© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/11 / 02. September 2011

Ein Schuldenschnitt ist unausweichlich
Europäische Währungsunion: Rettungsschirme und Euro-Bonds gefährden die noch solventen Staaten / Milliardenkosten für Deutschland
Joachim Koch

Die von den überschuldeten Euro-Staaten verursachte Krise hat in immer kürzeren Abständen zur Einführung von Rettungsschirmen geführt. Eine dauerhafte Lösung wurde jedoch nicht erreicht. Aber wie kam es zu dieser Situation? Bereits bei der Beschlußfassung über die Euro-Einführung im Mai 1998 ist von der Einhaltung der im Vertrag von Amsterdam festgelegten Stabilitätskriterien in einigen Fällen abgesehen worden.

„Die hohe Staatsverschuldung stellt in einer Reihe von Mitgliedstaaten eine große Belastung dar; das gilt insbesondere für Belgien (122,2 Prozent) und Italien (121,6 Prozent), deren Schuldenstandsquote doppelt so hoch liegt wie der im Vertrag festgelegte Referenzwert von 60 Prozent. Die Schuldenstandsquote Griechenlands ist mit 108,7 Prozent kaum günstiger“, monierte die Bundesbank in einer Stellungnahme vom 26. März 1998. „Hinsichtlich der Voraussetzung einer auf Dauer tragbaren Finanzlage der öffentlichen Hand bestehen allerdings im Falle Belgiens und Italiens ernsthafte Besorgnisse.“ Hierüber hat sich die Politik hinweggesetzt und damit zum Entstehen der Schuldenkrise in Euro-Staaten beigetragen.

Angesichts dessen ergibt sich die Frage, ob die Einrichtung von Rettungsschirmen oder Euro-Bonds, für die alle Euro-Staaten haften sollen, der richtige Weg zur Lösung des Problems ist. Ändern die Rettungsschirme etwas an den Schuldenproblemen? Verringern sie die Schuldenlast? Das ist nicht der Fall, denn die Mittel werden dazu verwandt, fällig werdende Schulden privater Gläubiger (Banken, Versicherungen oder privater Anleger) abzulösen, damit die überschuldeten Euro-Staaten nicht insolvent werden.

Ihre Schulden werden dadurch nicht verringert, sondern es werden lediglich die privaten Gläubiger durch staatliche Gläubiger (sprich: Steuerzahler) ersetzt. Da diese Staaten ihre laufenden Ausgaben einschließlich der Zinszahlungen nicht durch ihre Einnahmen decken können, sondern zu ihrer Begleichung zusätzliche Kredite aufgenommen werden müssen, steigt ihre Verschuldung weiter. Nutznießer der Rettungsschirme sind allein die privaten Gläubiger, die ihre Kredite an die überschuldeten Staaten zurückführen und so ihr Kreditausfallrisiko entsprechend vermindern können. Nur eine echte Verringerung der Schulden (Haircut) könnte ihnen Entlastung bringen. Durch die Rettungsschirme wird die Lösung der Probleme nur hinausgeschoben, sie wird später weit größere Opfer der für die Schulden haftenden Euro-Staaten fordern als bei einem frühzeitigen Einschnitt.

Außerdem ist zu berücksichtigen, daß weitere Euro-Staaten, die bisher noch als solvent eingeschätzt wurden, in den Schuldenstrudel geraten können und damit der Umfang der Haftung für die verbleibenden solventen Euro-Staaten (Deutschland, Niederlande, Österreich, Finnland, Luxemburg) immer größer wird. Diese Gefahr besteht jetzt bei Italien und Spanien, die durch diverse Sparpakete versuchen, der Überschuldung zu entgehen. Ob das gelingt, wird von den Finanzmärkten angezweifelt. Deshalb sind die Zinsen, die sie für die Neuaufnahme neuer Kredite zur Ablösung fällig werdender Kredite zahlen müssen, erheblich gestiegen. Müssen sie auch den bestehenden Rettungsschirm (EFSF) in Anspruch nehmen, hat das zwei Konsequenzen:

• Ihre Refinanzierungsbedürfnisse wären so groß, daß der bestehende Rettungsschirm nicht ausreicht. Deshalb soll ein neuer Rettungsschirm geschaffen werden.

• Sie würden als Garanten für die vom Rettungsschirm neu aufzunehmenden Kredite ausfallen, so daß sich die Garantielasten der noch solvent verbleibenden Euro-Staaten, insbesondere Deutschlands, entscheidend erhöhen würden. Um dieser Gefahr vorzubeugen, hat Finnland von Griechenland die Stellung von Sicherheiten gefordert (JF 35/11).

Zur Lösung der Verschuldungskrise der insolventen Euro-Staaten wird wegen der unzureichenden Größe der Rettungsschirme weiterhin gefordert, Euro-Bonds einzuführen. Hierdurch würden sich die Refinanzierungskosten der überschuldeten Euro-Staaten für die Ablösung fällig werdender Kredite zunächst erheblich vermindern.

Wie bei den EFSF-Krediten und der Griechenland-Hilfe wird sich aber auch durch Euro-Bonds an der Verschuldenssituation nichts ändern, denn die so aufgenommenen Kredite dienen nur zur Ablösung fällig werdender Schulden. Das Geld fließt ebenfalls an die bisherigen Gläubiger. Das Ganze hat, wie auch bei den Rettungsschirmen, nur zur Folge, daß für die Rückzahlung der Euro-Bonds nicht die überschuldeten Euro-Staaten einstehen, sondern die Steuerzahler der noch solventen Euro-Staaten. Denn die überschuldeten Euro-Länder sind nicht in der Lage, für die Rückzahlung ihrer Schulden aufzukommen. Da Italien und Spanien und voraussichtlich in nicht zu ferner Zukunft auch Frankreich zu diesen Euro-Staaten gehören werden, haben allein die noch solventen Euro-Staaten für die Tilgung der Euro-Bonds aufzukommen.

Der Verweis auf Sparprogramme der überschuldeten Euro-Staaten ist nur dann kein wertloses Versprechen, wenn die dortige Bevölkerung bereit ist, die notwendigen Opfer zu bringen und die Wirtschaft nicht völlig zusammenbricht. Die Streiks in Griechenland oder Spanien zeigen das Gegenteil. Deshalb sind speziell finanzielle Leistungen an Griechenland bis zu einer grundlegenden Änderung nicht gerechtfertigt.

Auf Seiten der noch solventen Euro-Staaten würde die Einführung von Euro-Bonds dazu führen, daß sie die ganze Last der Rückzahlung zu tragen hätten. Da ihre nationalen Budgets schon heute über keine Mittel zur Bedienung solcher Kredite verfügen, wird ihre Schuldenlast so steigen, daß auch sie in die Überschuldung und damit in eine Situation geraten, in der sich Griechenland, Portugal oder Irland bereits heute befinden. Italien und Spanien befinden sich auf dem Weg in diese Situation und es ist nicht ausgeschlossen, daß Frankreich ihnen bald folgt.

Für die finanziell stärkeren Euro-Staaten bedeutet die Einführung von Euro-Bonds, daß sich für sie die für Kredite zu zahlenden Zinsen erhöhen werden, und zwar nicht nur für neue Kredite, sondern auch für die Umschuldung zukünftig fällig werdender Kredite. Deutschland müßte laut Ifo-Institut mit Zusatzkosten von etwa 47 Milliarden Euro jährlich rechnen.

Das engt ihren finanziellen Spielraum weiter ein, vergrößert das Defizit und verhindert die Einhaltung der 2009 ins Grundgesetz aufgenommenen Schuldenbremse (Artikel 109). Falls Deutschland durch die Euro-Rettung in die Überschuldung gerät, wird niemand bereit und in der Lage sein, uns aus dieser Situation zu retten. Dann kann die Bundesregierung die Situation nur durch eine Währungsreform wie 1923 und 1948 bereinigen, bei der die Bürger große Teile ihres ersparten Vermögens verlieren.

Diese Euro-Rettungspolitik wird nicht den Euro retten, sondern im Gegenteil zum Zerbrechen der Währungsunion und voraussichtlich sogar der EU führen. Kein vernünftiger Bürger wird angesichts der vielen gebrochenen Versprechen der Politiker – stabiler Euro, keine Haftung für die Schulden anderer, kein Aufkauf von windigen Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank – noch irgendwelchen ihrer Aussagen trauen.

Wenn der Euro wirklich erhalten bleiben soll, müssen die überschuldeten Euro-Staaten ihre Schuldenprobleme selbst lösen, wahrscheinlich durch einen „Haircut“. Bei den jüngsten Fällen (Argentinien, Ecuador, Pakistan Rußland, Ukraine und Uruguay) betrugen die Forderungsabschläge zwischen 30 und 70 Prozent. Das wird zwar im Falle der Euro-Schuldner nicht ohne größere Turbulenzen an den Finanzmärkten abgehen, aber andernfalls ziehen sie die noch solventen Euro-Staaten mit in den Abgrund und die Krise wird noch größere Ausmaße annehmen. Wir haben die Wahl, entweder der Schuldenkrise ein schnelles Ende mit Schrecken zu bereiten oder die Lösung mit Rettungsschirmen oder Euro-Bonds hinauszuschieben und beim unausweichlichen Ende noch größere Schäden hinzunehmen.

 

Joachim Koch war bis 1998 Ministerialrat im Bundesministerium für Wirtschaft und mit Verhandlungen im Rahmen der Vereinten Nationen, des Antarktisvertrages und internationaler Seerechtsgremien betraut.

 

Schuldenreduzierung per „Haircut“

In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind mehrere Länder in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Um der finanziellen Misere zu entkommen, senkten die Schuldnerstaaten die Summe, die sie ihren Gläubigern zurückzahlen sollten, oder sie stellten zeitweise ihre Zinszahlungen ein. Der Verlust für die Gläubiger belief sich laut Berechnungen der Ratingagentur Moody‘s im Schnitt auf 50 Prozent. Investoren in russischen Dollar-Bonds mußten sogar einen Abschlag von fast 70 Prozent auf ihre Papiere hinnehmen.

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