© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/11 / 12. August 2011

Brüssel will die ganze Macht
Die Finanzkrise kommt den Eurokraten recht, um den Nationalstaaten das Budgetrecht zu entziehen
Bernd-Thomas Ramb

Die Welt ist heftig erschüttert und zutiefst verunsichert: tagtäglich neue Horrormeldungen auf breiter Flur in immer kürzeren Abständen. Die blutigen arabischen Rebellionsversuche und der wahnsinnige Amoklauf eines geistig Verwirrten in Norwegen werden mittlerweile überschattet durch die wirtschaftlichen Schreckensnachrichten, die den Menschen oft einfach deshalb stärker unter die Haut gehen, weil sie als unmittelbare Bedrohung der eigenen Existenz empfunden werden. In allen Ländern verzeichnen die Börsen massive Kursverluste der Unternehmensaktien. Staatsanleihen geraten immer weiter in Verdacht, die Gläubiger könnten ihr Geld nie wiedersehen.

In Deutschland verliert der Dax-Index als Vertreter der 30 größten deutschen Aktiengesellschaften innerhalb von zehn Tagen 20 Prozent seines Wertes. Das zeugt von einem massiven Einbruch des Vertrauens in die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands. Die weltweit gefürchtete Rezession schlägt auch beim europäischen Musterknaben durch, dessen außerordentliche Wirtschaftskraft doch in letzter Zeit so gerne von seinen Politikern gelobt wurde.

Der deutsche Wirtschaftsaufschwung erweist sich zunehmend als Strohfeuer, das vornehmlich durch die Reaktion auf den Zusammenbruch der Euro-Randstaaten genährt wurde. Die weltweite Flucht in deutsche Güter entfachte ein Exportfeuerwerk, das nun langsam erlischt. Im Normalfall zieht ein Verfall der Aktienwerte einen Anstieg der Kurse von Staatspapieren nach sich. Die sinkenden Gewinnerwartungen vermindern die Renditen der Unternehmensaktivitäten. Die Verzinsung von Staatsanleihen wird attraktiver, Vermögen wird vom Aktienbesitz auf den Erwerb von Anleihen des Staates umgeschichtet. Jetzt aber ist alles anders. Weil die Schuldverschreibungen des Staates zunehmend in den Verdacht geraten, nie wieder – zumindest aber nur mit einem kräftigen Abschlag – eingelöst zu werden, vermeiden die Anleger auch den Kauf von Staatsanleihen.

Die Ursache des aktuellen Aktienverfalls allein in der Schuldenkrise zu sehen, vor allem aber als Kern der Ursache die amerikanische Schuldenkrise zu benennen, ist deshalb irreführend. Auch wenn das lange und letztlich wenig erfolgreiche Ringen Präsident Obamas um eine Ausweitung der Schuldenobergrenze in Amerika natürlich spektakulär wirkte. Die anschließende Herabstufung der wirtschaftlichen Supermacht USA auf die nur noch zweitbeste Kreditwürdigkeit „AA+“ statt „AAA“ ist für Deutschland real weitaus weniger bedeutsam als die Klassifizierung der griechischen Ausfallwahrscheinlichkeit mit „Ca“, die Herabsetzung der portugiesischen und irischen Einschätzungen und die Absatzschwierigkeiten bei spanischen und italienischen Staatspapieren.

All diese Probleme sind zumindest bekannt und werden in der Öffentlichkeit wenigstens ansatzweise diskutiert. Gänzlich in den Hintergrund wird jedoch gedrängt, welche Reaktion die europäische Schuldenkrise im Brüsseler Umfeld nach sich zieht. Das Vorpreschen des EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso zur Ausweitung des Euro-Rettungsschirms zwei Wochen nach der Krisensitzung der europäischen Staatschefs zur Lösung der Euro-Krise kann deshalb nicht scharf genug beachtet werden. Im Grunde war es ein Schlag in das Gesicht der nationalen Regierungsvertreter der Europäischen Union, ausgeführt von einem EU-Funktionär, der seine Ernennung gerade diesen demokratisch gewählten Staatsführern verdankt.

Es wäre falsch, darin einen rein persönlichen politischen Amoklauf Barrosos zu sehen, der aus einem gestörten Selbstbewußtsein entstanden ist. Zwar wird dem früheren Parteiführer einer maoistischen Gruppierung Portugals nicht nur wegen seiner Körpergröße eine Ähnlichkeit mit Napoleon Bonaparte zugesprochen, Barroso handelt aber nicht allein. Er erhält Schützenhilfe durch seinen Währungskommissar Olli Rehm und den amtierenden EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy, der als künftiger „Mr. Euro“ gehandelt wird, als alleiniger Sprecher der Europäischen Union, wenn es um Belange der Einheitswährung geht.

Auch der Chef der Euro-Gruppe, Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker, ist zur Spitze der EU-Junta zu zählen, die in der momentanen Krisensituation die Macht in Europa an sich zu reißen versucht. Juncker tadelt zwar offiziell das putschartige Vorgehen Barrosos, er gilt aber als Machiavellist, der nach eigenem Bekenntnis selbst im Lügen ein probates und legitimes Instrument der Politik sieht. Alle vier spielen sich den Ball gegenseitig zu. Das große Ziel der Euro-Junta ist die Konzentration der politischen Macht auf der Ebene der Europäischen Union.

Die sich verschärfende Schuldenkrise und die sich immer stärker ankündigende Wirtschaftskrise wird als willkommener Anlaß aufgegriffen, um die angebliche Notwendigkeit der Entmachtung nationaler Regierungsgewalten zu propagieren. Die Gier nach eigenen Steuereinnahmen, die eigenwillige Festlegung der finanziellen Verpflichtung bestimmter Nationalstaaten, die Einmischung in immer persönlichere Belange des Lebens der Europäer bieten aufschlußreiche Zeugnisse dieser Bestrebungen.

Allerdings machen es die nationalen Regierungschefs den EU-Putschisten auch leicht. Die nationale Politik hat sich selbst entmachtet, indem sie die Euro-Rettung als alternativlos und um jeden Preis einstufte – ein Freibrief für jede Form der Pro-Euro-Politik. Jede Kritik an Brüssel wird als politisch unkorrekt deklassiert und als antieuropäisch verteufelt – ein stillschweigendes Ermächtigungsgesetz für eine Diktatur der Eurokratie. Vaterlandsverscherbler, die schon jetzt die Transferunion propagieren, nehmen die finanzielle Inhaftnahme Deutschlands billigend in Kauf. Es darf nicht verwundern, wenn die Aktienwerte in Deutschland noch viel tiefer fallen.

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