© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/11 / 09. September 2011

Der Flaneur
Treibgut in der Strömung
Felix Springer

Den Rucksack nur ganz provisorisch über die Schultern geworfen, hetze ich durch die Wohnungstür die Treppe hinab. Der Fahrer meiner angestammten Busverbindung ist ausgetauscht worden und da der Neue immer pünktlich ist, muß auch ich mich mit ungewohnter Strenge an meinen eigenen Zeitplan halten.

Als letzter dränge ich mich in den Bus und murmele, noch leicht überatmet, dem Mann am Plastiksteuer eine unverbindliche Begrüßung zu – wie jeden Morgen. Er versteht mich wohl, antwortet  aber nie. Wie viele Busfahrer in dieser Gegend ist der Mann Serbe und schweigsam. Seine in Haltung und Mimik sedimentierte Welterfahrung präsentiert mir eigentlich keinen hemdsärmeligen, vertragsmäßig angestellten Busfahrer – er muß einer der Männer sein, die ihren Ort in der Welt mehr dulden als sie ihn befestigen.

Wir finden alle unseren Sitzplatz und das Fahrzeug schert aus der Haltebucht in den Straßenverkehr zurück. Vor einer langgezogenen Kurve hat die Verkehrspolizei eine Anlage eingerichtet, die jedem Fahrer in leuchtenden Ziffern seine Geschwindigkeit anzeigt. Ich bemerke, daß sich nur zufällig manchmal einer an die Richtgeschwindigkeit hält, die meisten fahren kalkuliert und vollkommen sanktionslos ein wenig schneller.

Bei dieser Maßnahme beschränkt sich der erzieherische Anspruch  auf den beiläufigen Appell an die Vernunft des Verkehrsteilnehmers, der Verweis auf die Existenz einer Ordnung tritt an die Stelle von deren Durchsetzung. Eine Ecke weiter, am Ortsausgang, hat der Wind einiges Stroh auf den Asphalt geweht. Statt den Besen in die Hand zu nehmen, hat man ein Warnschild „Fahrbahn verschmutzt!“ aufgestellt.

Zweifach beeindruckt steige ich aus und gehe noch ein Stück am Fluß entlang. Die Strömung trägt heute mehr Treibgut als sonst: Schwere Regenfälle haben dem Wasser in diesen Tagen Kraft gegeben.

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