© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/11 / 02. September 2011

Der Flaneur
Kneipe am Stadtrand
Josef Gottfried

Die geselligen Städter zogen mich an. Also hebe ich das Glas mit klarem, süßem, brennendem Saft, lache laut unter meiner Maske und nehme an ihren widersinnigen Sitten teil. Ich stürze den Schnaps herunter. Scharf rinnt er die Kehle entlang und noch verzieht sich mein Gesicht. Mit Schwarzbier spülen wir nach.

In behinderter Ungeduld bestellen wir gleich das nächste Glas. Mein Blick wird glasig, das weiß ich, aber hier klagt niemand den Lallenden an. Löwen sitzen hier mit mir, auch glänzendschwarze Krähen mit mächtigem Schnabel, direkt neben dem prachtvollen Schimmel, mit muskulöser Brust, das fleißige Maultier prostet ihnen mit derselben Achtung zu wie der weisen Eule.

Welch’ Macht, Schönheit, Wissen, Fleiß trinkt hier, süß, klebrig, mit gutem Gewissen sich selbst betäubt und so sehr hypothetisch. Ohne Zweifel ist keiner von ihnen mehr frei. Die Krähe hat schon vor einiger Zeit begonnen, sich die ersten Federn auszurupfen, die Mähnen von Schimmel und Löwe sind verfilzt, alle lecken sich ihre selbst zugefügten Wunden, so daß sie nie heilen werden. Ihre Haltung ist verkrümmt von den kurzen Wegen zwischen der einen und der anderen Ecke des Käfigs. Die Eule scheint bedächtig-weise zu nicken. Doch es ist blöde. Und wir stoßen an. Kleine Gläser.

Wir stürzen die schmerzhafte Erinnerung an ihre vergangenen Möglichkeiten einer glänzenden Zukunft herunter, die jetzt eine erniedrigte Gegenwart ist. Und mit all ihren Stimmen erzählen sie von großen Zeiten, kurz bevor sie sich fangen ließen. Sie ließen sich fangen. Noch mal heiß die Kehle herunter, und noch mal, und noch mal, dreht euch und trinkt, und schneller! Schneller! Schneller!

Meine klebrigen Augen, dieser Geschmack von altem Suff, der Kopfschmerz und Fragen.

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