© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/11 / 23. September 2011

Die Piratenjagd beginnt
Berlin: Nach dem Einzug ins Abgeordnetenhaus versuchen Politiker, Meinungsforscher und Medien, das Geheimnis des Erfolges zu ergründen
Lion Edler

Nach dem Einzug der Piratenpartei ins Berliner Abgeordnetenhaus hat bei Medien, Demoskopen und Politikern das Rätselraten begonnen: Wie ist die auf Bürgerrechte und Netzpolitik konzentrierte Partei einzuschätzen? Ist es nur eine Eintagsfliege oder ein Zukunftsprojekt, gar die neuen Grünen?

Eine Befragung von Infratest dimap im Auftrag des ARD-Morgenmagazins zeigt, daß der Erfolg der Piraten wohl auch in ihrem jungen und dynamischen Auftreten begründet liegt: 33 Prozent der Befragten sagten, die Piraten würden dafür sorgen, „daß endlich auch mal die Jüngeren was zu sagen haben“. Unter den Wählern der Partei mit einem Durchschnittsalter von 32 Jahren stimmten gar 93 Prozent der Aussage zu. Bezeichnend ist auch, daß 59 Prozent der Piraten-Wähler die Partei wählten, „um den anderen Parteien einen Denkzettel zu verpassen“.

Vielleicht glauben viele Wähler auch, daß es eine von Amateuren dominierte Partei auch nicht schlechter mache als die Etablierten. So vermutete der Tagesspiegel einen Grund für den Piraten-Erfolg darin, daß diese ein „Gegenmodell zu den pseudo-professionellen Parteien“ seien. Dagegen wählten laut der Forschungsgruppe Wahlen nur zehn Prozent der Piraten-Wähler die Partei wegen ihrer politischen Inhalte.

Mit diesem Protestpartei-Charakter ist wohl auch zu erklären, daß bei der Berliner Wahl nicht mehr nur die typische Klientel der „Computer-Nerds“, also vor allem junge Männer, die Piraten wählten. Zwar kommt die Partei nach einer ZDF-Analyse bei Männern auf überdurchschnittliche elf Prozent, doch auch bei den Frauen stand sie mit sieben Prozent nicht schlecht da. Und bei den Altersschichten ist die Akzeptanz der Partei nicht auf spätpubertäre Wählerschichten begrenzt. Bei den Unter-30jährigen kommt die Partei freilich auf überdurchschnittliche 15 Prozent. Doch auch bei den 45- bis 59jährigen liegen die Piraten noch bei neun Prozent der Stimmen. Erst bei den Wählern über 60 Jahre sinkt der Wert auf vier Prozent. Erfolg haben die Piraten auch bei Wählern mit höheren Bildungsabschlüssen: Während nur sechs Prozent der Bürger mit Hauptschulabschluß die Partei wählen, sind es bei Abiturienten 13 Prozent.

Daß die Partei bei wesentlichen Fragen Inkompetenz zeigte und in vielen Fragen unklar ausgerichtet ist, scheinen viele Wähler den Piraten nicht übelzunehmen. Die Mitglieder kämen aus den „progressiven Lagern aller Parteien“, sagt Martin Delius, der für die Piraten ins Abgeordnetenhaus einziehen wird. In der Tat scheint von linksradikal bis liberal alles dabei zu sein, wobei linke Strömungen deutlich die Überhand haben. Der Bundesvorsitzende Sebastian Nerz ist andererseits überraschenderweise ein ehemaliges CDU-Mitglied. Auch beim Blick auf die Kandidaten der Berliner Landesliste zeigen sich verschiedenste Weltanschauungen. Spitzenkandidat ist der 33 Jahre alte Industrieelektroniker Andreas Baum. Der Pirat ist vor allem durch einen Fernsehauftritt bekannt geworden, bei dem er mit seiner Schätzung für Schmunzeln sorgte, Berlin habe „viele, viele Millionen Euro“ Schulden (tatsächlich sind es rund 63 Milliarden Euro). Auf Platz 14 der Liste zieht Simon Kowalewski ins Abgeordnetenhaus ein und wird sich mit „Wohn-, Lebens-, Arbeitsformen“ beschäftigen. In einem Lebenslauf präsentiert er sich als früheres Mitglied der PDS, der Violetten und der linksextremistischen Antifa. Als „Radikalfeminist“ sei es sein Ziel, „Sexismen im Alltag aufzuzeigen und abzubauen“. Er unterstütze außerdem „Orte, an denen Menschen abseits der gängigen kapitalistischen Ordnung selbstverwaltet leben“. Doch es gibt auch Piraten, die andere Töne anschlagen. Auf Platz 3 der Liste etwa steht Pavel Mayer. Der Informatiker findet, daß die FDP als Koalitionspartner für die Piraten langfristig „am ehesten in Frage“ komme. Für die Linkspartei findet er harte Worte: „Sorry, aber die Kommunisten hatten ihre Chancen und haben es immer vergeigt.“

Seit der Wahl deutet sich ein offensiverer Umgang der anderen Parteien mit den Piraten an. Klaus Wowereit (SPD) teilte bereits einen Seitenhieb aus: „Genderpolitik ist bei den Piraten noch nicht angekommen – das ist kein Fortschritt, das ist Rückschritt.“ Damit spielt er darauf an, daß die Piraten Frauenquoten für Partei-Ämter ablehnen. Grünen-Spitzenkandidatin Renate Künast erklärte, man müsse nun „genau analysieren“, warum die Wähler Piraten wählten. Vor der Wahl wollte Künast die Piraten noch „resozialisieren“, was bei deren Anhängern überhaupt nicht gut ankam.

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