© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/11 / 23. September 2011

Drohung, Täuschung, Verfälschung
Finanzpolitik: Die Sprache der „Euro-Retter“
Wolfgang Philipp

Neusprech“ hieß die Sprache, die in George Orwells Roman „1984“ vom Ministerium für Wahrheit vorgeschrieben war. Damit sollte das Volk so manipuliert werden, daß es nicht einmal an Aufstand denken kann, weil ihm die Worte dazu fehlen. Wer Begriffe besetzt und Sprache gezielt umfunktioniert, hat auch in der Demokratie beste Chancen, seine Politik durchzusetzen. Ob diese richtig oder falsch ist, wird dann kaum mehr diskutiert. Der „Neusprech“ beherrscht die Szene auch im Verhältnis der Bundesregierung zum Bundestag. In der Europapolitik ist dieses Phänomen besonders entlarvend. Dazu einige Beispiele:

„Der Euro wird verteidigt –um jeden Preis.“

Um jeden? Eine maßlose Aussage, die dem Euro, dem Mammon also, einen Höchstwert zumißt. Der Satz ist auch falsch: Der Euro ist nicht gefährdet, er ist vielmehr die Ursache der Gefährdung von Banken und Staaten, der Virus, der die Krankheit schafft. Im übrigen ist der Satz eine Durchhalteparole, die an das Kriegsende erinnert: „Wir kämpfen bis zur letzten Patrone.“

 

 

„Es gibt keine Alternative.“

Dieser Satz beschreibt ein von Frau Merkel über Abgeordnete und Volk verhängtes Denkverbot. Alternativen gibt es immer. Eine echte Umschuldung Griechenlands nach Konkursgrundsätzen schon im Mai 2010 wäre eine erfolgreiche Alternative gewesen.

 

 

„Zweckgesellschaft“

In dem jetzt von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Gesetzes „zur Änderung des Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines Europäischen Stabilisierungsmechanismus“ wird die „Europäische Finanzstabilisierungsfazilität“ (EFSF) als Zweckgesellschaft bezeichnet. Hinter diesem nichtssagenden Begriff (ein „Zweckgesellschaftsrecht“ gibt es noch nicht) können sich die verschiedensten Organisationen verbergen; in der Bankenkrise 2007 spielte er eine verhängnisvolle Rolle. Die EFSF ist eine politisch gesteuerte Aktienbank, die dazu da ist, Europa in eine Transferunion zu verwandeln. Das mögliche Kreditvolumen liegt jetzt bei 440 Milliarden Euro und setzt Bürgschaften der Euro-Staaten von 780 Milliarden Euro voraus. Künftig soll die EFSF über Kreditvergaben hinaus auch Anleihen anderer Euro-Mitgliedsstaaten auf dem Primär- und Sekundärmarkt aufkaufen und Euro-Staaten „vorsorglich“ Kreditlinien bereitstellen dürfen. Sie wird zur Großbank. Die Garantieverpflichtungen Deutschlands werden bei dieser Gelegenheit von 123 Milliarden Euro auf rund 211 Milliarden Euro erhöht.

 

 

„Ansteckungsgefahr“

Dieser an die Pest erinnernde Begriff soll die Aufgabenerweiterung der EFSF rechtfertigen. In der Begründung des Gesetzentwurfs kommt er nicht weniger als achtmal vor, außerdem auch im Gesetzestext selbst. Nach der Goebbelsschen Devise: Stete Wiederholung ersetzt Begründung und Nachdenken. Wer soll hier wen anstecken? Womit? Ansteckend wirkt allenfalls diese Politik, weil ein Staat nach dem anderen lernt, es sei besser, Hilfsanträge auf Kosten der Deutschen zu stellen, als sein Problem selbst zu lösen.

 

 

„Stabilität des Euro-Währungsgebietes“

Dieser Begriff ist mehrdeutig und irreführend. Über die Währungsstabilität soll und kann die EZB wachen. Sie allein hat die richtigen Instrumente dafür. Die EFSF kann die Stabilität des Euro gar nicht fördern, denn sie arbeitet ausschließlich durch die Vergabe von Krediten, das heißt mit Geldschöpfung. Geldschöpfung wirkt immer in Richtung Inflation und nicht in Richtung Stabilität.

 

 

„Rekapitalisierung von Finanzinstituten“

Für diesen Zweck soll die EFSF Staaten Geld leihen. Wenn diese das Geld an Banken zur „Rekapitalisierung“ weitergeben, hat das folgenden Effekt: Zuführung von frischem Eigenkapital. Das Geld wird für immer festgelegt, die Staaten können es nicht mehr zurückzahlen. Das ist schon in dem Gesetzentwurf angelegt. Künftig soll der deutsche Steuerzahler nicht nur für Haushaltslöcher anderer Euro-Staaten, sondern auch noch für die verfehlte Geschäftspolitik in- und ausländischer Banken haften.

 

 

„Rettungsschirm“

Dieser Begriff ist besonders infam: Wer soll „gerettet“ werden? Der Euro, andere Staaten oder die Banken? Gleichzeitig kollektiviert der „Rettungsschirm“ die Leistungsfähigkeit der Staaten. Von denen, die unter dem Schirm stehen, bleibt aber nur der eine trocken, der andere wird naß! Nachdem der Kapitalist dem Kommunisten wunschgemäß die Hälfte seines Vermögens überlassen hat, fragt er diesen: „Was geschieht, wenn Du diese Hälfte verschleudert hast?“ Antwort des Kommunisten: „Dann teilen wir wieder.“ Genau so!

 

 

„Dominoeffekt“

Auch dies ist ein Bild, das den Eindruck einer unaufhaltsam ablaufenden Katastrophe vermittelt. Wer aber wen aus welchem Grunde „umreißt“, wird nicht gesagt, es geht nur um Psychologie. Die Liste ließe sich erweitern. Sie zeigt, daß Drohung, Täuschung und Verfälschung die sprachlichen Mittel sind, mit welchen eine machtbewußte Politikerklasse in Europa eine Politik durchsetzen will, welche die Völker nicht wollen und die ihnen schwersten Schaden zufügen wird.

Geradezu eine Frechheit ist die Behauptung der Bundesregierung, trotz Erhöhung des deutschen Gewährleistungsrahmens von 123 Milliarden Euro auf 211 Milliarden Euro sei „mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mit einer Inanspruchnahme der Bundesrepublik Deutschland aus den ausgegebenen Garantien zu rechnen“. Jeder, auch die Bundesregierung, weiß, daß ein großer Teil dieser Kredite nicht zurückgezahlt werden kann und damit ausfällt. Die hier verwendete Sprache kann nur weiter tiefes Mißtrauen gegen die Politik der Bundesregierung und der gleichgesinnten rot-grünen Opposition nähren.

 

Foto: Euro-Rettungsschirm: Künftig soll der deutsche Steuerzahler nicht nur für die Haushalte anderer Euro-Staaten, sondern auch für die verfehlte Geschäftspolitik in- und ausländischer Banken mithaften

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