© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/11 / 12. August 2011

„Ich bin ein Mythos“
Schweiz: Mit SVP-Vizepräsident Christoph Blocher auf dem St. Gotthard-Paß
Hinrich Rohbohm

Ganz unauffällig kommt er daher. So, als sei er nur mal kurz zum Bratwurstessen vorbeigekommen, die neben dem großen Festzelt auf dem Grill vor sich hin brutzelt. Der 70jährige, der in seiner dunklen Windjacke wie einer unter vielen wirkt, hat „Herzklopfen“. Jedes Mal sei das so, wenn er über den Gotthard-Paß fahre, sagt er.

Es ist der 1. August. Der Nationalfeiertag der Schweiz, an dem die Alpenrepublik ihrer Gründung als Schweizerische Eidgenossenschaft gedenkt. Und Christoph Blocher hat wieder Herzklopfen, weil er zum in 2.000 Meter Höhe gelegenen Gotthard-Hospiz gekommen ist, um über die Politik der Schweiz zu reden. Der ehemalige Bundesrat – wie ein Mitglied der Schweizer Regierung genannt wird – ist das Schlachtroß der rechtsbürgerlichen Schweizerischen Volkspartei (SVP), die nicht zuletzt durch sein Wirken zur stärksten parlamentarischen Kraft in der Schweiz aufgestiegen ist. Seine Reden sind beliebt, seine Rhetorik berüchtigt.

Blocher ist das Gesicht, das Aushängeschild der SVP. Eine Art Franz Josef Strauß der Schweiz. „Ja, der Franz Josef Strauß. Das war ein sehr guter Freund von mir“, gerät der Mann ins Schwärmen, der eigentlich nicht mit dem „Ausland“ spricht, wie er sagt. 

Der Strauß habe damals für die EG sein müssen, habe ihm der legendäre CSU-Vorsitzende einmal im Vertrauen gesagt. „Aber dann hatte er gemeint, wenn er Schweizer wäre, dann wäre er auch dagegen“, gibt das eidgenössische Urgestein die persönliche Anekdote aus einer Begegnung mit dem bayerischen Urgestein zum besten und sorgt damit für Lacher an seinem Tisch.

Er sitzt dort, als wäre auch er nur einer dieser mehr als 1.000 Zuhörer, die das bis auf den letzten Platz besetzte Festzelt neben dem Hospiz füllen, in freudiger Erwartung, eine spannende und gleichsam unterhaltsame Rede zu erleben. Keine Polit-Starallüren, kein Medienrummel. Blocher gibt sich natürlich und bodenständig. Kaum einer der Medienvertreter hat ihn zunächst so recht wahrgenommen. Ausgerechnet ihn, eine der schillerndsten Figuren der Schweizer Polit-Bühne, der mit seinen markigen Reden wie kein anderer Schweizer Bürger und Politiker polarisiert.

„Ich bin ein Mythos“, sagt Christoph Blocher gegenüber der JUNGEN FREIHEIT ganz unbescheiden. Und hat damit ein weiteres Mal die Lacher auf seiner Seite. Ein Mythos, der sich gegen die EU stemmt. Der aber gleichzeitig stets betont, daß er für die Schweiz spreche und anderen Nationen keine Ratschläge erteilen wolle.

Ob er sich mit seiner EU-kritischen Haltung in Zeiten der Euro-Krise bestätigt sieht? „Schauen Sie, ich bin gegen die EU. Aber wenn Deutschland oder andere Länder da Mitglied sein wollen, dann sollen sie das tun“, sagt Blocher mit einem kleinen spitzbübischen Lächeln im Gesicht. Er wolle da niemandem in die Politik reinreden. „Ich möchte ja schließlich auch nicht, daß man mir hineinredet“, erklärt der Mann, der nicht nur hier, in über 2.000 Metern Höhe, seinen Mythos-Status genießt. Dann wird seine Miene wieder ernster. „Wir müssen aufpassen“, meint er. Auch in der Schweiz gebe es Kräfte, die immer wieder versuchten, das Schweizer Recht auszuhebeln und durch internationales Recht zu ersetzen. Und: „Wir haben auch genau wie ihr in Deutschland mit Linksextremisten zu kämpfen.“ Gerade erst habe die SVP eine neue Kampagne gegen Masseneinwanderung gestartet. „Da werden wir auch hart angegangen“, betont der Mann, der eigentlich gar nicht mit dem Ausland sprechen will, weil er genug damit zu tun habe, „Politik für die Schweiz zu machen“.

Die macht er auch hier. Bei seiner Rede vor dem Gotthard-Hospiz und dem mächtigen Gebirgsmassiv im Kanton Tessin läßt es der Mythos nicht an Pathos fehlen.

Herzklopfen. Das bekomme er immer wieder, wenn er hierher komme, gesteht der Polit-Dino, der zunächst auf italienisch spricht, ehe er ins Schweizerdeutsche übergeht. Er wirbt für die Selbstbestimmung der Schweizer. Für Unabhängigkeit. Und für die strikte Beibehaltung der Neutralität und direkter Demokratie. „Weil wir die direkte Demokratie haben, geht es uns heute besser als den Ländern um uns herum“, sagt Blocher und erntet bei seinen Zuhörern einmal mehr begeisterten Applaus.

Mythos Blocher kommt dabei auch auf einen anderen Mythos zu sprechen: Dem Gotthardmassiv selbst, das für ihn als Symbol und Mahnmal für eine unabhängige Schweiz stehe. Immer wieder habe der Berg als Festung gegen Gefahren von außen gewirkt.

Es gibt viele Geschichten über Christoph Blocher zu erzählen. Aufgewachsen in einer Pfarrersfamilie mit zehn Geschwistern. Sein Ururgroßvater kam 1861 als pietistischer Prediger in die Schweiz, wurde im Kanton Bern eingebürgert. Die Seelsorge hat in der Familie Tradition, neben seinem Vater hat es zwei seiner Geschwister ebenfalls in den Pfarrberuf gezogen. Christoph Blocher ist promovierter Jurist, startete seine berufliche Laufbahn 1969 in der Rechtsabteilung der Ems-Chemie AG. Gerade einmal drei Jahre später war er bereits Direktionsvorsitzender. Nach dem Tod von Firmenchef Werner Oswald übernahm er die Aktienmehrheit des Unternehmens, wurde 1984 dessen Präsident. Mit einem geschätzten Vermögen von rund drei Milliarden Schweizer Franken gilt Blocher heute als einer der reichsten Männer der Schweiz.

Er gehört nicht zu jenen des Geldadels, die sich im politischen Geschäft dezent im Hintergrund halten und andere Politiker für sich arbeiten lassen. Blocher mischte stets in der ersten Reihe mit. 26 Jahre lang war er Präsident der Schweizerischen Volkspartei (SVP), baute sie zur führenden Kraft in der Parteienlandschaft des Alpenstaats aus. 2003 wurde er in den Bundesrat, die Bundesregierung der Schweiz gewählt.

Obwohl 2007 nicht wiedergewählt, hat Blocher von seiner Popularität nichts eingebüßt. „Herr Bundesrat, meine Hochachtung“, begrüßt ihn ein Anhänger nach seiner Rede auf dem Gotthard-Paß. Hier, zwischen Würstchen, der am Nationalfeiertag obligatorischen Blaskapelle, Raclette- und Chicco Doro Caféstand, sind seine Beliebtheitswerte besonders hoch. Ein Sänger in Tracht und mit großem schwarzen Hut steht mit seiner Gitarre auf einer Anhöhe vor dem Festzelt, beginnt vor dem Hintergrund des von der Abendsonne in goldgelbes Licht gehüllten Bergmassivs ein italienisches Lied zu Ehren des Politikers zu singen. „Oh Christoph Blocher“ erklingt es etwas arg herzzerreißend zwischen den  Strophen heraus.

Und was macht ein Multifunktionär wie Blocher, wenn er nicht gerade politisch oder geschäftlich wirkt? „Wandern, wandern, wandern. Am liebsten in den Bergen“, verrät er und strahlt dabei über das ganze Gesicht. Das also hat er mit Franz Josef Strauß auch gemeinsam.

 

Christoph Blocher

Geboren wurde Christoph Blocher im Oktober 1940 in Schaffhausen. Früh engagierte sich der promovierte Jurist in der Politik. 1974 wurde er Gemeinderat, 1979 Nationalrat. Als Präsident der Schweizerischen Volkspartei (SVP) des Kantons Zürich (1977–2003) und der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS; 1986–2003) führte der im Jahr 2003 zum Bundesrat (Justizminister) gewählte Unternehmer die SVP von Wahlerfolg zu Wahlerfolg. Doch der Sieg der SVP bei der Parlamentswahl im Jahr 2007 (29 Prozent) konnte die Abwahl Blochers aus dem Bundesrat nicht verhindern. Dessen harte Haltung zum EU-Beitritt und in der Asyl- und Ausländerpolitik veranlaßte die Mitte-Links-Mehrheit, Blocher überraschend abzuwählen. Seit 2008 ist der Vater von vier Kindern Vizepräsident der SVP.

Fotos: Im Schwung der Blasmusik: Über 1.000 Besucher auf dem Gotthard ; Ansprache zum Schweizer Nationalfeiertag: Der redegewandte Christoph Blocher in seinem Element

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