© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/11 / 12. August 2011

Nie den Konservativen gespielt
Saarland: Der langjährige Ministerpräsident Peter Müller übergibt die Führung der Jamaika-Koalition an Annegret Kramp-Karrenbauer
Michael Martin

Im Saarland geht eine Ära zu Ende. Ministerpräsident Peter Müller verabschiedet sich aus der Politik. Es ist ein offenes Geheimnis, daß es den Einser-Juristen als Richter zum Bundesverfassungsgericht zieht. Offiziell verkündet hat er dies nicht. Denn er weiß, daß ihn das noch in letzter Minute den begehrten Posten kosten könnte. So schweigt der 55jährige, der das Zepter nun an die bisherige Sozialministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (Portrait Seite 3) übergibt, beharrlich.

Es ist in den vergangenen Monaten oft die Frage gestellt worden, warum ein Mann im besten Politikeralter mitten in einer Legislaturperiode die Segel streicht. Die saarländische Union verfügt nach wie vor über alle möglichen Machtoptionen. Die deutschlandweit erste Jamaika-Koalition mit FDP und Grünen harmoniert leidlich. Müller selbst sagt, daß er Politik nie als Selbstzweck verstanden habe. Er wollte Visionen entwickeln und umsetzen. Nach zwölf Jahren in der Staatskanzlei fällt es schwer, eine Bilanz zu ziehen. Es gibt Kritiker innerhalb der CDU, die haben dem bekennenden Christsozialen vorgeworfen, er habe schwarzes Tafelsilber verscherbelt. Müller selbst hat sich dabei nie als Konservativer verstanden. Früh hat er mit schwarz-grünen Koalitionen geliebäugelt, mit seinen Forderungen nach mehr Einwanderung viele Konservativen vor den Kopf gestoßen. Andere loben statt dessen sein strategisches Gespür für richtige Situationen.

Unter dem Strich bleibt die Tatsache stehen, daß er fast im Alleingang der CDU 1999 ein nicht mehr für möglich gehaltenes Comeback an der Saar beschert hat. Um den Erfolg Müllers zu verstehen, muß man die saarländische Mentalität kennen. Jahrzehntelang regierte die CDU unter dem populären Ministerpräsidenten Franz-Josef Röder mit absoluter Mehrheit. Nach dessen Tod rettete sich Nachfolger Werner Zeyer in eine schwarz-gelbe Koalition. Dem aufstrebenden SPD-Populisten Oskar Lafontaine war der blasse Rechtsanwalt nicht gewachsen. 1985 erzielte Lafontaine einen Erdrutschsieg, den er in der Folge zweimal verteidigte.

Die CDU befand sich in einem bedauerlichen Zustand. Klaus Töpfer, immerhin Minister unter Helmut Kohl, holte sich zwei deutliche Wahlklatschen ab, erfüllte aber einen Zweck. Im Schatten des Partei-Imports konnte das saarländische Talent Müller in Ruhe reifen. Bis heute hält sich an der Saar die Auffassung, daß es einem „Zugereisten“ nicht möglich sein würde, eine Landtagswahl zu gewinnen. Als Lafontaine 1998 in die Bundespolitik wechselte, rückte mit Reinhard Klimmt ein gebürtiger Berliner an die Spitze des kleinsten Flächenlandes. Müller nutzte diese Situation geschickt, präsentierte sich im Wahlkampf 1999 als Lokalpatriot und plakatierte provozierend: „Einer von uns“. Er bescherte der CDU zwei spektakuläre Wahlerfolge und rettete sich schließlich 2009 in ein Jamaika-Bündnis.

Müllers Hauptaugenmerk galt stets dem Strukturwandel. Unter seiner Regentschaft wurde der Ausstieg aus dem heimischen Bergbau beschlossen, er widerlegte damit die Behauptung, man könne im Saarland keine Wahl gegen die Bergleute gewinnen. Inhaltlich blieb der Jurist stets flexibel. Dies hängt auch damit zusammen, daß der Saar-CDU die Tradition der Zentrumspartei fehlte. Die Christdemokraten waren im deutsch-französischen Grenzgebiet stets sozial und betont europäisch ausgerichtet. Damit gelang es Müller, zur Lafontaine-SPD abgewanderte Wähler zurückzugewinnen.

Es ist kein Geheimnis, daß Müller zuletzt amtsmüde war. Seine bundespolitischen Ambitionen hat er nie verhehlt. Daß ihm Kanzlerin Angela Merkel eine Berufung in ihr Kabinett verwehrte, hat ihn schwer getroffen. Dabei galt er immer als Allzweckwaffe, dem das Innen-, Justiz- oder Finanzministerium zugetraut wurde. Als er bei der zurückliegenden Landtagswahl knapp 15 Prozent verlor, dürfte ihm klar geworden sein, daß der Zug nach Berlin endgültig ohne ihn abgefahren war. Das Totenglöckchen klingelte dagegen zu früh. Dem versierten Strippenzieher gelang es, das Unbehagen der Grünen auszunutzen, die einer Regierungsbeteiligung der Linkspartei unter Lafontaine stets skeptisch gegenüberstanden.

Allerdings mußte die CDU einige Kröten schlucken. In der Schulpolitik, beim Nichtraucherschutz und Umweltfragen mußten die Christdemokraten den Grünen deutliche Zugeständnisse machen. Das Grummeln an der Basis war kaum überhörbar. Eine offene Rebellion kam allerdings nicht in Frage, auch weil Müller eine Fähigkeit besaß, die anderen Landesfürsten fehlte: Er hinterläßt keine verbrannte Erde, sondern ein bestelltes Feld. Nachfolgerin Kramp-Karrenbauer ist derzeit die beliebteste Politikerin an der Saar. Daß die CDU mit ihr nicht konservativer wird, machte sie Anfang der Woche deutlich, als sie sich im Richtungsstreit der Partei (siehe Seite 7) auf die Seite von Parteichefin Angela Merkel schlug. Wenn die Union als Volkspartei auch von Frauen gewählt werden wolle, brauche sie eine Politik, die „Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den Mittelpunkt stellt und nicht das Heimchen am Herd“, sagte sie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Foto: CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer und ihr Vorgänger Peter Müller: Abschied vom „Heimchen am Herd“?

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