© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/11 / 26. August 2011

Im Dienst an Staat und Recht
Kritische Sympathie für Carl Schmitt: Zum Abschied von Helmut Quaritsch
Hans-Christof Kraus

Helmut Quaritsch, der am 19. August nach langer, sehr schwerer Erkrankung im zweiundachtzigsten Lebensjahr verstorben ist, gehörte zu den angesehensten deutschen Staatsrechtslehrern der Nachkriegszeit. Er war ein echter Sohn Hamburgs, wirkte auch in seinem Auftreten und seiner Wesensart unübersehbar norddeutsch, geprägt von strenger, unterkühlt wirkender Sachlichkeit, zuweilen aber auch von ansteckendem Humor, der überwältigend sein konnte. Diejenigen, die ihm nähertreten durften, waren immer wieder beeindruckt von seinem außerordentlichen Wissen, das weit über die von ihm lebenslang mit genuiner Leidenschaft betriebene Jurisprudenz hinausreichte, auch die Geschichte aller Epochen sowie die Literatur und Philosophie umfaßte.

Als akademischer Lehrer war er überaus anspruchsvoll; er verlangte seinen Schülern in Bochum, Berlin und Jena sowie an der Hochschule in Speyer sehr viel ab, aber er hatte ihnen auch viel zu geben. Sein akademischer Stil war derjenige eines klassischen Ordinarius der Vor-Achtundsechziger-Jahre, der streng auf akademische Formen hielt. Seine legendären Speyerer Seminare über „Aktuelle Probleme des deutschen Staatsrechts“ bleiben allen Teilnehmern unvergessen.

Geboren am 24. April 1930 in der Elbmetropole als Sohn eines Kapitäns der Handelsmarine, wurde Helmut Quaritsch durch eine Kindheit und Jugend im Krieg geprägt. 1943 erlebte er den Untergang seiner Vaterstadt im Bombenhagel, zwei Jahre später als fünfzehnjähriger Volkssturmmann auch den Untergang des Reiches – also ein typischer Angehöriger der später so genannten „Flakhelfer-Generation“, freilich einer, der sich später von so manchem prominenten Generationsgenossen deutlich unterscheiden sollte. Am Ziel der Wiederherstellung deutscher Einheit hat er nämlich stets mit Nachdruck und Leidenschaft festgehalten.

In Hamburg studierte er in den frühen fünfziger Jahren erst Theologie und Philosophie, anschließend Rechtswissenschaften und Geschichte; zu seinen wichtigsten akademischen Lehrern zählten die Staatsrechtler Hans-Peter Ipsen, Herbert Krüger und Rolf Stödter sowie der renommierte Mittelalterhistoriker Otto Brunner. Als erster Deutscher konnte Quaritsch überdies ein Ergänzungsstudium an der renommierten französischen Ecole Nationale d’Administration (ENA) absolvieren.

Über seinen Lehrer Ipsen lernte er bereits Anfang der sechziger Jahre Carl Schmitt kennen, der ihn stark beeindruckte und in mancher Hinsicht prägte. Ihm hat er später mehrere – von keineswegs unkritischer Sympathie geprägte – Bücher und Aufsätze gewidmet.

Nach der Promotion im Jahr 1957 arbeitete Quaritsch zuerst als Lehrbeauftragter an seiner Heimatuniversität; die Habilitation erfolgte 1965 mit der klassischen Studie „Staat und Souveränität“, deren erster (und einziger) Band 1970 im Druck erschien. Das leider nicht wieder aufgelegte Werk, das eine Genese des modernen Staatsverständnisses und des neuzeitlichen Souveränitätsbegriffs vor dem Hintergrund der mittelalterlichen Verfassungsgeschichte bot, ist bis heute nicht überholt. Am Leitfaden einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Werk von Jean Bodin rekonstruierte der junge Verfasser, damals erst Anfang Dreißig, die Grundzüge der neuzeitlichen Staatsidee.

Jedenfalls muß sich das geistige Potential des jungen Juristen rasch herumgesprochen haben, denn schon wenige Monate nach dem Abschluß des Habilitationsverfahrens erhielt Quaritsch den Ruf auf einen Lehrstuhl der soeben gegründeten Ruhr-Universität Bochum. Bereits zwei Jahre später ging er an die Freie Universität Berlin, wo er sogleich in heftigste Auseinandersetzungen mit den linken Achtundsechziger- Studenten verwickelt wurde.

Quaritsch, der wie sein Jahrgangskollege Ernst-Wolfgang Böckenförde Mitherausgeber der juristischen Fachzeitschrift Der Staat war, gehörte zu den Unbeugsamsten unter den damals in der „Frontstadt“ des Westens lehrenden Professoren; wie ein seinerzeit berühmtes, 1969 im Spiegel abgedrucktes Foto zeigt, widersetzte er sich – trotz schwerster Beeinträchtigung seiner Vorlesungen – nachdrücklich jedem Versuch, ihn mundtot zu machen.

Gleichwohl zog es ihn bald aus Berlin fort. Zwischen 1970 und 1973 leitete er im Rang eines Ministerialdirektors die wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages in Bonn, ohne jedoch die Lehrtätigkeit an der Freien Universität ganz aufzugeben. 1973 allerdings folgte er einem Ruf an die renommierte Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer, eine nur Graduierten zugängliche akademische Einrichtung, an der es sehr viel ruhiger zuging als seinerzeit an den Universitäten. Hier arbeiteten und unterrichteten damals eine Reihe überaus renommierter Gelehrter wie etwa der Jurist und spätere Bundespräsident Roman Herzog, der Verwaltungswissenschaftler Klaus König, der Soziologe Helmut Klages und der Historiker Rudolf Morsey.

In dieses Umfeld paßte Helmut Quaritsch vorzüglich hinein, und hier konnte er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1998 noch einmal ein breites Wirkungsfeld als akademischer Lehrer und Förderer eines ausgewählten Schülerkreises entwickeln. Nur noch einmal verließ er kurzfristig die Pfalz, um in der Zeit der Wiedervereinigung als „akademischer Gastarbeiter“, wie er sagte, an der Universität Jena zu lehren.

In Speyer entstanden einige seiner bekanntesten Schriften, darunter eine ideengeschichtliche Studie zur Genese des Souveränitätsbegriffs und mehrere Bücher zu Carl Schmitt, von denen das wichtigste („Positionen und Begriffe Carl Schmitts“, erstmals 1990) soeben in vierter Auflage erschienen ist. Die beiden von ihm über Carl Schmitt und Arnold Gehlen veranstalteten wissenschaftlichen Kongresse in Speyer, dokumentiert durch umfangreiche Tagungsbände, haben die Erforschung von Leben und Werk dieser beiden zentralen Denker des 20. Jahrhunderts maßgeblich gefördert.

In den letzten Jahren wurde es ruhig um Helmut Quaritsch. Zwei akademische Festgaben, erschienen 2000 und 2010 zum siebzigsten und zum achtzigsten Geburtstag, ehrten das Lebenswerk des Staatsrechtlers und Rechtshistorikers, doch wissenschaftlich konnte er – seit längerem schwer erkrankt – nicht mehr tätig sein. Er hat sein Leiden bis zum Ende mit Tapferkeit, Selbstdisziplin und mit der Haltung des geborenen Hanseaten ertragen.

Am kommenden Freitag wird er in seiner Vaterstadt Hamburg zu Grabe getragen.

Helmut Quaritsch (1930–2011): Seinen Schülern verlangte er viel ab, aber er hatte ihnen auch viel zu geben

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