© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/11 29. Juli / 05. August 2011

Endstation Friedhof
Drogen und Alkohol: Zum Tod der Soulsängerin Amy Winehouse
Harald Harzheim

Die postmoderne Gesellschaft ist durch die Auflösung der traditionellen sozialen Körper gekennzeichnet“, schrieben die Popstars der politischen Theorie, Michael Hardt und Antonio Negri in „Multitude“, und meinten damit keineswegs nur den Staats-Körper. Auch der individuelle Körper werde, metaphorisch gesprochen, „ungeheuerlich“. Von genetischer Neuschaffung bis hin zu Piercing und Tattoos spannt sich ihre Indizienkette einer Freak-Utopie gegenüber psycho-physischer Normierung.

Dieser Text erschien 2004. Kein Zufall, daß in diesem Jahr auch die Karriere der Amy Jade Winehouse begann: Die damals 20jährige Soulsängerin aus London würde die körperliche Mutation ins Monströse öffentlich nachvollziehen. Und zwar in Zeitlupe. Die Endstation war allerdings nicht Utopia, sondern der Friedhof. Zuvor war sie zum Paparazzi-Liebling avanciert: Das verzweifelte Gesicht, der tätowierte und gepiercte Körper, die erschlaffte Haut durch Alkohol- und Drogenkonsum, all das sorgte für voyeuristisches Mitleid, Unverständnis oder Spott. Dazu kamen Interviews, in denen sie somnambul delirierte, Auftritte wie im Berliner „White Trash“, wo die körperlich kleine Person vor psychischer Anspannung zu bersten drohte.

Diese Horror-Show in beidseitigem Einverständnis fand ihren ästhetischen Kontrapunkt in „Back to Black” (2007), einer Liebestod-Variation, die Amy Winehouses größter Erfolg wurde. Der glamouröse Videoclip zeigt sie als dunkle Film-noir-Lady, die elegant über den Friedhof schreitet und ihre Rose auf den Sarg eines Verstorbenen wirft, der aus Liebeskummer ins ewige Dunkel ging (Songtext: I died a hundred times / You go back to her / And I go back to / Black black black black. Ich starb hundert Male / Du gehst zurück zu ihr / Und ich gehe zurück ins / Dunkel dunkel dunkel dunkel.) Sie warf sich die Rose also ins eigene Grab... Ohnehin ließ die Ausnahme-Sängerin im Interview keinen Zweifel, daß dieses Lied autobiographisch gefärbt sei.

Weitere Titel wie „Love is a Losing Game“ (Liebe ist ein Verliererspiel) und „Tears Dry on Their Own“ (Tränen trocknen von selbst) bestätigen: Ihr Kunst- und Lebensthema war das Liebesleiden. Als sie am vergangenen Samstag starb, spekulierte man natürlich über toxisch verursachten Liebestod. Sie selbst befürchtete bereits im Jahr nach „Back to Black“, sie könne aufgrund ihrer Drogensucht – Alkohol, Crack, Kokain – bald in den „Club 27“ eintreten, der alle Musiker umfaßt, die 27jährig starben: Brian Jones, Jimmy Hendrix, Jim Morrison, Janis Joplin, Curt Kobain. Und genau so traf es ein. Auf Gedenkplätzen haben ihre Fans neben Kerzen auch Alkoholflaschen als Jenseitsgabe aufgestellt.

Das Publikum, vor allem die pubertätsgequälte Jugend, liebt jene, die dem eigenen Leid ästhetischen Ausdruck verleihen. Während die Welt das Credo „Schneller! Mehr! und Besser!“ als Endlosschleife spielt und dabei Ängste, Sehnsüchte, Liebe und Liebesleid zur Nebensache degradiert, zentrieren Künstler wie Amy Winehouse das existentielle Martyrium, lindern Schmerz durch ästhetische Kompensation.

Einerseits schwärmen erlösungsbedürftige Fans von ihrer „Authentizität“, andererseits verlangen sie von den Heiligen der Pop-Kultur unbedingtes Funktionieren: Als Amy Winehouse vorigen Monat beim Konzertauftritt in Belgrad vor lauter Drogen kaum singen konnte, pfiff das Publikum sie aus. Etliche Anhänger kündigten per Mail jedes Verständnis auf, schließlich sei das Lebenslos eines Stars doch „beneidenswert“. Bereits 2008 mußte die fünffache Grammy-Gewinnerin den Soundtrack zum James-Bond-Film „Quantum of Solace“ (Ein Quantum Trost) absagen, weil ihrem Leben genau dieses Quantum fehlte.

Die Zivilisation hat das Menschenopfer zwar abgeschafft, ist aber weiter auf jene angewiesen, die sich öffentlich selbst zermetzeln. Stellvertretend für den Rest.

Foto: Amy Winehouse (2007): „Ich starb hundert Male“

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