© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/11 / 26. August 2011

Das Spiel wird immer gefährlicher
Börsen: Die Kurse spielen seit August weltweit verrückt / Dax verliert ein Viertel seines Wertes / Wachsende Unsicherheit infolge der Verschuldungskrise
Marco Meng

Im Juli 2007 erklomm der deutsche Aktienindex mit 8.105 Punkten sein Allzeithoch, im März 2009 fiel der Dax krisenbedingt auf 3.666. Im Mai 2011 waren es dank der Geldschwemme schon wieder 7.527 – der Börsenwert der 30 Dax-Unternehmen hatte sich innerhalb von zwei Jahren mehr als verdoppelt. Im August begann die Talfahrt unter die 5.500-Marke, manche sehen die nächste Finanzkrise kommen. Die Wall Street hat nach der Bonitätsherabstufung der USA die größten Kursverluste seit 2008 verzeichnet. Die griechische Wirtschaft wird dieses Jahr wohl 4,5 Prozent schrumpfen. Und ob Italien wie geplant spart, muß sich erst noch zeigen (siehe Seite 8). Die Aktie der Bank of America verlor über 20 Prozent, die französische Bank Société Générale ebenfalls. Die Aktien der Deutschen Bank sowie der Commerzbank stürzten um über acht Prozent ab. Kurzfristig wurden Leerverkäufe bestimmter Bankenaktien verboten (JF 34/11), um dem Wetten auf fallende Kurse Einhalt zu gebieten.

Das billige Zentralbankgeld wandert an die Börsen

Die Ankündigung der US-Notenbank Fed, ihre Nullzinspolitik bis 2013 auszuweiten, hat die Märkte kaum beruhigt, sorgt man damit doch weiterhin für eine Geldschwemme. Sie ist ein Grund dafür, daß immer neue „Finanzprodukte“ erfunden werden. Das billige Zentralbankgeld wandert an die Börsen und wird bei den Banken akkumuliert, statt der Realwirtschaft zu dienen. Die Finanzmärkte sind wieder zum Spielkasino geworden – und das Spiel wird immer gefährlicher. Allein 110 Milliarden Dollar haben Banken weltweit an Griechenland verliehen. Wenn Athen pleite ginge, wäre das für manche Bankbilanz eine Katastrophe.

In der Debatte über einen möglichen Schuldenschnitt geht völlig unter, daß die Banken weltweit komplizierte Finanzprodukte aufgelegt haben. Allen voran Kreditausfallversicherungen, sogenannte Credit Default Swaps (CDS). Deren Halter sichert sich gegen die Pleite des Schuldners ab und zahlt dafür eine Prämie. Laut US-Finanzministerium sind weltweit CDS im Wert von 28.000 Milliarden Dollar im Umlauf. Wenn bei einer Umschuldung der Griechenland-Kredite CDS zur Auszahlung fällig würden, hätte das zweifelsohne eine Kettenreaktion wie 2008 nach der Lehman-Pleite zur Folge.

CDS werden per Mausklick gehandelt, mit anderen Versicherungen gebündelt oder mit ihnen wird auf einen fallenden Wert spekuliert. Man kann sie kaufen, ohne daß man das, was sie eigentlich versichern, besitzt. Alles Dinge, die schlichtweg unseriös sind. Weltweit zu den größten Spielern in diesem Geschäft gehören einige wenige Großbanken: die Deutsche Bank und Investmentbanken wie JP Morgan oder Goldman Sachs sind mit dabei.

Der Markt für Kreditderivate ist stark konzentriert. Laut US-Department of the Treasury hielten 2010 die Großbanken JP Morgan, Bank of America, Citigroup, HSBC und Goldman Sachs CDS in einem Volumen von insgesamt 13,7 Billionen Dollar, also die Hälfte des weltweiten Marktes. Auch die ETF (börsengehandelte sogenannte Index-Fonds) sind ein fragwürdiges Finanzprodukt. Sie gehen zunehmend dazu über, „physisch unterlegt“ zu sein, das heißt, sie zocken tatsächlich mit Weizen oder Öl und verknappen dadurch das Angebot.

Tatsächlich verschließen Politiker vor dem, was tatsächlich auf den Börsen vorgeht, die Augen. Ja, man fördert es sogar noch, indem man Kindern in der Schule „Börsenspiele“ nahebringt: die schärfen nicht etwa das Bewußtsein für tatsächliche ökonomische Zusammenhänge, sondern belohnen das Zocken, das Geld-aus-Geld-Machen. Genau das, was eben die „richtigen“ Börsen tun. An die Wurzeln des Problems (Euro und spekulative Finanzwirtschaft) traut sich die Politik aber nicht heran.

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