© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/11 / 12. August 2011

Metamorphosen des „Antifaschismus“
Die Gesinnungsjäger
von Jost Bauch

Ohne Zweifel stellt der „Antifaschismus“ einen wesentlichen Teil der Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland dar. Im Gefolge der Entwicklung der Bundesrepublik hat sich in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ein ganz spezieller Typus des „Antifaschismus“ entwickelt, der sich in vielerlei Hinsicht von den „Antifaschismen“ marxistischer Provenienz unterscheidet und abhebt.

Mit der Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands trafen gleichsam zwei „Antifaschismus“-Konzepte aufeinander: das „klassische“, marxistisch untermauerte Konzept der ehemaligen DDR und das bundesrepublikanische Konzept, das bis auf Restbestände bei orthodoxen Marxisten das DDR-Konzept des (Anti-)Faschismus seit den neunziger Jahren systematisch verdrängt hat. An dieser Stelle sollen die Unterschiede der „Antifaschismus“-Konzepte in West und Ost dargelegt und der Prozeß der Universalisierung des West-Konzeptes nachgezeichnet werden.

Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist ein Aufsatz des Soziologen Mario Rainer Lepsius aus dem Jahre 1989, der sich mit dem Erbe des Nationalsozialismus und der politischen Kultur der Nachfolgestaaten des Dritten Reichs befaßt. Lepsius konstatiert drei unterschiedliche Umgangsformen mit der NS-Vergangenheit: Externalisierung, Internalisierung und Universalisierung. In Österreich wurde die nationalsozialistische Vergangenheit externalisiert, indem man sich als erstes Opfer stilisierte und das Ganze als ein von außen oktroyiertes Ereignis einstufte.

Die Bundesrepublik Deutschland (West) hat infolge ihres Anspruchs auf Rechtsnachfolge des Deutschen Reiches die NS-Zeit internalisiert. Dagegen universalisierte die DDR die Zeit des Nationalsozialismus, indem sie diese als mehr oder weniger notwendige Etappe im globalen Kampf zwischen Kapitalismus und Sozialismus begriff. Auf der Basis dieser unterschiedlichen Erklärungsmuster der nationalsozialistischen Vergangenheit haben sich sodann ganz unterschiedliche „Antifaschismus“-Konzepte in West- und Ostdeutschland entwickelt.

Für die DDR war die Ausgangslage klar. Wie Herfried Münkler in seinem lesenswerten Buch „Die Deutschen und ihre Mythen“ darlegt, war der „Antifaschismus“ der grundlegende Gründungsmythos der DDR. Durch den Sieg der Sowjetunion über Deutschland konnte der erste sozialistische Staat auf deutschem Boden errichtet werden, die DDR war auf der Seite der „Sieger der Geschichte“. Mit der Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft wurde zumindest auf dem „Territorium der DDR“ der „Faschismus“ überwunden, die DDR verstand sich als institutionalisierten „Antifaschismus“.

Der Faschismus wird in der marxistischen Lesart als eine historische Epoche verstanden, die durch den Sieg des Sozialismus in der DDR überwunden wurde. Er ist die Endstufe des Imperialismus, den Lenin als das höchste Stadium des Kapitalismus verstanden hat. Danach stirbt der Kapitalismus notwendigerweise ab.

Der Faschismus als Sonderform des Imperialismus wurde nach den Ausführungen von Georgi Dimitroff als „offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elementen des Finanzkapitals“ bezeichnet, die durch eine Verschmelzung der Macht der Finanzoligarchie mit der Macht des Staates zustande kommt.

In dem von Georg Klaus und Man-fred Buhr herausgegebenen „Philosophischen Wörterbuch“ (1971) aus der DDR heißt es: „Der Faschismus ist die Reaktion der imperialistischen Bourgeoisie auf die Veränderung des Kräfteverhältnisses seit dem Beginn der allgemeinen Krise des Kapitalismus, seit dem Sieg der Großen sozialistischen Oktoberrevolution, die den weltweiten Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus einleitete.“ Faschismus ist damit nach marxistisch-leninistischem Verständnis eine geradezu notwendige historische Epoche des kapitalistischen Abwehrkampfes kurz vor dem Sieg des Proletariats.

Diese geschichtsdeterministische Verortung des Faschismus funktioniert, so Herfried Münkler, wie eine „große Entschuldungsmaschine“, die Menschen in der DDR – insbesondere die Arbeiterklasse – waren nicht schuld am Aufstieg des „Faschismus“, sie waren bis auf eine Gruppe von „Monopolkapitalisten“ und überzeugten „Nazis“ im Prinzip Opfer. Das „Philosophische Wörterbuch“ dazu: „Diese Niederlage des Faschismus war nicht eine Niederlage des vom Faschismus unterjochten deutschen Volkes, sondern ihrem klassenmäßigen Wesen nach ein Sieg für die deutsche Arbeiterklasse, die zu keiner Zeit eine Stütze des deutschen Faschismus gewesen ist.“

Abgesehen davon, daß die letztere Aussage historisch widerlegt ist, wird hier zum Ausdruck gebracht, daß nicht die deutschen Mentalitäten – das Psychogramm der Deutschen – schuld am Aufstieg der Nationalsozialisten waren, sondern eben die Zuspitzung der Klassenauseinandersetzungen im absterbenden Kapitalismus. Damit wurde die Bevölkerung der DDR weitgehend politisch und moralisch von Schuld entlastet. Dies war auch notwendig für eine Gesellschaft, die sich über den „antifaschistischen“ Kampf definierte.

Mit dieser Entschuldung weiter Teile der DDR-Bevölkerung konnte auch die weitgehende Ignorierung des Massenmords an den europäischen Juden legitimiert werden. Ulbricht ließ jüdische Restitutions- und Wiedergutmachungsansprüche laut Herfried Münkler „mit der Formulierung zurückweisen, daß dann deutsche Proletarier abermals durch das internationale Kapital ausgebeutet würden. Nachdem die Bundesrepublik Zahlungen zur Wiedergutmachung an den Staat Israel geleistet hatte, genoß die DDR außerdem die Anerkennung arabischer Staaten.“

Die geschichtsdeterministische Deutung des Faschismus mit ihrer Entlastungsfunktion für weite Teile der Bevölkerung ließ so auch den „antifaschistischen“ Eifer weniger nach innen (gegen die eigene Bevölkerung), sondern mehr nach außen gegen den „ausländischen Klassenfeind“, insbesondere die „BRD“ lenken. Wurde im DDR-„Antifaschismus“ der Faschismus als Epoche der weltweiten Klassenauseinandersetzungen historisiert, also im wesentlichen auf die gesellschaftlichen Verhältnisse und weniger auf das Verhalten von Subjekten zurückgeführt (das Verhalten wird in marxistischer Manier aus den Verhältnissen „abgeleitet“ – was eine partielle „Entschuldung“ der Subjekte impliziert), so hat der bundesrepublikanische „Antifaschismus“ von Anfang an eine sehr viel stärkere psychologische Dimension.

Das hat auch damit zu tun, daß – wie von Lepsius betont – die NS-Zeit als Bestandteil der eigenen Geschichte internalisiert wurde. Wurde der „Antifaschismus“ in der DDR in den Zusammenhang von kollektiven Klassenantagonismen und Klassenkämpfen verortet, so wurde er in der Bundesrepublik von Anfang an auf ein Gesinnungsproblem reduziert. Da man in der Bundesrepublik über kein geschichtsmetaphysisches Weltbild verfügte, die Zeit des Nationalsozialismus also nicht epochal erklären und einteilen konnte, mußte die Faschismusgefahr alleine über Gesinnungen und Verhaltensweisen von Menschen und Menschengruppen erklärt werden.

Eine historisch irgendwie zustande gekommene Geschichte des deutschen militaristischen Sonderweges hat die Personen und Persönlichkeitsprofile hervorgebracht, die empfänglich für den Nationalsozialismus waren. Dem historisierenden Faschismusmodell der DDR wurde ein psychologisierendes Modell in der Bundesrepublik entgegengestellt. Großen Einfluß auf diese dominant psychologische Ausdeutung des Faschismus hatte ohne Zweifel die im Jahre 1944 in den USA von Theodor W. Adorno, Else Frenkel-Brunswik, Daniel J. Levinson und R. Nevitt Sanford durchgeführte Studie „Die autoritäre Persönlichkeit“. 

Unter anderem mit Bezug auf die Ergebnisse dieser Studie konnte das amerikanische Konzept der „reeducation“ als generalpräventive Maßnahme gegen die vermeintliche deutsche Affinität zum Faschismus umgesetzt werden. Nach Maßgabe dieser Studie stellt die Persönlichkeitsstruktur der autoritären Persönlichkeit die Grundlage für eine latente oder manifeste Faschismus-Neigung dar.

Über 2.100 Probanden wurden befragt, Antisemitismus-, Ethnozentrismus-, Konservativismus- und Faschismus-Skalen wurden entworfen. Menschen mit autoritären Persönlichkeitsdispositionen buckeln dabei nach oben (autoritäre Unterordnung), drangsalieren Schwächere oder Minderheiten (autoritäre Aggression) und richten sich an Äußerlichkeiten aus (Konventionalismus).

Zur Erklärung der autoritären Persönlichkeitsstruktur wurde die psychoanalytische Sozialisationstheorie bemüht. Zum Autoritarismus kommt es durch eine restriktive und straforientierte Erziehung, welche die Ausbildung eines starken Ichs beziehungsweise Über-Ichs behindert und eine Kritik an den Eltern nicht zuläßt. Verbunden damit ist eine Idealisierung der eigenen Eltern, wobei Aggressionen gegen die Eltern auf Schwächere verlagert werden. Bereits Mitte der fünfziger Jahre wurde diese Studie von anderen Sozialwissenschaftlern stark kritisiert. So bemängelte man den nicht-repräsentativen Charakter der Stichprobe, die Art der Skalenkonstruktion, Schwächen in den qualitativen Analysen, die Art der Verknüpfung von qualitativen und quantitativen Methoden und so weiter.

Gleichwohl stand dieses Modell der autoritären Persönlichkeit Pate in den westlichen „Antifaschismus“-Konzepten. Der Kampf gegen den Faschismus war kein Kampf gegen spezifische Klassenantagonismen und Klasseninteressen, er wurde zum Kampf gegen Persönlichkeitsdispositionen, die unter allen möglichen historischen Bedingungen und latent in allen Gesellschaftsformationen auftreten. Diese Umstellung auf Psychologie und Subjektivismus hat zudem den Vorteil, daß die Faschismusgefahr universalisiert werden kann.

Der „Antifaschismus“ wird zur Lebensaufgabe. Dabei hat dieses psychologisierende Konzept den alten „Antifaschismus“-Begriff der marxistischen Klassenanalyse überlagert und letztlich in die Unbedeutsamkeit gedrückt. Nur vor dem Hintergrund dieses Paradigmenwechsels wird verständlich, warum der neue „Antifaschismus“ eine solche denunziatorische Ener-gie aufweist.

Aus dem Kampf gegen  Faschismus ermöglichende gesellschaftliche Verhältnisse wurde eine Menschenjagd. Es gilt, „faschistoide“ Persönlichkeiten aufzuspüren, letztlich psychisch gestörte Personen, die von Xenophobie, Islamophobie oder Homophobie befallen sind. Allesamt psychische Befunde.

Der moderne „Antifaschist“ wird zum Attitüdenjäger, er will dargebotene Einstellungen dekomponieren und hinter der Fassade einer zugänglichen Meinungsäußerung „faschistoide“ Kerne freilegen, der entsprechende Meinungsträger wird im öffentlichen Raum „überführt“ und „dekuvriert“. Dieser neue Gesinnungsterrorismus ist um einiges brutaler als die alte DDR-Variante, die mehr auf gesellschaftliche Veränderungen setzte. Aus marxistischer Sicht ist der neue Gesinnungs-„Antifaschismus“ übrigens typisch bürgerlich.

 

Prof. Dr. Jost Bauch, Jahrgang 1949, lehrt Medizinsoziologie an der Universität Konstanz und ist Vizepräsident des Studienzentrums Weikersheim. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über wirtschaftliche Zuwanderung („Die deutsche Krämerseele“, JF 12/11).

Foto: Martialisches Selbstbild der „Antifa“: Der moderne „Antifaschist“ versteht sich als Jäger abweichender Meinungen und Einstellungen

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