© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/11 / 09. September 2011

Albertos Abgang
Brandenburg: Der ehemalige Ausländerbeauftragte von Schwedt flieht vor angeblichen rassistischen Anfeindungen / Eine Spurensuche
Ronald Gläser

In der Straße, in der Ibraimo Alberto bis vor kurzem gewohnt hat, werden die alten Plattenbauten saniert. Die Stadtoberen haben sich vorgenommen, das Antlitz von Schwedt an der Oder aufzumöbeln. Die kleine Stadt in Ostbrandenburg leidet unter ihrem Ruf als überdimensionierte Bausünde.

Ibraimo Alberto war in Schwedt so bekannt wie ein bunter Hund. Es gibt nicht viele Schwarze, die es in die brandenburgische Provinz verschlagen hat. Jetzt ist der 48jährige weggezogen. Wegen des in Schwedt herrschenden Rassismus. Sagt er. Viele Medien haben das Thema dankbar aufgegriffen. Mit griffigen Schlagzeilen schilderten sie eine spektakuläre Geschichte: „Rassisten vergraulen Schwarzafrikaner“ (Tagesspiegel) oder „Vor Fremdenfeindlichkeit geflohen“ (ZDF). Diese offizielle Geschichte von Alberto wird überall gleich erzählt: 1981 kam der Mosambikaner als Vertragsarbeiter nach Ost-Berlin. Später zog er nach Schwedt, wo er erfolgreich für den örtlichen Sportverein boxte und seine deutsche Frau Birgit kennenlernte. Das Paar hat einen Sohn und eine Tochter. Alberto engagierte sich in der SPD, wurde 2008 in die Stadtverordnetenversammlung gewählt und wurde Ausländerbeauftragter der Stadt.

Schwedt an der Oder: 34.000 Einwohner, Tendenz sinkend. Hohe Arbeitslosigkeit, niedrige Ausländerquote. Im Einkaufscenter gibt es ein italienisches Eiscafé, einen Dönerstand, einen China-Imbiß. An der Fassade des Gasthauses Jägerhof hängen die Fahnen der EU-Staaten. Die Zusammenarbeit mit Polen ist hier ein großes Thema. Ausländerfeindlichkeit? Kamerateams und Reporter haben die Stadt durchkämmt – aber nicht gefunden, wonach sie gesucht haben. Es gibt keine Ausländer-raus-Schmierereien und keine No-go-Area für Farbige. Auf der Polizeiwache zuckt der diensthabende Beamte nur mit den Achseln: „Mit den Ausländern ist es ruhig hier.“ Zwei Schwedter, die gerade eine Anzeige aufgeben, nicken. Gerade mal vier Straftaten mit ausländerfeindlichem Hintergrund hat die Polizei 2010 gezählt. 2011 war es bislang eine einzige.

Ibraimo Alberto will es anders erlebt haben. Anfang Juli, wenige Tage nach seinem Umzug nach Karlsruhe, wo er nun als Behindertenpfleger arbeitet, gaben seine Frau und sein Rechtsanwalt eine bizarre Pressekonferenz. „Ibraimo Alberto verläßt Schwedt zu 80 Prozent wegen rassistischer Beleidigungen und weil er sich zuwenig in seiner Tätigkeit als Ausländerbeauftragter unterstützt fühlt“, sagte Rechtsanwalt Andreas Brandt. Alberto selbst klagt in den Medien: „Ich will nicht übertreiben, aber es gab fast keinen Tag, an dem ich mir keinen komischen Spruch anhören mußte.“ Scheele Blicke und Provokationen hätten seinen Alltag bestimmt. Er habe kein normales Leben führen können. Auslöser für die Flucht sei schließlich ein Fußballspiel gewesen. Bei der Begegnung Schwedt gegen Bernau sei Albertos Sohn Aparissio (Name geändert) als „Negersau“ beschimpft und bedroht worden. Niemand sei ihm zu Hilfe geeilt.

Das könnte daran gelegen haben, daß sämtliche Augenzeugen den Vorfall anders schildern: Jens Herklotz, der Vorsitzende des FSV Bernau, erinnert sich, daß Ibraimo Alberto mit einer lauten Tröte auf den Fußballplatz gekommen war. „Das Spiel haben wir mit 0:2 verdient verloren“, erzählt Herklotz. Danach habe es ein Wortgefecht gegeben. Alberto sei „mit einem Kugelschreiber drohend“ auf den Platz gerannt. „Ich habe nicht gehört, daß einer meiner Spieler ihn beschimpft hat.“ Er macht sich Sorgen wegen des falschen Bildes, das von seinem Verein gezeichnet würde: „In der Mannschaft sind ein Vietnamese und ein Afghane. Wir haben 200 Spieler unter 18 aus 13 Nationen wie den früheren GUS-Staaten oder Jugoslawien im Verein – und nie gab es Probleme mit Ausländerfeindlichkeit.“

Auch der Vereinsvorsitzende des FC Schwedt 02, Tino Reetz, räumt ein, daß der Streit nicht von den Bernauern provoziert worden ist: „Herr Alberto ist zu den Bernauern gegangen, das hat nicht gerade deeskalierend gewirkt.“ Reetz betont, daß es keine Fremdenfeindlichkeit in seinem Verein gäbe: „Die Hautfarbe spielt bei uns keine Rolle. Aparissio und sein Vater waren bei uns gut integriert. So wie die Polen und Vietnamesen, die in unseren Jugendmannschaften spielen.“

 Seine früheren Nachbarn widersprechen Albertos Schilderungen vom alltäglichen Rassismus. Unter ihm wohnte Uwe Hoffmann, der bei einer Spedition arbeitet und auch sonst „viel mit Ausländern zu tun hat“. Er hatte nie ein Problem mit Alberto. Übergriffe? „So etwas gibt es hier nicht.“ Drei weitere Hausbewohner bestätigen diese Aussage. Eine blonde Frau aus dem Nachbarhaus meint: „Wenn es so war, ist es eine Schweinerei, aber ich habe nichts mitbekommen.“ Auf dem Flur vor Albertos Wohnungstür stapeln sich vier Müllsäcke und aussortierte alte Unterlagen. Die Tür öffnet sich für wenige Sekunden. Birgit Alberto, die Ehefrau, erscheint und rümpft die Nase. „Ich habe keine Zeit für Interviews“, keift sie. Schon ist die Tür wieder zu. Auch Alberto redet nicht mit Journalisten. Zuletzt ließ er vor einer Woche mitten in der Sendung ein Interview beim Berliner Radiosender Energy platzen.

Tatsächlich hat Ibraimo Alberto mehrere Anzeigen gegen Unbekannte gestellt, die ihn beleidigt oder bedroht haben sollen. Zwölfmal, sagt Alberto. Die Polizei widerspricht: „In vier Fällen war eine Motivation in Form von Fremdenfeindlichkeit Gegenstand der Ermittlungen.“ Alle Verfahren wurden eingestellt. Aber schuld daran war nicht die Justiz, erläutert Staatsanwalt Ingo Kechichian: „In einem Fall lag es an Alberto selbst, weil er einen Augenzeugen einer Straftat nicht nennen wollte.“ Alberto behauptete, es gäbe einen Zeugen, doch er weigerte sich, ihn zu identifizieren. „Trotz großem Aufwand haben wir den Täter daher nicht ermitteln können.“

Selbst den eigenen Parteifreunden kam Albertos Verhalten zuletzt merkwürdig vor. Erklären können sie sich seinen Abgang nicht. „Ibraimo Alberto hatte sich bei mir verabschiedet und gesagt, er hätte eine Arbeitsstelle in Süddeutschland gefunden“, sagt Bürgermeister Jürgen Polzehl (SPD). Von Diskriminierung sei keine Rede gewesen.

2008 wurde Alberto vom damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) als „Botschafter für Demokratie und Toleranz“ (Preisgeld 5.000 Euro) ausgezeichnet. Der aus Mosambik eingewanderte Lokalpolitiker aus Schwedt war anerkannt. Warum also hat er dann wirklich die Stadt verlassen? Zur Wahrheit gehört auch, daß Alberto trotz aller privaten, politischen und sportlichen Erfolge beruflich keinen Fuß auf den Boden bekam. Er ist Fleischer, Trainer, Sozialarbeiter. Keine dieser Tätigkeiten ist in Schwedt gefragt. Seit Jahren war er häufig arbeitslos und auf staatliche Unterstützung angewiesen.

Alberto hat schon lange vor dem  Vorfall nach dem Fußballspiel öffentlich darüber gesprochen, er wolle Schwedt verlassen – wie so viele Bürger seit 1990. Die Gründe für sein Scheitern sucht er nicht bei sich oder der widrigen Wirtschaftslage, sondern beim angeblichen Rassismus der Schwedter. Als er 2010 einen Wunschjob nicht erhielt, hatte er sofort eine Begründung parat: Seine Hautfarbe sei schuld. Im gleichen Jahr verursachte er einen schweren Autounfall. 35.000 Euro Schaden. Erst der Unfall, dann gab es auch noch Ärger mit den Parteifreunden. Bei einer Sitzung im Mai stauchte ihn sein Fraktionschef Gerd Möhwald zusammen: „Wie kannst Du nur?!“ Alberto hatte gegen die eigene Fraktion gestimmt. Das Verhältnis zu seiner Partei war sichtlich abgekühlt. Wenig später erhielt er das Jobangebot aus Karlsruhe und griff zu.

Einem Journalisten vom Deutschlandfunk hat Alberto vor einem Jahr erklärt, er ängstige sich in Schwedt, in seinem Wohnumfeld. In der Reportage heißt es: „Ibraimo Alberto wohnt in einem Hochhaus, zehnte Etage. Tiefer gehe es kaum, sagt er, sonst würden Neonazis wieder Flaschen und Steine auf seinen Balkon schmeißen, oder gegen seine Scheiben.“ Was der Reporter vom Deutschlandfunk nicht erwähnt: Das Haus, in dem Alberto fast zehn Jahre gewohnt hat, hat nur fünf Stockwerke.

 

Ibraimo Alberto 

Der aus Mosambik stammende Ibraimo Alberto kam 1981 als Vertragsarbeiter in die DDR. Von Ost-Berlin zog er später nach Schwedt an der Grenze zu Polen. Dort wurde er 2008 für die SPD  in das Stadtparlament gewählt und wurde Ausländerbeauftragter. Jetzt sorgt sein Umzug nach Karlsruhe für Schlagzeilen, denn der Schwarzafrikaner begründet ihn mit ständigen rassistischen Anfeindungen.

 

Schwedt

Die Stadt Schwedt in Brandenburg zählte 1990 rund 54.000 Einwohner. Wie viele Städte in Mitteldeutschland verlor auch Schwedt nach dem Ende der DDR und dem Zusammenbruch der Industrie viele Einwohner. Auch dank zahlreicher Eingemeindungen leben in der Stadt heute rund 34.000 Einwohner, davon sind zwei Prozent Ausländer. Die Arbeitslosenquote lag 2010 bei 16,6 Prozent.

Foto: Ibraimo Alberto in seiner neuen Wohnung in Karlsruhe: Seit Jahren ist er auf staatliche Unterstützung angewiesen

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