© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/11 / 09. September 2011

Lockerungsübungen
Nationalismus der Migranten
Karl Heinzen

Immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund leben in Deutschland, und einige von ihnen haben unterdessen auch Führungspositionen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft eingenommen. Diese Entwicklung wird von vielen nicht allein deshalb unterstützt, weil sie für eine Demokratie selbstverständlich sein sollte, sondern weil man sich von ihr einen Wandel hin zu mehr Vielfalt und Toleranz verspricht. Diese Hoffnung könnte sich jedoch als trügerisch erweisen.

Zu gewärtigen ist nämlich, daß ein Phänomen wie Bilkay Öney nicht als Ausnahme, sondern möglicherweise sogar als Regel betrachtet werden muß. Seit ihrem Amtsantritt vor wenigen Monaten hat die baden-württembergische Integrationsministerin kaum eine Gelegenheit ausgelassen, um den Eindruck zu erwecken, als wolle sie die Thesen ihres Parteifreundes Thilo Sarrazin in praktische Politik umsetzen. Insbesondere jene Mitbürger, die wie sie türkischstämmig sind, scheint sie dabei ins Visier genommen zu haben. Für sie solle man den Visumszwang aufrechterhalten, eine unkontrollierte Einwanderung dürfe es nicht geben. Und überhaupt seien sie mit Vorsicht zu genießen, diese Türken: Sie neigten zur Selbstüberschätzung und würden fünfmal mehr Fernsehen schauen als die Deutschen. Und nicht zuletzt handele man sich mit ihnen ja auch noch ein Sicherheitsrisiko ein: „Je mehr Türken wir im Lande haben, desto mehr Unruhe haben wir.“

Das psychologische Problem, das in derartigen Entgleisungen zum Ausdruck kommt, ist kein individuelles, sich auf Bilkay Öney beschränkendes, sondern ein kollektives. Sehr viele Menschen mit Migrationshintergrund neigen zur Überidentifikation mit dem Land, in das sie gekommen sind. Insbesondere Einwanderer, die es in der neuen Heimat zu etwas gebracht haben, erliegen nur zu oft der Versuchung eines übersteigerten Nationalismus, der den Autochthonen längst fremd und suspekt geworden ist.

Für Deutschland birgt dies eine besondere Brisanz: Seine Ureinwohner empfinden als Nachfahren von Menschheitsverbrechern eine Zurückhaltung gegenüber ihrem Land, die sie im Zaume hält. Einwanderer müssen sich hier keine Hemmungen auferlegen. Wenn noch einmal ein „unbelasteter“ deutscher Nationalismus sein Haupt erheben sollte, wird er aus ihrer Mitte kommen.

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