© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/11 / 26. August 2011

Das Blockflötengesicht
Biographie über Gerald Götting, den langjährigen Vorsitzenden der Ost-CDU
Detlef Kühn

Der Politologe und Publizist Peter Joachim Lapp hat sich zeit seines Lebens mit der DDR beschäftigt. Sein Interesse galt dabei besonders den Institutionen und Organisationen, die nicht zum zentralen Macht- und Entscheidungsapparat zählten, sondern von der SED-Führung aus Zweckmäßigkeits- und Tarnungsgründen unterhalten wurden. Monographien von ihm befaßten sich frühzeitig mit dem Staatsrat, der Volkskammer, dem Ministerrat der DDR sowie den „befreundeten Parteien“ der SED, deren größte und älteste die Ost-CDU war.

An diese Tradition knüpft Lapp an, wenn er jetzt eine politische Biographie des Mannes vorlegt, der während fast der gesamten Existenz der Ost-CDU das „Gesicht“ dieser Organisation war – Gerald Götting, zuerst seit November 1948 als Generalsekretär, dann seit März 1966 bis zu seinem Rücktritt am 2. November 1989 als deren Vorsitzender. Von September 1960 bis zum 13. November 1989 gehörte er außerdem als einer der stellvertretenden Vorsitzenden dem Staatsrat der DDR an und übte damit quasi-präsidentielle Repräsentationsfunktionen auf Staatsebene aus.

Auf Partei- wie auf Staatsebene hatte Götting praktisch keine eigenen Befugnisse. Er war in jeder Beziehung abhängig vom Zentralkomitee der SED, die eine eigene Abteilung zur „Anleitung“ der Blockparteien unterhielt, oder vom Ministerium für Staatssicherheit, das ihn in intensiven offiziellen Gesprächen „beriet“ und anschließend durch zahlreiche Inoffizielle Mitarbeiter und durch Telefonabhören und „verwanzte“ Räume kontrollierte, ob die Ergebnisse der Beratungen auch zügig und vollständig umgesetzt wurden. Götting empfand das alles vielleicht als lästig, jedoch im Prinzip in Ordnung; denn er war von der Richtigkeit der marxistisch-leninistischen Weltanschauung überzeugt und bejahte die führende Rolle der Partei der Arbeiterklasse beim Aufbau des Sozialismus von ganzem Herzen. Die Niederschlagung der Freiheitsbewegung vom 17. Juni 1953 durch sowjetische Panzer rechtfertigte er und verbreitete die offizielle Propaganda, wie der Historiker Gerhard Besier 2003 darstellte: „Die Unzufriedenheit der Bevölkerung in Berlin wurde von bezahlten Burschen aus Westberlin ausgenutzt, die mit Fahrrädern und Maureranzügen ausgestattet waren und diese Demonstrationen zum willkommenen Anlaß nahmen, um zu rauben und zu zerstören.“

Unterwürfiger Apparatschik des SED-Regimes

Seine Aufgabe war es, dem SED-Regime dabei die Unterstützung der nach marxistischer Auffassung sowieso historisch zum Aussterben verurteilten Christen – Götting stammte aus einem bürgerlich-protestantischen Milieu in Halle an der Saale – in der DDR zu sichern. Dafür wurde er mit den für führende Kader der SED üblichen Privilegien belohnt und durfte die DDR auf zahlreichen Reisen in alle Welt vertreten – natürlich auch hier immer angeleitet und überwacht von den Genossen der SED. Deren Führung, zuerst Walter Ulbricht, dann Erich Honecker, hatten, trotz gelegentlicher Kabbeleien, letztlich keinen Grund zur Unzufriedenheit mit diesem eifrigen Mitläufer. Dies und nichts anderes ist der eigentliche Grund, warum Götting alle Intrigen und Machtkämpfe in seiner Partei bis zum Ende der SED-Herrschaft überstehen konnte.

Wer sich für Details dieser letztlich ziemlich irrelevanten Auseinandersetzungen interessiert, kommt in dem Buch von Lapp zumindest teilweise auf seine Kosten. Lapp hatte dabei das zweifelhafte Glück, sich auf das Privatarchiv seines Protagonisten stützen zu können, das dieser allerdings vorher noch gründlich durchgearbeitet und durch zahlreiche eigene Einschätzungen und Erinnerungen ergänzt hatte, die Lapp jetzt eifrig zitiert. Dabei tritt er Gerald Götting nicht kritiklos gegenüber, sondern weist durchaus auf Unglaubwürdigkeiten in dessen Darstellungen hin. Die Lektüre des Buches wird dadurch jedoch nicht erfreulicher.

Götting erweist sich als das, wofür ihn die meisten seiner Zeitgenossen schon immer gehalten haben: ein Apparatschik des SED-Regimes, der sich weder politisch noch intellektuell oder charakterlich in irgendeiner Weise von anderen Typen dieser Art unterschied. Im Gegensatz zu Manfred Gerlach, dem Vorsitzenden der Blockpartei LDPD, hat er nicht einmal ansatzweise versucht, in der Agonie der DDR 1989 eine halbwegs eigenständige Rolle zu spielen. Statt dessen hadert der 88jährige heute mit dem Schicksal und beklagt das Verhalten jener „Unionsfreunde“, denen im Gegensatz zu ihm der rechtzeitige Absprung in die Einheit Deutschlands und damit in die parlamentarische Demokratie gelang. Er wurde statt dessen sogar 1991 aus der CDU ausgeschlossen und wegen Veruntreuung von Parteigeldern vom Landgericht Berlin zu anderthalb Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.

Der Autor Lapp hat in der Vergangenheit seine biographischen Fähigkeiten mit Büchern über Vincenz Müller und Georg Dertinger, beide durchaus problematische Gestalten, unter Beweis gestellt. Handwerklich ist auch an seiner Biographie Gerald Göttings wenig auszusetzen. Aber aus dem Leben eines Mannes mit beschränktem Intellekt und Charakter ist einfach kein interessantes Buch herauszuholen. Es ist leider langweilig.

Foto: Gerald Götting schüttelt die Hände der Mächtigen – 1972 Walter Ulbricht, 1978 Papst Johannes Paul II und 1982 Eirch Honecker: Der Chef der Ost-CDU war immer von der Richtigkeit der marxistisch-leninistischen Weltanschauung überzeugt

Peter Joachim Lapp: Gerald Götting – CDU-Chef in der DDR. Eine politische Biografie. Helios Verlag, Aachen 2011, gebunden, 230 Seiten, Abbildungen, 24,90 Euro

 

Detlef Kühn war von 1972 bis 1991 Präsident des Gesamtdeutschen Instituts in Bonn

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