© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/11 / 16. September 2011

Der Islam und das Grundgesetz
Das Elend der Verharmloser
von Björn Schumacher

Thilo Sarrazins Islamkritik markiert einen Umbruch in den Schicksalsdebatten der Nation. Die Dämonisierung alles Konservativen lief erstmals auf ein Riff. Claudia Roths dumpfe Wutprosa („Quartalsirrer“) verpuffte ebenso wie der vorauseilende schwarz-grüne Koalitionseifer einer Angela Merkel, die Sarrazins Buch als „nicht hilfreich“ tadelte, ohne es gelesen zu haben.

Das konservativ-liberale Bürgertum wurde 2010 in einem kaum erwarteten Maße mobilisiert. Leidenschaftlich verteidigte es in Leserbriefen und Internet-Portalen seinen von Aufklärung und Christentum, von Familie und Nation geprägten Wertekanon gegen einen ebenso biederen wie aggressiven Kulturrelativismus. Der Begriff Kulturkampf mag überstrapaziert klingen. Aber wenn er sich doch noch sinnvoll gebrauchen läßt, dann hier. Ein aufrechter Sozialdemokrat wurde zum Vorkämpfer einer von CDU-Kanzler Helmut Kohl versprochenen, aber nie eingelösten „geistig-moralischen Wende“.

Wichtige Etappenziele sind durch die Mobilisierung des Bürgertums und die Bloßstellung seiner Gegner bereits erreicht. Linke und Linksliberale mögen auch weiterhin Sarrazins Anhänger als „fremdenfeindlich“ schmähen und über deren „Rechtsextremismus“ oder „Rechtspopulismus“ schwadronieren. Aber sie zahlen dafür einen hohen Preis: den schleichenden Verlust politischer und intellektueller Glaubwürdigkeit.

Wer in der Wagenburg seiner weltent-rückten Humanitätsbeflissenheit nicht mehr unterscheiden kann, ob der politische Gegner Menschen oder − wie Sarrazin − eine ambivalente Religion wie den Islam attackiert; wer insbesondere nicht erkennen kann oder will, daß zu dieser Religion neben friedvoll-spirituellen Elementen ein repressives Normengeflecht aus Koran und Scharia gehört, das mit Kriegserklärungen an „Ungläubige“ sowie arrangierten Ehen, Bekleidungspflichten und entwürdigenden Strafen den Alltag zahlreicher Muslime beherrscht; wer aus dieser gestörten Wahrnehmung heraus den Islam mit dem säkularen Christentum gleichsetzt und Privilegien des Staatskirchenrechts auch den vom türkischen Ministerpräsidenten gelenkten Moscheevereinen gewähren will, der kann sich in seriösen Debatten nicht länger als aufgeklärter Demokrat präsentieren. Er wird zunächst seine nach 1968 errungene Meinungshoheit und alsdann die politische Macht verlieren.

Allerdings könnte Rot-Grün im Gegenzug planen, sich aus muslimischen Zuwanderern ein stabiles Wählerreservoir zu schaffen. Diese Kalkulation könnte auf folgenden Eckpfeilern ruhen: Muslime stürzen sich in den „Kampf gegen Rechts“ und tolerieren bis zu einem gewissen Grad sogar familien- und genderpolitische Bocksprünge, kommen dank ihrer islamischen Wertorientierung aber nur teilweise in der Leistungsgesellschaft an und gehören als Empfänger von Transferleistungen dauerhaft zur Klientel linker Parteien. Will Rot-Grün die Muslime also „sozialdemokratisieren“, anstatt sie in ihr deutsches Adoptiv-Vaterland zu integrieren oder gar zu assimilieren?

Ein solches Projekt wäre indes naiv. Mangelhaft eingegliederte Zuwanderer mögen staatliche Transferleistungen schätzen. Die dahinterstehenden (Links-)Parteien betrachten sie aber als „kleineres Übel“. Ausgestattet mit deutschem Paß, werden sie bald Parteien nach dem Vorbild der türkischen Arbeiterpartei AKP gründen und wählen. Die eigentlichen Nutznießer der Massenzuwanderung sitzen nicht in den Berliner Zentralen von Rot und Grün, sondern in Ankara und anderen Hauptstädten des Orients. Ministerpräsident Erdogan, der das instinktsicher erkennt, stimmt Auslandstürken und türkischstämmige „Deutsche“ machtbewußt auf diese Ent-wicklung ein.

Naive Islamverharmlosung kennzeichnet auch die Streitschrift des FAZ-Feuilletonchefs Patrick Bahners: „Die Panikmacher“. Bahners gehört nicht zu jenen Linksliberalen, die den Kulturrelativismus mit der Muttermilch eingesogen haben. Der rheinisch-westfälische Katholik und „lautere Donaldist“ (Donald-Duck-Anhänger) ist ein intellektueller Sonderling, der mitunter auf prämodernen Gedankenpfaden wandelt. Seine Aversion gegen Islamkritiker gründet auf einem Bild der Frau, das deren Entrechtung zum Ausdruck höchster Wertschätzung umdeutet.

Vor die Wahl gestellt, lieber frei oder lieber „wertvoll“ zu sein, würden sich Muslima mit vernünftiger Schulbildung mehrheitlich für die Freiheit entscheiden. Bahners interessiert das aber nur am Rande. Empört über einen angeblichen „Fundamentalismus der Aufklärung“, singt er das Hohelied des Kopftuchs: „In Tücher eingehüllt wird normalerweise das Kostbare. Die Verschleierung ist ein Indiz der Vornehmheit.“

Bodenständiger ist der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), von Necla Kelek jüngst als strippenziehendes, gegen mißliebige Autoren agitierendes „Politbüro“ enttarnt. Dessen Vorsitzender Klaus J. Bade, ein „Multikulti-Einflüsterer“ (JF 21/11), stützt seine Forderung nach Masseneinwanderung mit fragwürdigen Statistiken. 2010 veröffentlichte der SVR ein „Integrationsbarometer“ zur Akzeptanz von Zuwanderung. Als Necla Kelek ihm vorhielt, 80,5 Prozent der von ihm Befragten hätten fremdländische Wurzeln, räsonierte Bade über die Notwendigkeit „kleinteiliger Analysen innerhalb der Bevölkerung mit Migrationshintergrund“ und verwies auf die Herkunft des SVR „aus der Bürgergesellschaft“.

Hier sollte man Bade beim Wort nehmen. Wer seine Statistiken nach den Erkenntnisinteressen einer „Bürgergesellschaft“ ausrichtet, muß folgerichtig das Meinungsspektrum der Deutschen erhellen, denn nur diese haben nach dem Grundgesetz den Status eines Bürgers. Wie denken autochthone Staatsbürger, wie denken eingebürgerte Immigranten über Zuwanderung und Leitkultur? Die überragende Bedeutung der Fragen folgt dem Demokratieprinzip. Oder wie es im Artikel 20 des Grundgesetzes heißt: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“

Das Staatsvolk und keine aus Einheimischen und Immigranten zusammengewürfelte „Bevölkerung“ hat darüber zu entscheiden, ob und gegebenenfalls in welcher Zahl, aus welchem Herkunftsland, mit welchem rechtfertigenden Grund Zuwanderung stattfindet und nach welchen persönlichen Merkmalen die Zuwanderer auszuwählen sind. Nur das Volk darf über notwendige Anpassungspflichten dieser Nicht-EU-Ausländer und staatliche Sanktionen im Falle einer Pflichtverletzung entscheiden.

Einen eher unkritischen Umgang mit dem Islam pflegen auch die Integrationsminister und -beauftragten von Bund und Ländern. Selbst demokratische Freiheitsrechte werden zur Manövriermasse, wenn es um die Belange muslimischer Zuwanderer geht. So nahm die CDU-Integrationsministerin Niedersachsens, Aygül Özkan, eine Aushöhlung der Pressefreiheit in Kauf, als sie von den Medien eine Selbstverpflichtung zur „Unterstützung des Integrationsprozesses“ sowie eine „kultursensible Sprache“ forderte.Armin Laschet, früherer CDU-Integrationsminister Nordrhein-Westfalens und Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, begreift Multikultur als ökonomische Bereicherung. Er kritisiert Sarrazins „gruppenbezogenes Denken“ und betont die Individualität des Menschen, dessen persönliche Fähigkeiten und Neigungen ihm einen befriedigenden Werdegang ermöglichen könnten, wenn sie nur angemessen gefördert würden.

Dieser milde Linkskatholizismus entlarvt sich als Luftschloß. Erstens berück-sichtigt Laschet kaum, daß der Mensch neben seiner individuellen auch eine kollektive Identität hat. Er ist nach Aristoteles ein durch kulturelle Sitten und Konventionen geformtes Gemeinschaftswesen. Zweitens läßt Laschet außer acht, daß die religiös-kulturellen Grundlagen des Islam, die als „überstaatliches (Natur-)Recht“ fungierenden Koran und Scharia, den Muslim nicht als eigenverantwortliches Individuum, sondern als Mitglied einer Gemeinschaft aller Gläubigen (Umma) behandeln, das seine persönliche Freiheit bedingungslos dem göttlichen Gesetz unterzuordnen hat.

Konsequenterweise enthalten die Gesetzbücher fast aller mehrheitlich von Muslimen bewohnten Länder einen „Scharia-Vorbehalt“. Das bedeutet: Allahs göttliches Gesetz ist ranghöchstes Verfassungsrecht dieser Länder. Der Scharia oder dem Koran widersprechende Parlamentsgesetze und Regierungsverordnungen sind ungültig und werden aussortiert von Richtern, die sich als Vollstrecker des göttlichen Willens verstehen. Krasser kann der Gegensatz zu den demokratischen Rechtsstaaten des Westens mit dem Volk als gesetzgebendem Souverän kaum sein. Zwar kennt die kemalistisch verfaßte Türkei den Scharia-Vorbehalt nicht. Wie lange das angesichts der zunehmenden Islamisierung des Landes so bleiben wird, ist freilich offen.

Laschet sei zugestanden, daß nicht wenige Muslime in Mitteleuropa der Scharia distanziert gegenüberstehen und im großen und ganzen „integriert“ sind. Auf unzählige andere trifft das aber nicht zu. „Was nutzt in Anatolien die Freiheit, die in den Straßen der Metropole Istanbul pulsiert?“ fragt die Buchautorin und Migrantin Inci Y. Einstweilen offenbaren die Parallelgesellschaften deutscher Städte mehr Anatolien als Istanbul. Damit diese Entwicklung nicht fortschreitet, bedarf es zuallererst einer Begrenzung und Kontrolle der Masseneinwanderung nach Maßgabe der sozialen, kulturellen und ökonomischen Interessen Deutschlands.

Der Begriff Integration wird dadurch nicht obsolet. Er benötigt indes einen präzisen, vom Volk akzeptierten Inhalt. Die Beherrschung der deutschen Sprache ist lediglich eine notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung erfolgreicher Eingliederung. Die aus Nordafrika stammenden Randalierer der Trabantenstädte von Paris und Marseille sprechen fließend Französisch.

Zur Sprachkompetenz muß sich die innere Akzeptanz des deutschen Adoptiv-Vaterlands und seiner Verfassung gesellen. Deren Wesenskern ist die freiheitlich-demokratische Grundordnung mitsamt der Trennung von Religion und Staat. Hier setzt die Islamkritik des Staatsrechtlers Karl Doehring an. In seinem Aufsatz „Niemand kann zwei Herren dienen“ (FAZ, 23. September 2010) betrachtet der mittlerweile verstorbene Doehring den geplanten Islam­unterricht an Universitäten im Lichte des Spannungsverhältnisses zwischen der Lehrfreiheit und dem Gebot der Verfassungstreue nach Artikel 5 des Grundgesetzes.

Diesen Konflikt kann ein sich seiner abendländischen Wurzeln bewußter Staat nur im Sinne der Verfassungstreue lösen. Danach darf die Bundesrepublik grundgesetzfeindliche Islamlehrer und Lehrinhalte von den Universitäten fernhalten, aus der Summe von Koran und Scharia verfassungskonforme Lehrinhalte bilden und die Entwicklung eines eingehegten, säkularen „Euro-Islam“ mitgestalten. Der weltanschaulich neutrale Staat als Religionsstifter – ein kühnes Projekt mit ungewissem Ausgang! Aber welche Alternativen gibt es dazu? Eine Unterdrückung des spirituellen Islam würde die grundgesetzlich verbürgte Religionsfreiheit verletzen, eine unkontrollierte Ausbreitung des politischen Islam die freiheitlich-demokratische Grundordnung sprengen und Deutschland ins Chaos stürzen.

 

Dr. Björn Schumacher, Jahrgang 1952, ist Jurist und hat die Studie „Die Zerstörung deutscher Städte im Luftkrieg“ (Graz 2008) verfaßt. Zuletzt schrieb er auf dem Forum über die EU-Integration. („Das europäische Dilemma“, JF 25/10).

Foto: Kommen die Euro-Muslimas Traditionelle Koranauslegung und Scharia sind mit dem weltanschaulich neutralen Staat inkompatibel

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