© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/11 29. Juli / 05. August 2011

Schulfrieden an Rhein und Ruhr
Nordrhein-Westfalen: Die CDU versucht die Einigung mit der rot-grünen Minderheitsregierung im Streit um die Gemeinschaftsschule als Erfolg zu verkaufen
Ansgar Lange

Die CDU und die rot-grüne Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen gaben in der vergangenen Woche ein Bild seltener Einigkeit. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), die grüne Schulministerin Syliva Löhrmann, CDU-Landeschef Norbert Röttgen und sein Fraktionsvorsitzender Karl-Josef Laumann verkündeten gemeinsam etwas theatralisch ihren „historischen Schulkompromiß“ nach Jahrzehnten der schulpolitischen Grabenkämpfe. Nur Laumann schaute dabei etwas gezwungen freundlich aus der Wäsche. Der kernige Westfale ist ein bodenständiger Mann und wird im Augenblick des vermeintlichen Triumphes vielleicht geahnt haben, daß auf lange Sicht die CDU der parteipolitische Verlierer des ausgehandelten Kompromisses sein könnte.

Denn es kann nicht behauptet werden, daß nun eine größere Übersichtlichkeit in der Schullandschaft erreicht worden ist. Das Schulangebot in NRW besteht künftig wie bisher aus Grundschulen, Gymnasien, Realschulen, Hauptschulen, Gesamtschulen, Berufs- und Weiterbildungskollegs sowie Förderschulen. Als neue Schulform kommt nun noch die Sekundarschule hinzu. Diese umfaßt die Klassen 5 bis 10. In den Jahrgangsstufen 5 und 6 lernen alle Kinder gemeinsam. Der Forderung nach „längerem gemeinsamem Lernen“ entzieht sich keine Partei mehr, obwohl es keinerlei wissenschaftlichen Beleg dafür gibt, daß dieses zu besseren Bildungserfolgen führt. Ab Klasse 7 entscheidet sich anhand der Noten, welchen Weg die Sekundarschüler fortan beschreiten.

Nach den Plänen von Rot-Grün und CDU stehen diesen Kindern alle bisherigen Schulabschlüsse offen. Die Sekundarschulen müssen daher verpflichtend mit Gymnasien, Gesamt- und Realschulen sowie Berufskollegs kooperieren, um diese Abschlüsse zu ermöglichen. Denn die neue Schulform wird keine Oberstufe haben. Das Abitur müssen die Kinder weiter auf dem Gymnasium erwerben. Insbesondere im ländlichen Raum werden selbst CDU-Bürgermeister nach der neuen Schulform gieren, da sie als Mischung aus Gesamt-, Real- und Hauptschule Einsparpotentiale verspricht.

Die Christdemokraten an Rhein und Ruhr betonen, sie hätten „CDU pur“ durchgesetzt, schließlich hätten sie die flächendeckende Einführung der Einheitsschule verhindert und die Gymnasien gerettet. Beim Kampf um das Gymnasium darf die Parteispitze noch damit rechnen, daß die eigene Basis gegen die faktische Abschaffung dieser Schulform zu Felde ziehen würde, obwohl auch dort das Leistungsprinzip immer mehr in den Hintergrund rückt. Viele sehen daher im Gymnasium die neue Einheitsschule, die die CDU eigentlich verhindern wollte.

Immerhin soll das neue Schulsystem bis 2023 nicht mehr angetastet werden. Lehrer, Eltern und Kinder haben genug von den ewigen Experimenten der Politik. Doch ob der „historische“ Konsens auch im Sinne der Schüler sowie der Zukunft ist, muß sich erst zeigen. In fünf Jahren werden bereits bis zu zwei Drittel der Schüler aus Einwandererfamilien kommen. Wie man verhindert, daß hier eine ganze Generation von Bildungsverlierern heranwächst, darauf hat bisher keine Partei eine Antwort.

Doch auch bei den Christdemokraten in den Kommunen hat sich das süße Gift des gemeinschaftlichen Lernens verbreitet. Eltern schicken ihre Kinder auf die Gesamtschule, weil sie für das Gymnasium zu schwach sind, man ihnen aber die Option auf das Abitur offen lassen möchte und die Wahl einer Hauptschule erst recht nicht mehr in Frage kommt.

Auch wenn die Hauptschule nicht sofort abgeschafft wird, verliert sie doch ihren Verfassungsrang. Der Tag dürfte kommen, an dem es auch den Realschulen an den Kragen geht. Die Bastion Gymnasium wird ebenfalls langsam aber sicher geschleift, denn sie ist Grünen und Sozialdemokraten unverändert ein Dorn im Auge.

Politisch profitiert die Landesregierung, die ansonsten eine sehr dürftige Bilanz vorweist, am meisten von der neuen Einigkeit. Daß die CDU mit dabei war, wird in Vergessenheit geraten. Bundesumweltminister Röttgen ist im Land einfach viel zu wenig präsent.

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