© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/11 / 16. September 2011

Mit Zuckerbrot und Peitsche
Euro-Rettungsschirm I: Die Bundestagsfraktionen verfügen über zahlreiche Mittel und Wege, um Abweichler wieder auf Kurs zu bringen
Paul Rosen

Fraktionen sind nicht nur, wie der Name sagt, Teile des Parlaments, sondern zugleich Stoßtrupps. Die Truppen der Opposition müssen dem Regierungslager so gut wie es geht zusetzen, und die Fraktionen des Regierungslagers verteidigen die Macht. Für Abweichler ist da kein oder wenig Platz; sie gelten in der großen Schar grauer unbekannter Abgeordneter als „Kameradenschweine“, die oft in der Presse, aber selten in den anstrengenden Arbeitsgruppensitzungen zu finden sind. Vom Abgeordneten im Sinne des Grundgesetzes, der nur seinem Gewissen verpflichtet ist, ist in der Praxis nichts mehr übriggeblieben.

Die Debatte um die Erweiterung des Euro-Rettungsschirms und die für 2013 vorgesehene Gründung des dauerhaften Rettungsschirms namens ESM beweist, welch geringen Stellenwert der einzelne Abgeordnete im Bundestag noch hat. Die Mehrheit zur Erhöhung der Garantien für die europäische Kreditaufnahmemaschine im Bundestag ist erdrückend. Vier von fünf Fraktionen sind auf jeden Fall dafür. Die Linkspartei ist grundsätzlich auch dafür, aber die Umverteilung in Europa geht ihr noch nicht weit genug.

Eigentlich ist es egal, ob 25 Abgeordnete der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion Bundeskanzlerin Angela Merkel die Gefolgschaft verweigern, indem sie in einer Probeabstimmung gegen den Rettungsschirm stimmten oder sich enthielten. Merkel könnte in den Reihen der SPD und der Grünen aus dem vollen schöpfen und sich sogar eine verfassungsändernde Mehrheit besorgen.

Dennoch laufen in diesen Tagen wieder Prozesse in den Koalitionsfraktionen ab, als ginge es um die Sicherung knapper Mehrheiten. Wer sich in den Probeabstimmungen enthielt oder sogar dagegen war, darf zu Einzelgesprächen antreten. Zumeist führen die Parlamentarischen Geschäftsführer, eine Art Hirtenhunde der Fraktionsvorsitzenden, diese Gespräche. Der Inhalt: Falls der oder die Abgeordnete aus der Fraktionsdisziplin ausscheidet, ist nicht auszuschließen, daß es bei der nächsten Ausschußbesetzung für einen Sitz im Lieblingsausschuß nicht mehr reicht, daß der neue Referent erst später kommt, der Umzug ins Büro mit den schönen großen Eckfenstern leider nicht klappt und die nächste Auslandsreise nach Südamerika bedauerlicherweise gestrichen werden muß.

Nur wem klar ist, wie wichtig diese Dinge für die meisten Abgeordneten sind, weiß, welch durchschlagende Wirkung bereits diese scheinbar kleinen Druckmittel haben. In hartnäckigeren Fällen werden das Kanzleramt über einen Minister und die Fraktionsvorsitzenden tätig. Die Sirenengesänge aus dem Kanzleramt haben oft die angebliche Wertschätzung der Regierungschefin für den Abgeordneten zum Inhalt. Bei der nächsten Regierungsumbildung könne man sich vorstellen, daß wenigstens aus dem Parlamentarischen Staatssekretärsposten was wird ... Nur wer weiß, welch hohe Pensionsansprüche diese Frühstücksdirektorenposten haben, kann die Wirkung solcher (im Regelfall später gebrochenen) Versprechen richtig einschätzen. Ist mit Engelszungen nichts zu machen, kann es auch passieren, daß Widerständler vor versammelter Mannschaft in der Fraktionssitzung niedergemacht werden.

In Fällen wie Frank Schäffler (FDP), Klaus-Peter Willsch (CDU) oder Peter Gauweiler (CSU) hilft auch das alles nicht mehr. Hier lautet die Strategie Isolation. Gauweiler habe in den vergangenen sechs Jahren ganze vier Minuten Redezeit erhalten, hat jemand nachgerechnet. Gauweiler sitzt noch im Bundestag, weil er in seinem Münchner Wahlkreis immer von der Parteibasis direkt aufgestellt und von den Wählern ins Parlament entsandt worden war. Als Listenabgeordneter hätte er vermutlich keine Chance gehabt. Schäffler hat es nicht so einfach, sondern muß sich bei der nächsten Kandidatenaufstellung um einen guten Listenplatz auf der nord-rhein-westfälischen FDP-Landesliste bemühen. Reden zum Euro darf Schäffler für seine Fraktion nicht mehr. Eines haben Willsch, Gauweiler und Schäffler und die wenigen anderen Kritiker gemeinsam: In diesem Parteiensystem werden sie nichts mehr. Das schreckt potentiell Gleichgesinnte ab.

Der in der hessischen CDU tief verwurzelte Willsch, der zur gut vernetzten Gruppe der Haushaltsexperten gehört, könnte sich dabei als größeres Problem für Merkel und Fraktionschef Volker Kauder erweisen. Hier könnte man es mit einer Wegbeförderung versuchen. Erinnert sei an den CDU-Haushaltsexperten Bernhard Friedmann, einen Vorgänger von Willsch, der in den achtziger Jahren als Einzelkämpfer in der Fraktion für eine operative Bonner Wiedervereinigungspolitik eintrat und sich den Haß von Kanzler Helmut Kohl zuzog. Der Visionär Friedmann wurde zum Europäischen Rechnungshof entsorgt und geriet in die (hochbezahlte) Vergessenheit.

Als zusätzliches Druckmittel wird inzwischen das jüngste Verfassungsgerichtsurteil zur Griechenland-Hilfe eingesetzt. Wenn selbst schon Karlsruhe die Griechenland-Hilfe billige, dann könne man doch nichts mehr dagegen haben, apellieren die Fraktionsführungen. Die Umsetzung der Vorgaben des Gerichts, zum Beispiel die bessere Beteiligung des Parlaments, dient den Befürwortern als Argumentationshilfe nach dem Motto: Wir haben alles gemacht, was das Gericht wollte, und jetzt können wir auch alle geschlossen zustimmen.

Nur das Gefühl, die bessere Lösung zu vertreten und die überzeugenderen Argumente vorgetragen zu haben, das will bei der großen Mehrheit einfach nicht aufkommen.

Foto: Plenarsaal im Reichstag: Bei ganz hartnäckigen Abgeordneten hilft nur noch Isolation

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