© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/11 / 02. September 2011

Blick in die Medien
Netzwerk Recherche: die moralische Auster
Toni Roidl

Es hätte so schön werden können: Die rund fünfhundert Mitglieder des Journalistenverbandes „Netzwerk Recherche“ freuten sich im Anschluß an das Jahrestreffen in Hamburg auf die Party zum zehnjährigen Bestehen in den Hallen des NDR. Immerhin hatten alle einhundert Euro Eintritt bezahlt. Doch dann endete das Jubiläum im Skandal: Vereinsgründer und SWR-Chefreporter Thomas Leif wurde zum Rücktritt gezwungen und der Vorstand nicht entlastet! Leif war bislang das Aushängeschild des Vereins und eine Ikone des „unabhängigen Journalismus“ in Deutschland.

Der Grund für Leifs Abgang: dubiose Geldflüsse. Vorstandsmitglieder hatten schon im Mai bei Prüfungen zur Vorbereitung einer Stiftungsgründung festgestellt, daß etwas mit der Einnahmen-Ausgaben-Rechnung nicht stimmte.

Nach dieser Warnung beauftragte der zweite Vorsitzende Hans Leyendecker (Süddeutsche Zeitung) unabhängige Wirtschaftsprüfer mit der Aufklärung. Deren Bericht enthielt schlechte Nachrichten: Demnach hat die Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) vier Jahre lang Zuschüsse von insgesamt rund 75.000 Euro an „Netzwerk Recherche“ gezahlt, obwohl diese nie hätten geleistet werden dürfen. Die Bundeszentrale unterstützt solche Verbände nur, wenn sie defizitär wirtschaften, was bei Netzwerk Recherche nicht der Fall ist. Ausgefüllt hat die Anträge Thomas Leif, gegen den jetzt die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Deshalb so ein Aufstand? Das Netzwerk hat sich gerne moralisch aufs hohe Roß gesetzt und stets das Ethos des integren Journalismus hochgehalten. Politiker und Unternehmen wurden vom Verband immer wieder für mangelnde Transparenz gescholten; zuletzt überreichte das Netzwerk dem Energieversorger-Oligopol in Deutschland den Negativpreis „Die verschlossene Auster“ wegen mangelnder Transparenz.

Zwar hat das Netzwerk Recherche das Geld zurückgezahlt, was bleibt ist die Kommunikationspanne: Viele Fragen sind offen – wozu hatte der Verein über eine halbe Million Euro Rücklagen gebildet? Warum wurden nur so wenige Stipendien vergeben? Warum hört man nichts mehr von der angeblichen Stiftungsgründung? Und was hat es mit dem anonymen Großspender aus den USA auf sich, dessen Erwähnung laut FAZ von Leif aus dem Protokoll der Gründungssitzung entfernt wurde? Und die wichtigste Frage: Warum nimmt eine Institution von angeblich unabhängigen Journalisten Geld von einer staatlichen, aus Steuermitteln finanzierten Behörde?

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