© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/11 / 02. September 2011

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Die Reservekanzlerin
Marcus Schmidt

Die Vorbereitungssitzung der Ministerien für die mittwöchliche Kabinettsrunde im Kanzleramt ist Routine. Auf der Ebene der Staatssekretäre werden hier die Themen der Sitzung festgelegt und die Haltungen der Ministerien untereinander abgestimmt. Selten dringt etwas über dieses Arbeitstreffen an die Öffentlichkeit – nicht weil die Geheimhaltung so perfekt funktioniert, sondern einfach weil es normalerweise nichts Brisantes zu berichten gibt.

An diesem Montag war das aber offenbar ganz anders. Von einem Eklat ist die Rede und von einem „kräftigen Wortwechsel“. Sogar um die Machtfrage sei es gegangen, erst der Verweis auf die Kabinettsdisziplin habe die Situation wieder beruhigen können.

Was ist geschehen? Laut Leipziger Volkszeitung (LVZ) habe der Staatssekretär im Arbeitsministerium, Gerd Hoofe, als Vertreter von Ursula von der Leyen überraschend einen Kabinettsvorbehalt der Ministerin zum Tagesordnungspunkt Euro-Rettung angekündigt. Formaler Anlaß seien, so das Blatt unter Berufung auf Sitzungsteilnehmer, die nach Ansicht von der Leyens unzureichenden Auskünfte des Bundesfinanzministeriums zum Euro-Rettungsschirm gewesen. Tatsächlich, so sind sich die Beobachter in Berlin einig, ging es der stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden um etwas ganz anderes: Wie schon mit ihrem Vorstoß, Finanzhilfen in der Euro-Zone an Sicherheiten wie Goldreserven zu binden, wollte sie wiederum „einen Punkt setzen“. Bereits am Wochenende hatte ein Interview von der Leyens im Spiegel, in dem sie die Vereinigten Staaten von Europa als Ziel ihrer Politik ausgegeben hatte, für Aufsehen gesorgt. Mit diesen Äußerungen verließ sie deutlich und für jeden sichtbar die Linie von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Doch warum stellt sich die niedersächsische CDU-Politikerin, die bislang eine der verläßlichsten Stützen der Kanzlerin im Kabinett war, plötzlich so demonstrativ gegen Merkel? Zur Beantwortung dieser Frage wird in der Hauptstadt auf die Ende September anstehende Abstimmung über die Griechenlandhilfe verwiesen (siehe oben). Sollte Merkel bei dieser Entscheidung tatsächlich ihre Kanzlermehrheit verlieren und auf Stimmen der Opposition angewiesen sein, würde sich ganz schnell die Frage nach einem neuen Bundeskanzler oder eben einer Bundeskanzlerin stellen. Da würde es von der Leyen nicht schaden, wenn sie darauf verweisen könnte, daß sie Merkel zuletzt häufiger widersprochen habe. Schon seit längerem wird ihr nachgesagt, sie langweile sich im Arbeitsministerium und strebe nach höherem. Nun wittert sie offenbar ihre Chance.

Die Vorbereitungsrunde der Staatssekretäre endete am Montag übrigens mit einer Abfuhr für Hoofe. Nach einem kurzen, „aber kräftigen Wortwechsel“ mit Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) bei dem laut LVZ auch das Wort von der „Kabinettsdisziplin“ gefallen sei, sei der Einspruch der Ministerin quasi abgelehnt worden. Vermutlich war von der Leyen das von vornherein klar. Den Weg in die Presse fand der Vorfall dennoch. Und darauf kommt es in diesen Tagen an.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen