© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/11 / 16. September 2011

Roms Krise – Bozens Chance
Südtirol: Der Spruch „Bei Italien geht es uns wirtschaftlich gut“ findet immer weniger Anhänger / SVP setzt weiter auf Rom
Hans Gernheim

Das Schuldengespenst geht um in Europa – und es trifft vor allem auch Italien. Nach jahrzehntelangem Schlendrian in der Haushaltspolitik, schlittert Italien nun zielsicher in eine ernste Krise. Während Rom in chaotischen Rettungsversuchen dilettiert, macht sich in der Autonomen Provinz Südtirol der Ruf nach einer Zukunft ohne Italien bemerkbar.

Besonders die erfolgreiche Wirtschafts- und Finanzpolitik kommt den Bürgern Südtirols zugute. Kaum öffentliche Verschuldung, florierende Unternehmen, großzügige Wirtschaftsförderung und vor allem Vollbeschäftigung – das sind die beeindruckenden Kennzahlen des Südtiroler Autonomiemodells. Bisher zumindest. Die großzügige finanzielle Absicherung der Südtiroler Autonomie gerät unter dem Eindruck des allgemeinen Sparzwanges immer mehr in das Blickfeld der Zentralregierung. So soll sich auch Südtirol am Sparhaushalt beteiligen und zwar überdimensional stark.

Durch den Druck aus Rom wird die Südtiroler Landesregierung gezwungen, Einsparungen vorzunehmen. Für die beihilfenverwöhnte Wirtschaft Südtirols eine neue Erfahrung. „Bei Italien geht es uns wirtschaftlich gut“ – so das Credo des Südtiroler Landeshauptmannes Durnwalder (SVP). Seit 22 Jahren regiert er mit absoluter Mehrheit das Land und ließ nie einen Zweifel daran aufkommen, daß Italien zwar nicht das Vaterland der Südtiroler sei, eine Volksabstimmung über die staatliche Zugehörigkeit Südtirols aber nicht in Frage komme. Die patriotischen Oppositionsparteien sind da schon einen Schritt weiter: die Autonomie soll nur der Zwischenschritt für eine Loslösung von Italien sein. Das Ziel sehen die Freiheitlichen in einem souveränen Freistaat Süd-Tirol. Die Südtiroler Freiheit, die zweitgrößte Oppositionspartei der deutschen Volksgruppe, bevorzugt eine Abspaltung mit offenem Ausgang. Ob Rückkehr zu Österreich oder Freistaat soll erst als zweiter Schritt erörtert werden. Es klingt nach Phantasterei, aber in Südtirol fallen diese Gedankenspiele auf fruchtbaren Boden. Selbst die Grünalternativen überraschten im Juli mit Sympathien für einen „ökologischen, multikulturellen, europäischen Freistaat“.

Und die regierende Südtiroler Volkspartei? Für die SVP hat sich bisher nur Parteiobmann Theiner zu Wort gemeldet. „Vollautonomie“ sei das Ziel, so Theiner. Bei Italien soll nur mehr die Außen-, Verteidigungs- und Währungspolitik verbleiben, für alles andere solle Südtirol zuständig sein. Doch Theiner steht allein. Denn Landeshauptmann Durnwalder scheinen diese Diskussionen nicht zu kümmern. Entsprechend ließ der „überzeugte Europäer“ im traditionellen Sommergespräch mit der Presse wissen, daß Südtirol seinen Teil zur Sanierung Italiens beitragen müsse, denn „alle“ säßen „im selben Boot“. Von Selbstbestimmung keine Spur.

Wenn der Landesvater da nur nicht die Rechnung ohne den Wähler gemacht hat. Denn „Bei Italien geht es uns wirtschaftlich gut“ ist mittlerweile nicht mehr das beste Argument, um jede Zukunftsvision abzublocken.

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