© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/11 / 26. August 2011

Erst die Erholung und dann der Protest
Italien: Noch hält sich der Unmut über das Blut-und-Tränen-Sparpaket in Grenzen, doch die Tage der Abrechnung nahen
Paola Bernardi

Dramatisch in Rot und Schwarz präsentierte das Magazin L’espresso Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi als Vampir. Anlaß ist das größte Sparpaket, das die Regierung Berlusconi jetzt vorgelegt und Italien je gesehen hat.

Zu den fast 48 Milliarden Euro, die nach dem ersten Haushaltsgesetz von Mitte Juli eingespart werden sollten, kommen nun bis 2013 weitere 45,5 Milliarden Euro hinzu. Nur so sei es möglich, den europäischen Vorgaben zu genügen und in zwei Jahren den Staatshaushalt auszugleichen, erklärte Wirtschaftsminister Giulio Tremonti. Schon spricht man von einem Blut-und-Tränen-Paket. Und Berlusconi jammert: „Mir blutet das Herz“ – aber die Weltlage habe sich eben verändert und die Europäische Zentralbank wolle das so. Nun hat das Parlament sechzig Tage Zeit, Entscheidungen zu treffen.

Zimperlich ging man nicht vor. So werden den Ministerien in Rom in den kommenden zwei Jahren pauschal 13,7 Milliarden gestrichen. Auch ist vorgesehen, daß der Öffentliche Dienst zehn Prozent des Personals und zehn Prozent bei den Amtsleitern einspart. Sogar die Abgeordneten werden zur Kasse gebeten. Wer als Parlamentarier einem zweiten Beruf nachgeht, bekommt die Hälfte der Diäten abgezogen. Die Steuern steigen auf Tabak, Benzin und Glücksspiele.

Das Sparpaket sieht neben Besteuerungsfragen vor allem auch Kürzungen für die Regionen vor. So sollen mehr als 1.500 Kommunen mit weniger als 1.000 Einwohnern ihre Eigenständigkeit verlieren. Nicht nur dieser Überraschungs-Coups wird das Land noch erbeben lassen. Neben der föderalistischen Lega Nord schäumt auch das linke Blatt Il Fatto und bezeichnet diesen Teil des Pakets als „Raubüberfall“ auf Kinderkrippen und das Gesundheitswesen. Selbst die Streichung der beiden Nationalfeiertage und des 1. Mai stehen auf dem Plan. Zur Produktivitätssteigerung sollen sie künftig auf einen Sonntag fallen. Dagegen läuft bereits der Hotelverband „ Federalberghi“ Sturm. Denn Italiener sind besonders kreativ beim Nutzen von „Brückentagen“.

Schon kündigen die Gewerkschaften Generalstreiks an. Doch während die Medien die Schreckensszenarien vertiefen, genießen die Römer und Mailänder ihre letzten Urlaubstage am Meer oder in den Bergen. Erst die Erholung, dann der Protest, so lautet hier die goldene Regel.

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