© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/11 / 16. September 2011

Kollege Künstler und das Kollektiv
Chronos ist unerbittlich: Eine Ausstellung im Dresdner Albertinum zeigt Künstlerbildnisse in der DDR
Sebastian Hennig

Der Anblick von Warteschlangen vor den Geschäften war charakteristisch für den verwalteten Mangel der DDR. Aber auch zu bedeutenden Sonderausstellungen im Dresdner Albertinum zogen sich die Reihen bis auf die Brühlsche Terrasse. Und das geschah nicht nur zur großen Paul-Klee-Retrospektive 1983, sondern durchaus auch anläßlich der zentralen Kunstausstellungen des Landes und des Bezirkes am gleichen Ort.

Seit der Rekonstruktion des Gebäudes wird dessen Hängefläche vollständig von der Sammlung der Galerie Neue Meister eingenommen, bis auf einen einzigen kleineren Raum, der Wechselausstellungen vorbehalten bleibt. Die vierte Folge der Reihe „Schaukabinett“ zeigt dort nun Künstlerbildnisse aus der DDR. Ein Teil der ausgestellten Gemälde gelangte unmittelbar aus den periodischen Leistungsschauen in die Sammlung, sozusagen noch mit feuchter Malschicht. Andere Bilder fanden als Aufträge oder Ankäufe der Bezirksverwaltung und des Rates der Stadt den Weg in das Museum. Der verbleibende Anteil stammt aus Privatbesitz.

Von dorther gelangte beispielsweise das „Bildnis Angela“ (1983) des Szene-Malers Wolfram Adalbert Scheffler in den Bestand. Scheffler folgt dem expressiven Gestus der zeitgleichen „Neuen Wilden“ der BRD, denen er sich bald darauf per Ausreise auch geographisch zur Seite stellt. Die porträtierte Malerfreundin Angela Hampel dagegen bleibt im Elbtal. Aber ihre Bilder gelangen über die Sammlung Ludwig an den Rhein, wo sie von einer Generation zorniger junger Maler künden, die der Stagnation des DDR-Systems mit aufrührerischer, aber auch geförderter Expressivität begegnen. Denn wer Durchhaltevermögen besaß, der konnte schließlich noch ohne größere Kompromisse reüssieren. Der Ankauf des Scheffler-Bildes sollte 1993 wohl korrigieren, was ihm durch die zeitige Ausreise entgangen ist.

Diese Seltsamkeiten zeigen, daß es auch seit 1989 nicht einfach um die gute Malerei geht, die in einem bestimmten Zeitraum in einem bestimmten Gebiet entstanden ist. Dann wäre die Ausstellung nicht so heterogen. Den vermuteten Widerspiegelungen der Zeitumstände in den Bildern wird immer noch mehr Bedeutung eingeräumt, als den geniun künstlerischen Qualitäten derselben. So ist die Ausstellung zugleich Bestandteil des „Bildatlas: Kunst der DDR“, einem Gemeinschaftsprojekt von Kunstsammlungen, Universität, dem Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam und dem Kunstarchiv Beeskow, in dem ein großer Teil der Werke aus dem einstigen Besitz der DDR-Massenorganisationen aufbewahrt sind.

Aus jeder Sammlung, die über einen weiten Zeitraum zusammengetragen wurde, scheiden sich nach und nach die nur zeitgeschichtlich relevanten Artefakte von den Kunstwerken. Chronos ist da unerbittlich und er hat auch unter den nun ausgestellten Werken schon gewaltet. Manches Bild, das seinerzeit die Aufmerksamkeit fesselte, wirkt inzwischen antiquiert. Bernhard Heisigs süßliches Bildnis „Der Maler Paul Michaelis“, Willy Wolffs Anknüpfung an die britische Spielart der Popart, Arno Rinks metaphorisch überspannte „Versuchung“ und Schefflers quietschbuntes Gebilde repräsentieren jeweils zwei Seiten einer Medaille, die außer Kurs gesetzt wurde.

Aber eine Malerei, die nie jung oder tagesfrisch war, die altert auch nicht. „Selbstbildnis im Atelierspiegel“ (1974) von Siegfried Klotz steht für die unbeirrte, aber auch etwas ratlose Fortsetzung der regionalen Tradition eines malerischen Sensualismus. An der Dresdner Akademie ließ sich bis vor kurzem diese Überlieferung über lehrende Enkelschüler bis auf die Impressionisten der vorletzten Jahrhundertwende zurückverfolgen. Der DDR eignete eben in mancher Hinsicht auch eine konservierende, aufhaltende Wirkung.

Dem offiziellen Hinweis auf Wilhelm Leibl, Adolph von Menzel, Albrecht Dürer und die russischen Naturalisten setzten einige eigenwillige Künstler bald ihre selbstgewählten Vorbilder unter den Alten entgegen. Für Peter Graf waren es Antoine Watteau und Gustave Courbet, aber auch ein italienischer Manierist wie Parmigianino. An dessen 1524 entstandenes „Selbstbildnis im Konvexspiegel“ hat Graf 1971 sein „Selbstbildnis mit Papagei“ angelehnt. In der drei Jahre darauf entstandenen „Allegorie mit Heuschrecke“ zitiert er dann noch einmal sein Renaissance-Zitat. Das Tondo hängt hinter einer Frau im roten Morgenmantel. Gegenüber wölbt sich der perlmuttene Busen einer anderen Schönen plastisch aus dem Staffelei-Bild über einem ruhenden Kater in den Raum. Dazwischen steht unter einer schlichten Küchenlampe ein Kerzenständer. Auf dem Hof der Flamme sitzt eine große Heuschrecke. Dieses Bild, das vielleicht die größte Distanz aller gezeigten Werke zum – wie auch immer verstandenen – DDR-Zeitgeist aufweist, wurde 1987 direkt vom Künstler erworben. Es erschließt einen Bereich, in dem weder Anpassung noch Opposition wirksame Bezeichnungen darstellen.

Das früheste Bild wird genaugenommen noch gar nicht vom Ausstellungstitel erfaßt. Im Hungerwinter 1947 ist Erich Gerlachs Selbstbildnis entstanden. Mit einem knospenden Birkenzweig steht der ernst dreinschauende Maler gebeugt vor einer Ruinenstraße, die von abgefackelten Baumtorsi flankiert wird. In der Ferne sind die Stümpfe der Türme von Dresden zu sehen. Der strenge Winter wirkt aber zugleich mildtätig für das Auge: Die Schneedecke birgt die verstümmelte Stadt wie ein Leichentuch.

Die Ausstellung „Das Ich im Wir. Künstlerbildnisse in der DDR“ ist bis zum 30. Oktober in der Galerie Neue Meister/Schaukabinett, Albertinum, Tzschirnerplatz 2, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr. zu sehen. Telefon: 03 51 / 49 14 20 00

www.skd.museum/de

www.bildatlas-ddr-kunst.de

Foto: Bernhard Heisig, Der Maler Paul Michaelis (Öl auf Leinwand, 1973): Außer Kurs gesetzt

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