© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/11 29. Juli / 05. August 2011

Strick-Tick
Mit Wolle rücken Studenten der Großstadt auf den kalten Leib: Sie umhüllen Poller und Parkbänke
Harald Harzheim

Das Graffiti-Phänomen, vielleicht so alt wie der Mensch selbst, hat in den letzten Jahren zahlreiche Varianten hervorgebracht. Einerseits zur Kunst erklärt, sind im Straßeneinsatz konkrete Darstellung oder Parolen durch abstrakte Zeichen ersetzt. Die Ritz-, Pinsel- und Spraydosen-Graffiti transportieren kaum noch politische Aussagen. Statt dessen ist wieder „das Medium die Botschaft“. Es sind Markierungen, Logos, purer Hinweis auf die eigene Existenz.

Anders die Guerillagärtner: Die wollen seit zehn Jahren durch wilde Bepflanzungen das Stadtbild verschönern, rekrutieren deshalb zunehmend Anhängerschaft aus dem Bürgertum. Jetzt erreicht, als neuer US-Import, das Woll-Graffito hiesige Metropolen. In Köln, Düsseldorf, Duisburg, München, Ulm und Essen finden sich Laternen, Masten, sogar ganze Bäume in Strickwaren gekleidet, Poller kriegen ein Wollkäppchen übergestülpt, und Berliner Studentinnen wickeln Schals um U-Bahn-Haltestangen.

Was soll damit gesagt sein? Daß die Gesellschaft einen Kältegrad erreicht hat, daß es selbst die Laternen friert? Nein. Das wäre den „Yarn bombing“ (Garnbomber)-Aktionisten zu düster gedacht. Die sind viel harmonischer gestrickt, wollen in die triste Stadt ein wenig Farbe bringen: „Den Leuten einen schönen Tag zu machen ist unser Ziel – nicht mehr und nicht weniger“, beteuert Studentin Miraché gegenüber der Berliner B.Z. Diesem Ziel opfert die Woll-Guerilla zahlreiche Arbeitsstunden.

Denn im Gegensatz zur herkömmlichen Verpackungskunst wird deren Aktionsmaterial in Hunderten von Strickstunden hergestellt, enthält zum Teil hochaufwendige Muster. Dabei arbeitet man keineswegs für die Ewigkeit. Allzu schnell ist die Baum- und Laternenkleidung durch Unwetter ramponiert oder mit einem Riß entfernt.

Gründerin des wolligen Widerstands war die Amerikanerin Magda Sayeg. Sie zieht seit 2005 mit Maßband zu den Bäumen, Pollern, Masten und Laternen. Sind die Infos über Länge und Umfang der phallischen Objekte notiert, strickt sie eifrig an deren Verhüllung.

Darin folgt ihr inzwischen ein weltweites Nadel-und-Garn-Netzwerk. Man wolle der Stadt etwas geben, das man liebevoll hergestellt hat, bekannte die Künstlerin Ute Lennartz-Lembeck. Aber freilich nicht nur. Denn inzwischen kehren auf Woll-Graffiti auch politische Parolen zurück, die anstelle einer abstrakter Musterung auf den Laternenschal gestrickt werden.  

Die Mehrzahl der befragten Stadtbewohner äußert sich positiv über die Werke der Woll-Mafia. Und dank leichter Entfernbarkeit hat auch niemand Lust, Anzeige wegen Sachbeschädigung zu erstatten. So bewegt sich Woll-Graffito in einer juristischen Grauzone.  

Und im diesjährigen Kölner „Popdesignfestival“ Ende Juni war die neue Kunstform bereits vertreten. Trotzdem wollen die meisten Aktivistinnen des „weichen Graffiti“ vorerst anonym bleiben. Es ist jedoch fraglich, ob dieses Phänomen jemals Breitenwirkung erlangen wird. Das „warme“ Verpacken von Gegenständen löst doch allzu starke Assoziationen von Bemutterung, Harmoniesucht und Verniedlichungsterror aus.

 www.strickgraffiti.de

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen