© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/11 / 26. August 2011

Agrarrevolution am Hohen Atlas
Weideland als Spekulationsobjekt: Das Beispiel Marokko und die möglichen Folgen für den sozialen Zusammenhalt
Stefan Fröhlich

Weideland erstreckt sich über 40 Prozent der Landoberfläche der Erde. Seine extensive nomadische Nutzung liefert zehn Prozent der weltweiten Fleischproduktion und ermöglicht die Existenzsicherung von bis 200 Millionen Haushalten. Als Ökosystem trägt Weideland dazu bei, die biologische Vielfalt aufrechtzuerhalten und die Wüstenbildung zu verlangsamen.

Trotz dieser Bedeutung gerät dieser Landschaftstyp, wie ein Themenheft der Geographischen Rundschau (7-8/11) an Beispielen aus Asien und Afrika zeigt, zunehmend in die Mühlen des „globalen Neoliberalismus“, da Land im Zuge der Finanzkrise als Wertanlage und Spekulationsobjekt an Attraktivität gewinnt. Obwohl dieser Prozeß sich erst seit 2008 beschleunigt, sind die negativen ökologischen und sozialökonomischen Auswirkungen bereits erkennbar. Allein in Afrika, so führt der Leipziger Geograph Jörg Gertel aus, wechselten zwischen 2004 und 2009 ungefähr 2,5 Millionen Hektar Land den Besitzer.

In der Regel investierten dabei staatliche wie private Anleger. Unter den ausländischen Regierungen, die in Afrika Land kaufen, stehen die Golfstaaten, Norwegen und Japan an erster Stelle. Sie versuchen durch Landkauf ihre Nahrungsversorgung abzusichern, während Banken und Fondsgesellschaften die Landnahme in Zeiten explodierender Lebensmittelpreise als profitträchtiges Geschäftsfeld entdeckt haben.

Landflucht, Proletarisierung und soziale Destabilisierung

Genauer betrachten Gertels Kollege Ingo Breuer und der Agrarwissenschaftler Muhammed Mahdi (École Nationale d’Agriculture/Meknès) Ausmaß und Dynamik dieser Aneignungsprozesse im Süden und Osten Marokkos. Dort liegen 120.000 Quadratkilometer Weideland, staatliches Territorium, größer als die Ex-DDR. Die Flächen werden bis in die Gebirgsregionen des Hohen Atlas hinein seit Jahrhunderten weitgehend kollektiv durch mobile Tierhaltung und intensive Bewässerungslandwirtschaft genutzt. Mit dieser nachhaltigen Ressourcenbewirtschaftung dürfte es bis 2025 aber rapide zu Ende gehen. Denn unter dem Druck der Globalisierung arbeitet die marokkanische Regierung an der fundamentalen Neuausrichtung ihrer Agrarpolitik, dem „Plan Maroc Vert“ (Plan Grünes Marokko).

Das Königreich hat deswegen Freihandelsabkommen mit den USA und der EU geschlossen und die Bedingungen für ausländische Investoren verbessert. In diesem Rahmen hofft man, von der „boomenden globalisierten Agrarproduktion“ profitieren zu können. Zwischen 700 und 900 Farmprojekte sind geplant. Agrarfabriken, deren Erzeugnisse den US- und EU-Standards genügen sollen. Bis zu 15 Milliarden Euro wollen nationale und ausländische Investoren sich den Aufbau einer exportorientierten Agrarindustrie in einem klassischen Entwicklungsland kosten lassen. Die 700.000 Hektar Nutzland, die dafür benötigt werden, können die staatlichen Planer nur in der Region der „kollektiven Weiden“ zur Verfügung stellen. In Verbindung mit der touristischen Erschließung des Hohen Atlas und der steigenden Immobiliennachfrage der sich formierenden marokkanischen Mittelklasse dürfte der Plan eine Agrarrevolution am Atlas auslösen.

Die Verantwortlichen in Rabat sind sich dessen bewußt und sperren sich noch gegen eine radikale Vermarktung kollektiver Ländereien. Denn in der Konsequenz einer massiven Privatisierung des bisherigen Gemeineigentums lägen Landflucht, Proletarisierung der angestammten Nutzergruppen, soziale Destabilisierung und damit auch der Verlust der Macht über die peripheren Räumen des Landes. Breuer und Mahdi liefern in ihrer Fallstudie jedoch keine Anhaltspunkte dafür, daß Rabat sich gegen die selbstinitiierten „Strukturanpassungmaßnahmen“ seines „Grünen Planes“ und für die traditionelle Weidewirtschaft und ihre nachhaltigen Nutzungsformen entscheiden könnte.

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