© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/11 / 09. September 2011

Der globale Kollaps ist möglich
Eine Neueinschätzung der „Grenzen des Wachstums“ / Wassermangel und Bodenverschlechterung
Klaus Pohl

Die von jeher düster-apokalyptisch grundierte ökologische Textproduktion über die Zukunft der Menschheit und die nahe Unbewohnbarkeit ihres blauen Planeten ist jüngst etwas aufgehellt worden. Vor allem außerhalb wissenschaftlicher Diskurse freut man sich über das vermeintliche Ausbleiben der „Überbevölkerung“ noch im Verlauf des 21. Jahrhunderts. Das 1972 vom Club of Rome errechnete ökologisch verträgliche Maximum einer Weltbevölkerung von 8,2 Milliarden Menschen wird voraussichtlich nur unwesentlich überschritten.

Der Aachener Studiendirektor Norbert von der Ruhren hält von solchen Beruhigungspillen freilich nichts (Geographie und Schule, 192/11). Ebenso wenig von der pauschalen Kritik, die der berühmte Club-of-Rome-Report über „Die Grenzen des Wachstums“ in der Rückschau von fast 40 Jahren erntete, nur weil sich etwa Vorhersagen über die Erschöpfung vieler Energie- und Nahrungsressourcen schon für die Jahrtausendwende nicht bewahrheiteten.

Von der Ruhren macht stattdessen darauf aufmerksam, daß führende Natur- und Sozialwissenschaftler der Yale University genauso wie der deutsche „Ökologie-Papst“ Ernst Ulrich von Weizsäcker (Wuppertal-Institut), ungeachtet berechtigter Detailkritik am Club-Report, weiterhin von der Richtigkeit dieser mit einem final-katastrophalen „Kollaps“ des Planeten kalkulierenden Lageanalyse überzeugt sind.

Bei genauerer Betrachtung ist schon die medial weit verbreitete Entwarnung an der demographischen Front reine Augenwischerei. Zwar habe sich die Gesamtfruchtbarkeitsrate seit 1955 weltweit von 5 auf 2,52 Kinder bei Frauen zwischen dem 15. und 49. Lebensjahr fast halbiert. In China wird dieser Wert mit 1,77 Kindern heute bereits unterschritten. Berechnungen des UN-Bevölkerungsfonds (Unfpa) erwarten bis 2050 sogar ein Absinken der Reproduktionsrate auf 2,02 Kinder, was noch unter dem für eine konstante Entwicklung ausreichenden Niveau von 2,08 läge.

Trotz der relativ sinkenden Fertilitätsrate pro Frau wird die Bevölkerungszahl in den nächsten Jahrzehnten unweigerlich weiter steigen, da die meisten Staaten aus den Zeiten hoher Fruchtbarkeit mit einem „Überhang“ an jungen Menschen gesegnet sind. Fast 90 Prozent des Zuwachses entfallen dabei auf die Entwicklungsländer, wobei für Afrika die Vokabel „Bevölkerungsexplosion“ durchaus zutrifft, denn dort leben 2050 nach UN-Prognosen mit 2,1 Milliarden doppelt so viele Menschen wie im Jahr 2010. Der Bevölkerungsanteil Europas, an dessen demographischer Stagnation auch der Millionen-Zustrom an „Migranten“ nichts ändert, liegt 2050 bei sieben Prozent, während Afrika dann 20 Prozent der Weltbevölkerung stellt.

Erst zu Beginn des 22. Jahrhunderts dürfte dort wie in Asien der Wachstums­prozeß zur Ruhe kommen und, wie in der heutigen „Ersten Welt“ (Europa, Nordamerika, Japan, Australien), in Stagnation übergehen. Wenn der demographische Wandel sich aber langsamer vollzieht, als Kritiker des US-Kybernetikers Dennis L. Meadows (Hauptautor der „Grenzen des Wachstums“) glauben, dann sind dessen Warnungen vor der ökologischen Überschuldung der Welt heute so ernst zu nehmen wie 1972.

Gestützt auf von Weizsäckers Befunde, sieht von der Ruhren deshalb „in absehbarer Zeit“ die Versorgung mit lebenswichtigen natürlichen Gütern nicht mehr gewährleistet. Die sich abzeichnenden Engpässe beträfen „praktisch alle natürlichen Ressourcen“: Böden, Wasser, Meerestiere, Wälder und mineralische Rohstoffe. Jährlich gehen derzeit fünf Millionen Hektar kultiviertes Land durch Verschlechterung bestimmter Bodeneigenschaften (Degradation) verloren.

Ausgelaugte Böden verlieren ihre Fähigkeit, das Pflanzenwachstum zu ini­tiieren, ihre Fähigkeit zur pflanzlichen Photosynthese, zur Speicherung von Energie, zur Reinigung von Wasser und Luft. Kompensierender Düngereinsatz und Meliorationen sind mit immer höheren Kosten verbunden. Auf die armen afrikanischen Länder sieht die Welternährungsorganisation (FAO) daher bis 2020 unaufhaltsame Produktionsverluste von bis zu 15 Prozent gemessen an den heutigen Erträgen zukommen.

Weitaus dramatischere Szenarien skizziert von der Ruhren zum brisanten Thema Wasserknappheit. Die sei für ein Fünftel der Weltbevölkerung, 1,2 Milliarden Menschen, bereits gegenwärtig „schreckliche“ Realität. Jährlich sterben 2,2 Millionen Menschen an Krankheiten, die der Verbrauch verunreinigten Trinkwassers auslöst. Meadows Dystopien werden daher vom Weltwasserreport der Unesco locker in den Schatten gestellt.

Demnach nimmt der Wassermangel in vielen Regionen immer bedrohlichere Ausmaße an. Im besten Fall sollen 2050 zwei Milliarden Menschen in 48 Ländern unter Wasserknappheit leiden, im schlimmsten Fall sieben Milliarden in 60 Ländern. Da die Landwirtschaft mit 70 Prozent am Weltwasserverbrauch beteiligt ist, bedarf es keiner Phantasie, um sich die Folgen der Knappheit dieser Ressource für die Nahrungsmittelversorgung vorzustellen, der Indien, Nordafrika, der Nahe Osten und der Westen der USA bald ausgesetzt sein werden.

Es ist auch kein Zufall, daß diese Thematik seit geraumer Zeit auch ins politologische Schrifttum drängt, wo sie unter Überschriften wie „Weltkrieg ums Wasser“ abgehandelt wird. Ein vergleichbares Krisenpotential schreibt von der Ruhren der absehbaren Erschöpfung vieler Rohstofflagerstätten zu.

Auch hier habe Meadows mit seiner Prognose danebengelegen, die meisten Reserven könnten um 2000 ausgebeutet worden sein. Die Problematik habe sein Club-of-Rome-Bericht indes korrekt erfaßt. Von der Ruhren zitiert zur Bestätigung eine Einschätzung der Bundesanstalt für Geowissenschaften, wonach die Knappheit nicht allein bei den mineralischen Rohstoffen uns unter Handlungsdruck setze, unsere Verhaltensweisen schnellstens den „Anforderungen und Grenzen unserer Umwelt anzupassen“.

Der dritte Weltwasserbericht (World Water Development Report, WWDR) im Internet:  http://www.unesco.org

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