© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/11 / 19. August 2011

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Lammert und das Rote Kloster
Paul Rosen

Kleine Nachrichten können wie Vorzeichen großer Ereignisse wirken. Als solches Zeichen wird die Pressemitteilung des Bundestages gewertet, in der zu lesen war, daß Guido Heinen, bisher Sprecher des Bundestages, zum 1. Oktober die Leitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Parlaments übernimmt. Der ehemalige Welt-Journalist Heinen war seit 2006 Sprecher von Bundestagspräsident Norbert Lammert und gilt linken Kreisen als suspekt. So bewertete ihn das linksextremistische Internet-Portal „indymedia” als „rechtslastigen Fachmann für ‘Investigation’”, und Spiegel online hielt Heinen, der gewiß nicht auf dem linken Flügel der CDU anzusiedeln ist, für „nicht unumstritten“.

Daß Lammert sich nach über fünf Jahren von seinem Sprecher trennt, dürfte keine fachlichen Gründe haben. Vielmehr ist der Präsident kein Mensch, der sich wie Helmut Kohl mit seinen Vertrauten Ede Ackermann und Juliane Weber jahrzehntelang mit denselben Personen umgeben könnte. Er liebt die Abwechslung und setzt außerdem mit Personalentscheidungen gerne Zeichen.

Das Zeichen heißt Sabine Adler (Jahrgang 1963). Lammert hole sich mit der Leiterin des Berliner Studios des Deutschlandfunks „eine von der SPD protegierte Sprecherin“, wußte die Süddeutsche Zeitung. Und damit ist die Personalie ein klares Zeichen in Richtung Große Koalition, deren bevorstehende Wiedergeburt die Spatzen seit geraumer Zeit vom Dach des Reichstages pfeifen. Lammert will sich in eine weitere Amtszeit retten. Dafür kalkuliert er auf Unterstützung der SPD, nachdem der CDU-Mann bei Kanzlerin Angela Merkel wegen zahlreicher kritischer Bemerkungen über den Regierungsstil in Ungnade gefallen ist. Deshalb wird mit Adler das Signal an die SPD gesendet.

Allerdings hat die Journalistin und Romanautorin („Russenkind“) eine Vita, die nicht allen im Bundestag gefallen dürfte. Adler studierte bis 1987 an der Universität Leipzig Journalistik. Wer dort Journalismus studierte, galt als besonders linientreu. Viele waren daher SED-Mitglieder und häufig versuchte die Stasi unter den Studenten inoffizielle Mitarbeiter anzuwerben.

Lammert hat es ziemlich eilig. In einer Pressemitteilung des Bundestages hießt es, er habe seine Vizepräsidenten über die neue Sprecherin informiert. Und weiter: „Die förmliche Bestellung soll in der ersten Sitzung des Präsidiums nach der Sommerpause erfolgen.“

Damit geht der Präsident ein Risiko ein. Die Berufung der aus dem „Roten Kloster“, wie die Leipziger Kaderschmiede für DDR-Journalisten genannt wurde, kommenden Adler könnte auf Widerstand stoßen. Lammert hat sein Schicksal per Pressemitteilung mit der designierten Sprecherin verknüpft. Er wäre nicht der erste, der über eine Personalie stürzen würde. Erinnert sei an Willy Brandt, der die „schöne Griechin“ Margarita Matthiopoulos zur Pressesprecherin machen wollte und nach erbittertem Widerstand in der SPD als Parteichef zurücktreten mußte. Brandts „letzter Sirtaki“ hieß es damals. Der letzte Tanz kann schneller kommen, als man denkt.

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