© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/11 / 12. August 2011

CD: Vagn Holmboe
Geduld wird belohnt
Sebastian Hennig

Eine künstlerische Handschrift entfaltet sich heute nicht mehr so urgewaltig und eruptiv wie in den Glanzzeiten der klassischen und romantischen Kunstausübung. Aber der dänische Tonsetzer Vagn Holmboe hat dafür auch dreißig Jahre mehr Zeit gehabt, sein Lebenswerk zu entwickeln, als beispielsweise Beethoven. Holmboe war vierzig, als er dem ersten Quartett eine Werknummer gibt. Zehn apokryphe Werke dieses Genres sind zuvor bereits entstanden. Das erste schrieb der Siebzehnjährige ein Jahr, nachdem er am Königlich Dänischen Musikkonservatorium angenommen wurde. Holmboes Frau, die rumänische Pianistin Meta Graf, erschloß ihm die Volksmusik des Balkans. Von deren Elementargewalt zeigte er sich ebenso beeindruckt wie sein großes Vorbild Béla Bartók zuvor von den Klängen der ungarischen Autochthonen.

Der Weltgeist wehte im 20. Jahrhundert nicht ganz so glühend und eisig über die dänischen Inseln wie über das europäische Festland. Diese Klangfolgen sind ausgeglichen, viel mehr reine Musik als bei den anderen großen Quartett-Komponisten des Jahrhunderts, in deren Leben und Werk sich die Schmerzen der Epoche einkerbten. Wer ihrer gewahr werden will, der muß sich mit Geduld und ungeteilter Aufmerksamkeit wappnen. Unter diesen Voraussetzungen wird er auch belohnt werden.

Energisch eröffnet beispielsweise das 16. Quartett. Gegen Ende entläßt dann der erste Satz gelindere Seitenthemen, um nach drei Minuten einem grazil-bewegten Scherzo Platz zu machen, dem ein elegisch schweifendes Adagio folgt. Das abschließende Presto rechtfertigt noch einmal subtil den rhythmischen Schwung des kürzesten Quartetts des dänischen Meisters. Eine Viertelstunde zeitloser Musik. Raffiniert verspannte Motiventwicklung in einer für den spröden Komponisten fast populären Klangfülle und Sinnlichkeit. Letztlich ist die Ausbildung einer individuellen künstlerischen Ausdrucksform wie die Holmboes immer auch eine Frage des Temperaments. Holmboe hat seine Gestaltungsweise selbst einmal als „Metamorphose-Technik“ bezeichnet. „Metamorphische Musik ist (…) einheitlich geprägt, was unter anderem bedeutet, daß Kontraste (…) immer aus derselben Substanz geschaffen sind (…) Kontraste können tatsächlich nur komplementär und nicht dualistisch sein.“

Als Modellkasten der Quartettbaustelle oder Registerband seiner Gesamtausgabe fungiert das letzte nummerierte Quartett „Svaerm“. In elf Klangminiaturen wird die Spannungskraft der vier Streicher, alle Möglichkeiten des Abstoßens und Anziehens von potentiellen Solisten, die auf eine bemessene Zeit übereinkommen, dargeboten.

Vorgelegt wird nun sozusagen die Nationalausgabe der 19 autorisierten Quartette und des posthumen „Quartetto Sereno“, welches Per Nörgard redigierte, eingespielt durch das Kontra Quartett. Das Label Dacapo wurde 1986 als offizieller Multiplikator der dänischen Musikkultur gegründet. Ein feierliches Äußeres verleihen den Papierkuverts der sieben Tonträger und des Beiheftes die monochromen Mikrofotografien von Holmboes Frau, die verschiedene Kristallisationen zeigen. Darin liegt zugleich ein visueller Hinweis auf die mannigfaltige Einheit in der Musik ihres Gatten.

Vagn Holmboe: Complete String Quartets Dacapo 2011  www.dacapo-records.dk

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