© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/11 / 16. September 2011

Staatliche Angstmacherei
Euro-Krise: Eine Rückkehr zur D-Mark wäre keine Katastrophe für die deutsche Realwirtschaft / Viele Vorteile
Bernd Noske

Es gibt keine Rückkehr zur D-Mark“, dekretierte Angela Merkel im Januar via Stern. Auch zu einer Aufspaltung der Euro-Zone in einen stabilen Norden und einen lockeren Süden sagte die Kanzlerin „ganz klar nein“. Die Begründung dafür lautet: „Scheitert der Euro, scheitert Europa.“ Der Euro sei „viel, viel mehr als eine Währung“, nämlich „der Garant eines einigen Europas“, so die CDU-Chefin vorige Woche in der Generaldebatte im Bundestag.

Da solche EU-Lyrik angesichts der milliardenschweren Rettungspakete keine Begeisterung im Volk auslöst, soll nun trockene Ökonomen-Expertise ran. Die sonst merkelfeindliche Frankfurter Rundschau machte vorige Woche den Anfang und verwies dabei auf eine angebliche Studie der KfW-Bankengruppe über die „Abschätzung des quantitativen Vorteils des Euro für Deutschland gegenüber einer fiktiven D-Mark“.

Deren Kernaussage ist: „Legt man die getroffenen Annahmen zugrunde, dann kommt man zu dem Ergebnis, daß Deutschland durch die Mitgliedschaft in der Eurozone in den letzten beiden Jahren einen Wachstumsvorteil zwischen zwei und 2,5 Prozentpunkten (zusammen über beide Jahre, also etwa ein bis 1,25 Prozentpunkte pro Jahr) und damit im Bereich von 50 bis 60 Milliarden Euro realisiert hat.“

Doch das vielzitierte Papier stammt schon vom 1. Juli 2011, und es verwundert, warum es erst auf dem Höhepunkt der parlamentarischen Debatte über die Erhöhung des deutschen Beitrags zum Euro-Rettungsschirm EFSF veröffentlicht wird. Die KfW ist eine Staatsbank und kein unabhängiges Forschungsinstitut. Die „Studie“ besteht nur aus vier Seiten. Sie wird von der KfW selbst nur als „Notiz“ bezeichnet, und es wird eingeräumt: „Trotz aller sorgfältigen Recherche ist es aber die große Unsicherheit dieser Annahmen, welche das Ergebnis der Berechnung lediglich zu einem groben Anhaltspunkt werden lassen.“

Schwerwiegender sind aber die sachlichen Probleme. Als erster Faktor wird der aus einer wahrscheinlich 15 Prozent stärkeren fiktiven D-Mark (gegenüber dem faktischen Euro) resultierende Wachstumsverlust des Bruttoinlandsproduktes (BIP) erwähnt. Dabei wird sich auf unspezifizierte „Forschungsergebnisse der Deutschen Bundesbank sowie Expertenbefragungen“ bezogen. Wie es zu diesem behaupteten Wachstumsverlust kommt, wird nicht beschrieben. Man darf aber wohl annehmen, daß eine Einbuße beim deutschen Export (er stellt 48,9 Prozent des BIP) gemeint ist.

Was aber für den Export zutrifft, gilt dann mit umgekehrten Vorzeichen auch für den Import. Deutschland ist auf die Einfuhr von Rohstoffen, Energie, Halbfertigerzeugnissen und Konsumgütern angewiesen. Über 40 Prozent der deutschen Exporte bestehen aus importierten Vorprodukten. Diese würden um 15 Prozent billiger werden, was die Inflationsrate senkt – unmittelbar über die importierten Güter und mittelbar über die weiterverarbeiteten Importgüter.

Ein niedrigerer Preisindex für die Lebenshaltung könnte die Gewerkschaften zu Lohnzurückhaltung veranlassen, da sie nicht mehr befürchten müssen, daß Inflation den Lebensstandard gefährdet. Das niedrigere Preisniveau könnte die Bundesbank, die der Preisstabilität verpflichtet ist, veranlassen, die Zinsen niedrig zu halten. Hier geht die KfW-Notiz aber ohne Begründung davon aus, daß mit einem „stärkeren Aufwertungstrend der D-Mark auch steigende Notenbankzinsen einhergehen“ würden, die dann einen negativen Einfluß auf das Investitionsvolumen hätten. Dies ist ein weiterer Schwachpunkt der Analyse.

Sinkende Importpreise, Lohnzurückhaltung und niedrigere Zinsen hätten einen dämpfenden Einfluß auf die Kosten der Exportindustrie. Dieses Potential stünde den Firmen zur Verfügung, um die bei Aufwertung eintretende Preissteigerung ihrer Produkte in Drittländern ganz oder teilweise gewinneutral zu kompensieren. Eine starke D-Mark macht zudem deutsche Auslandsinvestitionen – etwa in wichtige Rohstoffquellen – billiger. Auch der Auslandsurlaub würde kostengünstiger – trotz der dann wieder entstehenden Geldwechselgebühren von ein bis zwei Prozent.

Dazu kommt ein weiterer wesentlicher Gesichtspunkt: Deutschland exportiert in erster Linie Industriegüter wie Maschinen, Vorrichtungen, Werkzeuge oder Halbfabrikate, die in die Produktionsprozesse der Unternehmen in den Importländern eingehen. Solche Erzeugnisse sind in der Regel nicht so preissensibel wie Massenkonsumgüter. Die ausländischen Unternehmen wollen für ihre komplexen und kostspieligen Produktionsprozesse und deren Komponenten nur beste Qualität, um eine zuverlässige und reibungslose Produktion mit geringen Stillstandszeiten und Ausschußquoten zu gewährleisten.

Qualität geht hier vor Preis, dafür ist „Made in Germany“ weltbekannt. Wechselkurse sind daher nicht die allein entscheidende Bestimmungsgröße für Exporte. Die Schweiz hat seit 2007 eine Aufwertung von fast 40 Prozent verkraftet, dennoch wird in diesem Jahr mit einem Wirtschaftswachstum von 1,9 Prozent gerechnet. 1970 bekam man für einen Dollar noch 3,49 D-Mark, 1995 waren es nur noch 1,43 D-Mark.

Deutschland hat in den D-Mark-Aufwertungsphasen keine nennenswerten Einbrüche im Export seiner Industriegüter erlitten. Die erschwerten Marktbedingungen waren vielmehr Stimulus, die deutschen Produkte weiter zu verbessern und über den Qualitätswettbewerb den Preiswettbewerb zurückzudrängen. Hinzu kommt: Verlassen Deutschland und andere stabile Länder die Euro-Zone, dürfte der Rest-Euro kräftig abwerten. Das könnte die Exporte und die Konjunktur beispielsweise von Frankreich, Italien oder Spanien wieder beleben und so die deutschen Absatzchancen auf diesen Märkten sogar verbessern.

Alles in allem ist es höchst ungewiß, ob eine Aufwertung der fiktiven D-Mark um die von der KfW unterstellten 15 Prozent überhaupt zu einem nennenswerten Absatzeinbruch deutscher Exportgüter führen würde. Dagegen wäre die durch das niedrigere Zinsniveau ausgelöste Belebung der Investitionstätigkeit als positiver Faktor zu berücksichtigen. Wenn die Bundesbank wieder die Geldversorgung übernimmt, könnte sie die Leitzinsen zudem besser dem deutschen Wirtschaftszyklus anpassen.

Zehn der 27 EU-Staaten sind nicht im Euro-Klub, darunter gewichtige Länder wie Großbritannien. Polen verbuchte in der Weltfinanzkrise als einziger EU-Staat ein Wirtschaftswachstum. Das Exportland Schweden verzeichnete voriges Jahr ein Wachstum von 5,5 Prozent, für 2011 rechnet die Regierung mit 4,8 Prozent – ganz ohne Euro.

Angesichts all dessen ist es unverantwortlich, für den Fetisch Euro mit zirka zwei Drittel des Bundeshaushalts ins Risiko zu gehen, um eine Währungsunion so unterschiedlicher Staaten und Mentalitäten zu retten, die früher oder später ohnehin scheitern wird.

Notiz „Vorteil des Euro für Deutschland“:

www.kfw.de

Foto: D-Mark – Garant des Wirtschaftswunders: Trotz 200prozentiger Aufwertung im Vergleich zum Dollar wurde Deutschland Exportweltmeister

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