© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/11 / 23. September 2011

Himmlische Erscheinungen
Madonnen-Ausstellung in der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden
Sebastian Hennig

Zum Anlaß des Papstbesuches, der auch als ein symbolträchtiger Gegenbesuch Roms an den historischen Zentren der protestantischen Häresie verstanden werden kann, zeigen die Staatlichen Kunstsammlungen und die Vatikanischen Museen in der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden eine kleine, aber exzellente Ausstellung.

Die Werke bezeichnen genau die Schnittstelle der tiefgreifenden kirchlichen Wandlung vor fünfhundert Jahren. An ihrem exponierten Platz in der Raumflucht der italienischen Meister wird die berühmte „Sixtinische Madonna“ für einige Zeit ihrer ungleichrangigen Gesellschaft entledigt und durch ebenbürtige Leihgaben flankiert.

Der Durchgang ist wie ein Triumphbogen verkleidet durch ein abgeteiltes Kabinett mit Drucken und Zeichnungen. Darunter befinden sich die einzige überlieferte Vorzeichnung Raffaels zur „Madonna di Foligno“ aus dem British Museum und ein weiteres Blatt aus dem Entstehungsumfeld aus dem Frankfurter Städel sowie die Raffael-Stiche von Marcantonio Raimondi und Darstellungen, Medaillen und Bücher, die im historischen und lokalen Verhältnis zu den Werken stehen.

Es ist keine der üblichen Mogelpackungen, mit denen die Museen neuerdings vor Ort befindliche Meisterwerke mit zweitrangigen Leihgaben zu einem kunsthistorischen Essay amalgamieren, sondern eine sinnliche Darstellung von hohem Erkenntniswert und durchgehender Qualität, deren Bestandteile sinnreich ausgewählt und wirkungsvoll angeordnet wurden.

Die Mariendarstellungen von Raffael, Grünewald, Correggio, Cranach und Dürer im großen Saal lassen die Ambivalenzen deutlich werden: Der Augustinermönch Luther aus Erfurt wollte genausowenig wie zuvor der Dominikaner Eckart am gleichen Ort oder der Kaufmannssohn Franz aus Assisi eine Spaltung der christlichen Kirche. Die zeitgleich entstandene Malerei der altdeutschen Meister macht deutlich, wie sehr sich der frühreformatorische Zeitgeist aus dem Glaubenserlebnis der mittelalterlichen Mystik speist. Lucas Cranach des Älteren Madonna steht noch ganz spätgotisch vor einem Goldgrund auf der Mondsichel.

Aber auch und gerade in Rom reformierte sich die Kirche damals. Wie sehr aus verwandten Quellen spiritueller Innerlichkeit eine Verleiblichung und Visualisierung der Glaubenswirklichkeit erstrebt wurde, zeigen Raffaels gemalte Visionen der heiligen Jungfrau und Mutter. Die drei Meter hohe Altartafel „Madonna di Foligno“ entstand unmittelbar vor der „Sixtinischen Madonna“ 1511/12. Während Luthers Aufenthalt in Rom war Raffael mit diesem Werk beschäftigt. Die bestürzende Vision der Madonna, die er im Folgebild so radikal entwickeln wird, kündigt sich bereits an. Der Betrachter steht gleichsam auf einem Boden mit den Heiligen sowie dem im Gebet knienden Auftraggeber Sigismondo dei Conti. Über ihren Häuptern thront die Mutter mit dem Kind auf den Wolken.

Die „Sixtinische Madonna“ dagegen ist weniger eine Erscheinung als eine Okkupation. Durch ein Fenster schwebt sie leichtfüßig herein, um im Augenblick alles zu vereinnahmen mit ihrer hinreißenden Präsenz. Die geniale Idee, den Rahmen des Bildes in den Abmessungen einer Fensteröffnung aufzulösen und die Malerei von einer Darstellung zum Ereignis werden zu lassen, weist weit voraus zu der illusionistischen Theatralik der Barockmalerei und ist doch zugleich in ihrer frühlingshaften Frische noch viel ursprünglicher als die fieberhaften Rückzugsgefechte der Gegenreformation.

Solche kühnen Erfindungen werden nicht im Atelier von einem einzelnen ausgebrütet. Sie lagen damals in der römischen Luft, und Raffael hatte das Format, ihnen die Gestalt zu geben. Papst Julius II. soll das Bild in Auftrag gegeben haben, um die Vertreibung der Franzosen aus Piacenza und dessen Beitritt zum Kirchenstaat zu feiern. Der weiße Bart, mit dem der Papst sich im Jahr zuvor von Raffael porträtieren ließ, war Ausdruck seines Gelübdes, die französischen Besatzer zu vertreiben.

Dreihundert Jahre darauf bemächtigten sich diese neben vielen anderen Trophäen auch der „Madonna di Foligno“. Dabei wurde die Malschicht des Holztafelbildes sachkundig auf eine Leinwand übertragen. Nach der Rückerstattung des napoleonischen Raubgutes 1816 wurde es für die Vatikanischen Museen erworben. Zu dieser Zeit war die „Sixtina“ in Dresden schon ein Magnet für die Zusammenkünfte des frühromantischen Kreises.

Als weiterer Höhepunkt bereichert die „Stuppacher Madonna“ von Mat-thias Grünewald die Ausstellung. Deren Ausleihe wurde begünstigt durch die klimatechnische Ertüchtigung ihres Aufbewahrungsortes. Auf dem Spätwerk des Meisters des „Isenheimer Altars“ sind Mutter und Sohn die Quelle allen Lichtes, welches die liebliche Gartenlandschaft vielfältig bricht. Dürers „Dresdner Altar“ (1496) führt in ein anderes Umfeld. Seine Maria ist eine Nürnberger Bürgersfrau. Während sie fürsorglich über ihren Sohn geneigt ist, fegen die Engel hinter ihr die Stube aus.

Die Ausstellung „Himmlischer Glanz. Raffael, Dürer und Grünewald malen die Madonna“ ist bis zum 8. Januar 2012 in der Gemäldegalerie Alte Meister Dresden täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 03 51 / 49 14 20 00

www.skd.museum

Foto: Madonna di Foligno, 1511/1512 von Raffael: Das Bild entstand unmittelbar vor seiner „Sixtinischen Madonna“

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