© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/11 / 23. September 2011

Nur ein toter Dichter ist ein guter Produktionsarbeiter
Sprachmächtiges Anspielungsreich: Eine Ausstellung zur Wiederentdeckung des Dada-Terroristen Matthias BAADER Holst
Christian Dorn

Das vor der Räumung stehende, international bekannte Kunsthaus Tacheles in der Oranienburger Straße in Berlins Mitte ist heute Ort der Regression – künstlerisch wie politisch. Jemand, der an dieser Schnittstelle urbanen Heilsversprechens auf verstörende Weise Fraktur geredet hätte, verlor ausgerechnet dort das Leben: Im Morgengrauen des 24. Juni 1990 lief Matthias BAADER Holst, der – so der Kunstkritiker Christoph Tannert – wohl „einzige reale PunkDadaist der DDR“, an der Ecke Friedrichstraße in eine Straßenbahn. Am 30. Juni, einen Tag vor der Währungsunion, verstarb er.

Geradezu programmatisch für dieses Scheitern und die zugleich einsetzende Mythenbildung waren die begleitenden Umstände: Erst Tage später konnte der Tote identifiziert werden, zu dessen letzten Utensilien die Zigarillo-Marke „Sprachlos“ gehört hatte. Das plötzliche Verstummen beendete die kurze Vita des nachdenklichen, frühvollendeten Poeten, der 1962 in Quedlinburg geboren und in Halle an der Saale aufgewachsen war.

Matthias Holst, der sich nach dem RAF-Terroristen Andreas Baader und dem Berliner Dadaisten Johannes Baader den Namen BAADER zulegte, den er stets in Großbuchstaben schrieb, trat auch als Zeichner, Filmemacher, Herausgeber und Performer hervor; in der Spätphase des „Arbeiter- und Bauernstaates“ avancierte er zu deren schillerndstem Untergrundpoeten. Bis heute hinterläßt er einen nachhaltigen Eindruck bei Literaten, Musikern und Künstlern aus der ehemaligen DDR. Dies begründet sich nicht zuletzt in der legendenumwobenen Vortragskunst von BAADER Holst. Dessen Sprachgestus, den der Kunstkritiker Christoph Tannert ob dessen brachialer Momente und der ausdifferenzierten expressionistischen Fabulierkunst als „urdeutsch“ apostrophiert, zeigt sich in den ungeheuren Wortkaskaden, die nicht mit einem Stahl-, aber mit einem unerhörten Assoziationsgewitter aufwarten und zuweilen den Unterton von Gottfried Benn vernehmen lassen.

Daß sein Werk auch heute noch unvermindert lebendig und aktuell erscheint, zeigt die zusammenfassende Schau „all die toten albaner meines surfbretts“ der Kuratoren Peter Lang und Moritz Götze, die ihre vorläufig letzte Station im Kunsthaus Bethanien hat – und eine Vorahnung des verstorbenen Poeten zur Gewißheit werden läßt: „nur ein toter dichter ist ein guter produk-tionsarbeiter“.

Die Ausstellung ist bis zum 2. Oktober täglich außer montags von 14 bis 19 Uhr zu sehen.

Der Katalog: „Matthias“ BAADER Holst mit 144 Seiten inklusive Schallplatte (Hasenverlag Halle/Saale) kostet 29,95 Euro.

www.bethanien.de www.poesieschmecktgut.de

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