© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/11 / 09. September 2011

Das vitale Volk aus der Steppe
Vor achthundert Jahren schuf Dschingis Khan mit seinem Sieg über China eines der mächtigsten Großreiche der Geschichte
Klaus Bruske

Vor 800 Jahren, im Frühherbst 1211 schickt sich der mongolische Feldherr Dschingis Khan an, mit seinem riesigen Mongolenheer das reiche „Reich der Mitte“ China zu erobern und auszuplündern. Wenige Jahre zuvor, im Frühherbst 1206, hat Temüdschin (1167–1227), der „ozeangleiche Herrscher Dschingis Khan“, alle Mongolen um seine prachtvolle Jurte geschart und sich auf einer „Khuriltai“ am Onon zum Großkahn ausrufen lassen. Fünf Jahre darauf, im „Schafjahr“ 1211, setzt er über 100.000 Reiterkrieger „aller in Filzzelten lebenden Stämme“ auf einem weiteren „Großen Reichstag“ zur Eroberung Chinas in Marsch.

Nach fast sechzig Jahren Krieg, Hekatomben von Toten und immensen Zerstörungen ist unter seinen Nachkommen die Unterwerfung des Riesenreiches „der Mitte“ von der Großen Mauer im Norden bis Kanton am Südchinesischen Meer vollendet. Kublai Khan, ein Enkel Dschingis Khans, wird sich 1271 in  Peking zum Kaiser von China ausrufen und die Mongolen-Dynastie Yüan (soviel wie „Ur-Anfang“) begründen.

Das neue Khanat, die jetzt von der Yüan-Dynastie für ein gutes Jahrhundert beherrschte uralte Kulturnation China, ist mit etwa 50 bis 70 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste, gleichsam das Kronjuwel, der vier Khanate Il-Khanat, Tschagatai, Goldene Horde und China, in das sich das im „Großen Mongolensturm“ zusammengeraubte Reich, eines der größten der Weltgeschichte, gliedert.

Das Reich erstreckt sich um 1271 über Millionen von Quadratkilometern im Osten bis an den Pazifischen Ozean, im Westen bis an die heutige ukrainisch-polnische Grenze, nachdem man bekanntlich bis weit nach Schlesien vordrang, wo am 9. April 1241 in der Schlacht bei Liegnitz ein deutsch-polnisches Heer besiegte, im Süden bis zu den Südchinesischen und Arabischen Meeren, im Norden bis zum Übergang der eurasischen Steppen- zur Waldzone in Sibirien.

Die hoch zivilisierte und wohlhabende, im zwölften Jahrhundert von der Jin-Dynastie regierte Nation ist seit vielen Jahrhunderten das Raub- und Angriffsziel der wilden Nomadenvölker aus dem Norden. Zu ihrer Abwehr hatten die „Söhne des Himmels“, wie diese chinesichen Kaiser bezeichnet wurden, riesige Schutzwälle wie die seit der vorchristlichen Zeit betehende Große Mauer wesentlich verstärkt und viele Festungen errichtet, die bis auf einzelne Ausfälle auch die „Barbaren aus dem Norden“ fernhalten. Jedoch, was sich im Frühherbst 1211 wie eine Sturmflut aus der Steppe über Nordchina ergießt, ist von einer neuen Qualität.

Von der Zahl her sind die Truppen der Chinesen den Invasoren immer noch überlegen. Doch es nützt ihnen nichts. Zu gut hat der neue Großkahn aller Mongolen die einst zerstrittenen, zwar tapferen, aber wild-chaotischen, meist auf eigene Faust angreifenden Steppen-reiter-Sippen und -Stämme zu einer disziplinierten, taktisch hervorragend geschulten, bestens ausgerüsteten und organisierten, schlagkräftigen Einheits-armee zusammengeschmiedet.

Die Jin-Truppen werden im ersten Ansturm vernichtend geschlagen. Erst an den Mauern ihrer Städte bricht sich – zunächst – der erste Großangriff. Noch beherrschen die mobilen Nomaden die Technik der Belagerung nicht. Noch nicht, was sich jedoch verhältnismäßig schnell ändert. was übrigens auch weit im Westen die belagerten Städte – wie etwa Kiew – schmerzhaft verspüren soll. Die mongolischen Reiterkrieger zeigen sich erstaunlich lernfähig, das modernste militär-taktische Rüstzeug ihrer Zeit anzunehmen.

Nach seinem erfolgreichen Feldzug 1211 erklärt sich der Großkhan gegen Zahlung eines gewaltigen Tributes noch zum Abzug bereit. „Seide und Schätze packten unsere Soldaten auf“, schreibt eine alte mongolische Chronik, „so viel sie nur konnten, schnürten ihre Lasten mit Taftbändern zusammen und zogen ab.“ Es soll nur eine kurze Atempause sein. Alsbald holt Dschingis Khan zum zweiten Schlag aus. Er erstürmt 1215 Canbaluc (Peking) und läßt zur Abschreckung aller noch zum Widerstand Entschlossenen, ebenso kalkulierte wie grausame Blutbäder anrichten. Die Mongolen brennen die stolze, reiche Stadt nieder. Das Plündern und Morden dauert vier Wochen. Noch auf Jahre hinaus sind die Straßen nach und in Peking von Knochenhaufen gesäumt.

Diesmal geben sich die Eroberer nicht mit Plündern und Tribut-Eintreiben zufrieden. Diesmal eignet sich der Groß-khan den ganzen Staat und den gesamten Staatsschatz  an. Nord-China bleibt fest in der Hand der Mongolen. Es wird unter seinem Nachfolger als Großkhan und Sohn Ögödei sowie unter seinen Enkeln Kuyuk, Möngke und schließlich Kublai zur (Militär)-Ressource und Aufmarschbasis für die jetzt planvolle Unterjochung ganz Chinas, letztlich sogar Tibets und Koreas dazu.

Allein Japan, dessen Eroberung Kublai zweimal mit einer Riesenflotte versucht, hält in der Großregion dank der Tapferkeit seiner Samurai und des „göttlichen Windes“ (Kamikaze) stand. „Die schmale mongolische Führungsschicht steckte im chinesischen Staat wie in einem viel zu großen Gewand“, so bringt ein chinesischer Historiker das Dilemma der immerhin elf mongolischen „Söhne des Himmels“ der von ihnen begründeten „Yüan-Dynastie“ auf den Punkt. Das „Reich der Mitte“, das sich dank des Fleißes und der Jahrtausende alten Kultur seiner Bewohner erstaunlich schnell erholt und zu alter Blüte zurückfindet, ist dennoch ein glänzender Koloß auf tönernen Füßen.

Unter dem elften und zugleich letzten Yüan-Kaiser, Khan Toghan Temür, läßt eine Serie von Naturkatastrophen und Hungersnöten die soziale Not ins Unerträgliche wachsen und den „Volkszorn“ hochkochen. Aus der Rebellion der Sekten „Weißer Lotos“ und „Rote Turbane“, geeint und geführt unter dem späteren ersten Ming-Dynastie-Kaiser Chu Yüan Chang, erwächst eine gigantische nationale Erhebung gegen die Fremdherrschaft, die 1368 der Herrlichkeit der Dschings Khan-Erben in China ein Ende bereitet. Die mongolischen Oberherren werden nun von ihren Knechten und Sklaven erschlagen und ihre Paläste und Häuser zerstört. Schließlich, nur zwanzig Jahre nach Chinas Befreiung, überschreitet 1388 eine Ming-Armee die Große Mauer, besetzt die innere Mongolei und brennt Dschings Khans legendäre Hauptstadt Karakorum nieder.

Foto: Mongolische Reiter präsentieren sich 2006 in traditioneller Rüstung wie vor 800 Jahren; Schriftzug „Dschingis Khan“ im klassischen Mongolisch; chinesisches Porträt Dschingis Khans von 1220: Sehr schnell gelingt es den Nomadenkriegern, die moderne Kriegstechnik und Taktik der Chinesen anzunehmen

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