© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/11 / 19. August 2011

Der Flaneur
Sommerfest im Nirgendwo
Ellen Kositza

Sommerfest in einer Ortschaft, die sich zu DDR-Zeiten als Kleinstadt fühlen durfte und heute kaum mehr Einwohner hat als ein Dorf. Der Festumzug führt durch fast leergezogene Plattenbausiedlungen, durch die Altstadtgassen, deren Verfall malerisch anmutet und endet auf dem Marktplatz. Noch einmal werfen die mitmarschierenden Landfrauen Bonbons. Kaum einer bückt sich – der Rücken macht nicht mehr mit, und die Gaumen der wenigen Kinder sind auf hochwertigeres Naschwerk geprägt.

Bevor der Bürgermeister, ein arbeitsloser Ehrenamtler, zur Rede anhebt, marschiert der Fanfarenzug zum Finale auf. Weiße Hosen, oranges Hemd mit Werbeaufdruck des lokalen Sägewerks, man war zur Feier des Tages beim Friseur, gewagte Strähnchenfarben bei den Frauen blitzen auf, Rasiermuster bei den Männern.

Auf fast sämtlichen Nasen sitzen Sonnenbrillen. Es nieselt fein. Grimmig wird getrommelt, gepaukt, geblasen. Der alte Name wurde jüngst ausgewechselt in „Die Schalmeien-Players“; es heißt, mit pfiffigerem Etikett hoffe man, Nachwuchs anzulocken.

„Die Krippenkinder krähen ein Lied, ein Alteingesessener trägt Mundartdichtung vor.“

Nach der Ansprache ein kleines Kulturprogramm auf der Marktbühne. Die Krippenkinder krähen ein Lied zur Musik vom Band, ein Alteingesessener trägt Mundartdichtung vor, die untergeht in den Gesprächen auf den Bierbänken. Mit rotem Gesicht wartet ein dicker junger Mann auf seinen Auftritt, die Eltern, gewandet in sackartigen Grellfarben, haben Fettbemmen und Bier geordert und warten kauend mit.

Der Bürgermeister kündigt die „Nachwuchshoffnung aus unserem hübschen Städtchen“ an. Ein Klavier steht bereit. Umständlich nimmt der Dicke Platz. Schuberts Wandererphantasie, mustergültig, mit feinstem Ausdruck und großer Bewegung. Der Mutter rinnen Tränen auf den Teller. Wir stehen entrückt.

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