© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/11 / 26. August 2011

Vererbte Vertreibung
„Tag der Heimat“: Jugendverbände versuchen, das kulturelle Erbe Ostdeutschlands weiterzugeben
Bernd Knapstein

Der auf das Vereinswesen gemünzte Grundsatz, daß eine Organisation stets so langlebig ist, wie ihre Jugendarbeit gut ist, spiegelt nur bedingt die Realität in den Verbänden der deutschen Heimatvertriebenen wider. Ein wesentlicher Grund dafür ist das generationsbedingt unterschiedliche Empfinden von Heimat. Rund 65 Jahre nach dem erzwungenen Exodus der Deutschen aus Ostmitteleuropa ist der nachwachsenden Generation der eigene Vertriebenenstatus nur noch schwer vermittelbar. Das ist neben dem Verlust des privaten Besitzes und der landsmannschaftlichen Dialekte einer der Preise der gelungenen Integration der deutschen Heimatvertriebenen in die restdeutsche Gesellschaft nach 1945.

Die politische Debatte um das Recht auf die Heimat ist dennoch nicht abgeschlossen. Das Bewußtsein um die eigenen Wurzeln ist dafür noch zu ausgeprägt, die Schilderung der Heimat von einst noch zu nah und Vertreibungen in der jüngeren Vergangenheit zu gegenwärtig. Für die Jugendverbände im Bund der Vertriebenen (BdV) war die Frage nach dem Ob und dem Wie einer Rückkehr auf den heimatlichen Boden zum Teil bis in die neunziger Jahre hinein nicht frei von Konflikten. Nach dem Beitritt Polens zur Europäischen Union 2004 und der damit verbundenen Freizügigkeit wird diese Frage allerdings kaum noch bei der ostdeutschen Jugend diskutiert. Die ferne Heimat ist heute eher eine Frage von Traditionspflege im Sinne von Erinnerungskultur und wird als gelebtes Bewahren des kulturellen Erbes begriffen. Dennoch beschäftigen vertriebenenpolitische Fragen noch heute den BdV-Nachwuchs. Das belegen Schriften, Tagungsinhalte und öffentliche Verlautbarungen der Jugendorganisationen.

So thematisiert der Bund Junges Ostpreußen (BJO) in seinem Magazin Fritz 1/2011 die sich aus dem Zensus 2011 ergebenden Herausforderungen für das eigene Bekenntnis. Stefan Hein, der Bundesvorsitzende der jungen Ostpreußen, greift Frage 17 des Zensus und die Frage nach dem eigenen „Migrationshintergrund nach 1955“ auf. Die fehlende Differenzierung zwischen nichtdeutschen Migranten und deutschen Heimatvertriebenen bereitet aus Sicht des BJO den deutschen Behörden auch heute noch Probleme. In den Jahren zuvor hatte der rund 500 Mitglieder zählende Jugendverband die Praxis zahlreicher Ordnungsämter kritisiert, die etwa bei aus Königsberg stammenden Vertriebenen als Geburtsort für das Jahr 1938 „Kaliningrad RUS“ oder ähnlichen Unsinn in den Pässen dokumentiert hatten.

Trotz solcher Solidaritätsbeweise bleibt der Generationenwechsel nicht frei von politischen Spannungen und Brüchen. Die Frage, ob man sich selbst als Entrechteter, als Heimatvertriebener nach so langer Zeit empfinden darf und kann und welche Schlußfolgerungen daraus zu ziehen sind, haben verschiedene Verbände in den vergangenen 20 Jahren nicht immer im Sinne ihrer Landsmannschaften entschieden. So hat sich die Landsmannschaft Ostpreußen in den Jahren 1991 und 2000 gleich zweimal von ihrer Jugendorganisation getrennt, weil die Jugend diese Fragen zu einem großen Teil deutlich anders als die Mutterorganisation beantwortet hatte. Die Schlesier haben einen ähnlichen Bruch just in diesem Jahr mit ihrer Schlesischen Jugend schmerzhaft vollziehen müssen (JF 27/11). In anderen Landsmannschaften ist die Jugendarbeit aus Mangel an heimatpolitischem Bekenntnis oder aufgrund mangelhafter Angebote für den eigenen Nachwuchs komplett weggefallen. Für Oberschlesien gilt allerdings die Sondersituation, daß die Volksgruppe in der Heimat noch so stark ist, daß die Heimatverbliebenen von größerer Bedeutung sind als der vertriebene Anteil.

Peter Maffay und Helene Fischer als Vorbilder

Eine andere Situation gilt für die Sudetendeutsche Jugend (SdJ), da die Sudeten als vierter bayerischer Volksstamm integriert sind. Die SdJ ist zwischen Main und Alpen ein fester kultureller Faktor. Sie hat ihre 60jährige Existenz deshalb ganz selbstbewußt unter Einbeziehung des Ministerpräsidenten feiern können. Man zeigt sich weltoffen und europäisch. So stellt sich das aktuelle SdJ-Logo als im europäischen Sternenkranz gleitende Möwe dar, deren Schwingen die Farben der deutschen und der tschechischen Nation zeigen.

Ähnlich kosmopolitisch sieht sich der Nachwuchs der Deutschen aus Rußland. Vor dem Hintergrund der massenhaften Spätaussiedlung aus den GUS-Staaten in den vergangenen zwei Dekaden kommt integrationspolitisch dem 2008 gegründeten Jugend- und Studentenring der Deutschen aus Rußland (JSDR) eine besondere Bedeutung zu. Der rund 1.000 Mitglieder starken Organisation geht es nicht um klassische BdV-Politik, sondern neben der Pflege des kulturellen Erbes um Integration durch Spiel und Sport. Man wolle den Integrationswilligen Perspektiven aufzeigen, erklärt ein Verbandsmitarbeiter. Ähnliches gilt für die rund 70 Kinder-, Jugend- und Volkstanzgruppen der Siebenbürgisch-Sächsischen Jugend in Deutschland (SJD). Für Orientierung sorgen in solchen Verbänden heute Idole gleicher Herkunft wie Peter Maffay oder Helene Fischer. Deren Erfolg steht für Integration und für landsmannschaftlichen Stolz.

Zweck der Jugendverbände war einst die Integration des Nachwuchses in die landsmannschaftlichen Strukturen und die Sicherung der Kontinuität als Schicksalsgemeinschaft. Dieses Ansinnen, so muß man konstatieren, ist gescheitert. Das mußte es wohl auch, um der Jugend eine eigene Perspektive zu ermöglichen. Der in der Charta der deutschen Heimatvertriebenen von 1950 verbriefte Verzicht auf Rache findet hier, in der strukturellen Auflösung des BdV, sein Finale. Heute klönen nachwachsende Ostpreußen Kölsch oder schnacken niedersächsisches Platt, während die sudetendeutsche Jugend ganz bayrisch grantelt. Der staatliche und kulturelle Verlust, den die Deutschen nach 1945 in Europa hinnehmen mußten, ist immens, und er ist nicht mehr umkehrbar. Was bleiben wird, das sind Traditionsvereine, die sich um die Bewahrung des kulturhistorischen Erbes der Deutschen aus Ostmitteleuropa und um den Schutz verbliebener Minderheiten in den Heimatgebieten sowie als Mahner vor neuen Vertreibungen bemühen.

 

Nachwuchsarbeit

Genauso wie der Bund der Vertriebenen insgesamt sind auch die die Jugendorganisationen der Vertriebenen nach landsmannschaftlichen Gesichtspunkten organisiert.

Zu den aktivsten Organisationen gehört die Siebenbürgisch-Sächsische Jugend in Deutschland, die enge Kontakte zu den in der alten Heimat verbliebenen Landsleuten pflegt ( www.siebenbürger.de/sjd ). Gleiches gilt für den 2008 gegründeten rührigen Jugend- und Studentenring der Deutschen aus Rußland ( www.jsdr.de ).

Politisch sehr aktiv ist der Jugendableger der Sudetendeutschen, die Sudetendeutsche Jugend ( www.sdj-online.de ). Eine wechselvolle Geschichte hat die Nachwuchsorganisation der Ostpreußen, Bund Junges Ostpreußen ( www.ostpreussen-info.de ), deren Vorgängerorganisationen bereits zweimal von der Landsmannschaft ausgeschlossen worden waren. Ähnlich erging es Anfang des Jahres der Schlesischen Jugend ( www.schlesische-jugend.de ), dessen Bundesverband von der Landsmannschaft Schlesien suspendiert wurde.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen