© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/11 / 19. August 2011

Politische Erfahrung
Weg und Ziel
Klaus Motschmann

Banale Alltagsbegebenheiten vermitteln oft genug nachhaltige Anstöße zum Nachdenken über Selbstverständlichkeiten, die eben vielfach nicht mehr selbstverständlich sind. Dazu gehört zum Beispiel die Vergewisserung vor Antritt einer Reise oder einer längeren Wanderung, auf welchem Weg man das angestrebte Ziel am besten erreichen kann. Wer zum Beispiel von Berlin nach Stuttgart fahren will, wird keinen Zug nach München besteigen, obwohl dieser Zug über eine lange Strecke in die richtige Richtung führt. Es kommt eben nicht allein auf die richtige Richtung an, sondern vor allem auf das angestrebte Ziel.

Die politische Erfahrung lehrt uns, daß sich viele vermeintlich richtige Schritte auf neuen Wegen innerhalb kurzer Zeit als Umwege, Irrwege oder Abwege erweisen. Wer die Auseinandersetzungen in Gesellschaft und Politik verfolgt, wird im Zusammenhang mit wichtigen Entscheidungen in zunehmendem Maß von „richtigen Schritten auf einem richtigen Weg“ informiert, aber immer weniger davon, welches konkrete Ziel damit angestrebt wird. So erklärt sich die gängige Parole, daß der Weg das Ziel sei. Wer aber bestimmt, welche Schritte zu diesem Ziel gegangen werden müssen und wer den richtigen Weg weist? An ideologisch sehr unterschiedlich gestimmten „Wegweisern“ fehlt es nicht.

Ihnen geht es in der Regel nicht um die Konzentration aller Kräfte zur Erreichung konkreter Ziele, sondern um die Demonstration gemeinsamer Verantwortung bei der Überwindung akuter Not. Not kennt bekanntlich kein Gebot, auch nicht das Gebot, alle Erfahrungen mit der Politik erster Schritte in vermeintlich richtige Richtungen zu beachten. Dazu gehört die Frage nach dem Sinn, die sich auf sehr unterschiedliche Weise beantworten läßt. Aber wer stellt diese grundsätzliche Frage zur Vermeidung möglicher Mißverständnisse? Häufig vermitteln schon die „ersten Schritte“ die eigentliche Richtung derartiger „Gemeinsamkeiten“.

Eine Antwort ist der Fabel vom Skorpion und Frosch zu entnehmen. Beide wollen gemeinsam einen Fluß überqueren. Die Bedenken des Frosches zerstreut der Skorpion mit dem Versprechen, daß er dem Frosch nichts tun werde. Nach dem Übersetzen sticht der Skorpion aber doch zu. Mit letzter Kraft fragt der Frosch, weshalb er das getan habe? Darauf der Skorpion: „Ich kann nicht anders.“

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaft an der Hochschule der Künste Berlin.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen