank der von Deutschland mit eingebrachten Bonität billig an Kredite zu kommen, haben sich einige Staaten bis an den Rand des Staatsbankrotts und darüber hinaus verschuldet. Das Grundübel wird durch die „Rettungsversuche“ der politisch Verantwortlichen nicht beseitigt, sondern verschärft: Wir leben alle über unsere Verhältnisse.

Schulden mit noch mehr Schulden zu bekämpfen, heißt Feuer mit Benzin löschen. Genau das tun die Euro-„Retter“, indem sie mit hochstaplerischen Kreditgarantien im Phantastillionenformat die griechische Staatsinsolvenz verschleppen und anderen Schuldenkönigen Blankoschecks für praktisch unbegrenzte Geldschöpfung ohne realen Gegenwert ausstellen. Es ist die amerikanische Methode: Lieber Geld aus dem Hubschrauber abwerfen und damit nach dem Platzen der einen Blase gleich die Grundlage für die nächste, noch größere legen, statt einmal kürzer zu treten und ein paar Karten vom Kartenhaus zu nehmen, bevor es zusammenfällt. Die amerikanische Rüge an die Europäer, sie seien noch zu zögerlich beim Gelddrucken und Geldverbrennen, entspringt dieser verqueren Logik. Das Schuldenkarussell soll sich noch schneller weiterdrehen, das Schneeballsystem bloß nicht unterbrochen werden. Aus schierer Angst vor dem Umdenkenmüssen tritt man aufs Gas, obwohl man längst ahnt, daß man in eine Sackgasse gefahren ist. Die Rechnung für die Schuldenberge kommt unausweichlich. Sie müssen bezahlt werden – durch Enteignung der produktiven Bürger. Entweder auf dem Wege von Inflation und Geldentwertung, oder aber durch Währungsschnitt und Staatsbankrott. Dem ist auch Deutschland weitaus näher, als seine Titanic-Politiker wahrhaben wollen.

Bereits heute sind die deutschen Staatsschulden – rund zwei Billionen Euro, mit nicht ausgewiesenen Verpflichtungen wie Renten- und Versorgungsansprüche über sieben Billionen – realistisch nie mehr zu begleichen, erst recht nicht von einer Bevölkerung, die immer älter, kleiner und unqualifizierter wird. Im Vergleich der staatlichen Schuldenmacher ist Deutschland nur „der Einäugige unter den Blinden“ (Gunnar Heinsohn), der sich dazu auch noch freiwillig die Bürgschaft der letzten Instanz für faktisch sämtliche Staatsschulden der Eurozone auflädt. Daß das nicht gutgehen kann, ist nicht nur den Analysten der Ratingagentur bekannt, die Deutschland zu Recht mit dem Verlust der Bestnote droht.

Wer sich solche Bürden auflädt und gleichzeitig noch immer von „Schuldenbremsen“ und „Stabilisierungsmechanismen“ phantasiert, hat offenkundig den Kontakt mit der Realität schon lange verloren. Ein sicheres Symptom dieses Wahns ist die Allmachtsphantasie, der Krise durch eine Reglementierung „der Märkte“ begegnen zu können. Als wäre der „Markt“ ein böser Dämon und nicht die ökonomische Realität aus Angebot, Nachfrage und Risikobewertung, die seit der Erfindung der Staatsanleihe im Florenz des 14. Jahrhunderts der zuverlässigste Gradmesser für die Solidität von Staatsfinanzen ist.

Die Realität zu ignorieren schafft die selbstverschuldeten Übel indes ebensowenig aus der Welt wie die scheinheilige Schuldzuweisung an „die Banken“, die letztlich nur mit eben jenem ungedeckten Geld zocken und spielen, das ein politisch instrumentalisiertes Notenbanken- und Währungssystem ihnen zur Verfügung stellt und aufdrängt. Das Euro-Desaster und die amerikanische Staatsschuldenkrise sind ein epochaler Einschnitt. Sie markieren den Anfang vom Ende einer Schuldenwirtschaft, deren Agonie durch die „Rettungen“ diesseits und jenseits des Atlantik nur hinausgezögert und auch durch die Errichtung faktischer Finanzdiktaturen auf Dauer nicht verhindert werden wird. An einem Neuanfang führt über kurz oder lang kein Weg vorbei.

Erster Schritt zur Umkehr ist die Einsicht, daß nicht nur Griechen, Portugiesen, Italiener, sondern wir alle seit Jahrzehnten über unsere Verhältnisse leben. Auch Deutschland hat seit über vierzig Jahren keinen ausgeglichenen Staatshaushalt vorgelegt. Kredite können den Wohlstand mehren, wenn das aufgenommene Geld in die Schaffung neuer Werte investiert wird, die produktive Erträge bringen; wird das Geliehene aber verpraßt, führen Schulden direkt in den Ruin. Das gilt für Staaten nicht anders als für jeden privaten Unternehmer.

Den Löwenanteil seiner enormen Schuldenlast hat Deutschland aufgehäuft, um einen überbordenden Sozialstaat aufzubauen und Wohltaten und Geschenke zu verteilen, die von der realen Wirtschaftsleistung nicht gedeckt waren. Mit anderen Worten: Das Geld wurde verkonsumiert, damit einige Jahrgänge auf Kosten der Aufbauarbeit der vorangegangenen und des Schuldendienstes der künftigen Generationen noch besser leben konnten. Die Rückkehr zu solider Haushaltsführung kann deshalb nicht gelingen, ohne den Sozialstaat und die von ihm mitgeschleppten Apparate drastisch zusammenzustreichen. Das ist so einfach zu schreiben, wie es schwer zu verwirklichen ist.

Und doch ist es die einzig vernünftige Konsequenz aus der Staatsschuldenkrise. Ausgeglichene Finanzen stärken den Staat, der sich auf seine Kernaufgaben – die Aufrechterhaltung von Rechtsordnung und Infrastruktur und die Gewährleistung von Sicherheit nach innen und außen – konzentrieren kann, und sie befreien seine Bürger von dem Zwang, den Großteil der Früchte ihrer Arbeit dem Fiskus zu unproduktiver Verwendung übereignen zu müssen. Mit dem Zusammenspiel von Schuldenschnitt, Währungsreform und solider Haushaltsführung begann schon einmal eine deutsche Erfolgsgeschichte: das Wirtschaftswunder.

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