© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/11 / 12. August 2011

Pankraz,
Tim Bendzko und die Rettung der Welt

Wenige Tage vor der Mordorgie in Norwegen stürmte ein Popsänger die deutschen Charts, der bis dahin völlig unbekannt gewesen war, doch nun sofort, buchstäblich über Nacht, an die Spitze der Rangliste katapultiert wurde und sich seitdem dort hält. Sein Name: Tim Bendzko (26). Titel seines Songs: „Nur noch kurz die Welt retten“.

Merkwürdigerweise hat ihn noch niemand mit dem Osloer Attentat des Anders Breivik in Verbindung gebracht, obwohl inzwischen eine schier ausufernde Ursachenforschung eingesetzt hat und die verschiedensten Gestalten als „geistige Brandstifter“ namhaft gemacht werden, Henryk M. Broder, Thilo Sarrazin, Adolf Hitler … Allenfalls die Werbetexter von Bendzkos Produktionsfirma haben etwas gemerkt und versichern nun eifrig, daß der Sänger die Sache mit der Weltrettung ironisch gemeint habe.

Wer den Titel hört, spürt allerdings nicht die Spur von Ironie. Bendzko ist ein todernster, wohl etwas biederer Typ, der immer genau das zu sagen versucht, was er denkt. Er will seiner Freundin erklären, weshalb er nicht rechtzeitig zu einem verabredeten Treff kommen kann. Er muß eben erst einmal „kurz die Welt retten“ und zu diesem Behuf „148 Mails checken“, sie soll schon mal mit dem Essen anfangen.

Die Sache ist im Grunde völliger Irrwitz, und die Musik, die Bendzko bietet, vertieft diesen Irrwitz noch. Es ist ein nicht unmelodischer Sprechgesang, der sowohl Melancholie als auch tiefste Sachlichkeit ausstrahlt. Das Video zeigt einen adretten jungen Mann von mitteleuropäischem Zuschnitt, der mit einem offenen alten Porsche in Berlin herumkurvt und dabei eine besorgte Miene macht. Und immer wieder singt er: „Ich bin gleich bei Dir, ich muß nur noch kurz die Welt retten.“

Dem Publikum gefällt’s offenbar, wie die Absatzzahlen zeigen. Bendzko scheint den „Sound“ der gegenwärtigen jungen Generation voll getroffen zu haben. Ehrgeizige Jünglinge in früheren Zeiten wollten die Welt nur „verbessern“, später manchmal auch von Grund auf „verändern“. Heute indessen wollen sie nur noch „retten“. Die „Rettung“ ist zum großen Kennwort für gewaltsame, unorganisch-revolutionäre Eingriffe geworden. Und es geht immer und nur noch ums Ganze.

Auch Anders Breivik in Norwegen wollte bekanntlich die Welt retten, zusammen mit dem christlichen Abendland. Aus dem Rettungssyndrom heraus beging er seine Morde, es waren keine „eiskalten“ Morde, wie die Medien verlautbarten, sondern durchaus barmherzige, wenn die Barmherzigkeit auch sehr allgemein gehalten war. Wer die Welt retten will, darf nicht nach konkreten Einzelopfern fragen, sie müssen notfalls mit äußerster Entschlossenheit beiseite geräumt werden.

In gleichem Maße gilt freilich: Das Handwerkszeug der Weltrettung ist nicht allgemein gehaltene, verbale Überzeugungsarbeit, sondern die abrupte, wie der Blitz einschlagende Tat. „Wenn Worte meine Sprache wären“ heißt bezeichnenderweise das Album von Tim Bendzko, auf dem sich das Lied „Nur noch kurz die Welt retten“ befindet. Die Sprache der Weltretter besteht nicht aus Worten, sondern aus Taten, ja mehr noch: aus einer einzigen Ur-Tat, nämlich dem Mord, dem Ur-Mord, den Kain an Abel beging. Überleben heißt töten, und wer die Welt retten will, der muß unter Umständen nicht nur Tiere, sondern auch Artgenossen töten.

Auf dem gleichen VertigoTV-Label, auf dem Bendzkos Song ertönt, tummeln sich auch noch andere singende Weltretter, Andreas Bourani beispielsweise oder Florian Fischer. Bourani überbietet Bendzko sogar, er will die Welt nicht nur „kurz“, sondern „in drei Sekunden erretten“, und zwar indem er „ihre Feinde vergiftet“. Dergleichen Pop-Singerei reicht schon nah an die Mentalität des Norwegen-Attentäters heran, nur daß der eben tatsächlich zur Tat schritt, während Bourani & Co. nur davon singen. Wenn aber schon „Brandstifter“, dann gewiß eher Bourani als Broder.

Ob moderne Weltretter oder bloße „Weltveränderer“ der jüngeren Vergangenheit – schon immer wurde klargestellt, daß es ihnen keineswegs nur um das „Abchecken“ irgendwelcher Mails ging, sondern um die Tat, die Ur-Tat. Grigori Sinowjew, der langjährige Chef der einstigen Kommunistischen Internationale (Komintern), erklärte in voller Öffentlichkeit, man werde an die zehn Millionen Klassenfeinde liquidieren müssen, um die lichten Höhen der vom Kapitalismus befreiten Menschheit erklimmen zu können.

 Ganz kleine Exekutoren des Zeitgeistes erhielten damals in Petrograd Macht über Leben und Tod. Verläßlich dokumentiert ist die Geschichte des führenden Tschekisten Blumkin, der, wenn er sich mit „konterrevolutionären Professoren“ und anderen „Intelligenzlern“ unterhielt (was er besonders gern im besoffenen Zustand tat), aus seiner Tasche Erschießungsbefehle hervorzuziehen pflegte, die von Lenin, Swerdlow oder Dserschinski blanko unterschrieben waren und in die Blumkin dann vor aller Augen wahllos die Namen verhafteter „Intelligenzler“ eintrug. Mittlerweile singt man lieber unpräzise über derlei Möglichkeiten, statt konkret darüber zu sprechen.

 Freikarten für Morde stellt man damit natürlich nicht aus, doch es entsteht – speziell unter jungen, der Popkultur zugetanen Leuten – ein Denkklima der Wurstigkeit gegenüber konkreten Einzelschicksalen. Wir leben im Zeitalter der „Globalisierung“, wo angeblich alles mit allem zusammenhängt und wo man mit einem einzigen Link im Internet die machtvollsten Wirkungen erzielen kann. Vielleicht ist es tatsächlich möglich, daß ich, ein kleiner „Inhabitant“ des Internets, einmal dazu komme, die ganze Welt auf solche Weise zu retten? Wer fragt denn da noch nach Einzelschicksalen!

Tim Bendzko macht übrigens, wenn er „nur mal kurz die Welt retten“ singt, stets eine winzige, gleichsam erschrockene Fermate zwischen „Welt“ und „retten“. Das spricht für ihn.  Denn die Welt kann gar nicht gerettet werden, retten könnte man allenfalls die Popkultur vor dem Irrwitz ihrer Songschreiber.  

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen