© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/11 29. Juli / 05. August 2011

Mehr Dilettantismus als Strategie
Schwarz-gelbe Außenpolitik: Merkels undurchsichtiges Taktieren und Westerwelles dröhnende Ahnungslosigkeit
Günther Deschner

Kaum, daß sich Deutschland im März bei der Abstimmung über die Libyen-Resolution des Sicherheitsrats – an der Seite Chinas und Rußlands und im Gegensatz zu den traditionellen Verbündeten Vereinigte Staaten, Frankreich und Großbritannien – der Stimme enthalten hatte, prasselte grobe Kritik auf Außenminister Guido Westerwelle (FDP) nieder. Es wurde gefragt, ob der „Außenminister-Novize“ nicht besser gleich wieder abtreten sollte.

Es war schon vorher deutlich geworden, daß die Ernennung Westerwelles eine dem Koalitionsgeschacher geschuldete Fehlentscheidung war und peinliche Vorstellungen erwarten ließ. Schon, daß sich Westerwelle in der Nachfolge seines Vorbilds Hans-Dietrich Genscher sah, machte deutlich, auf wie dünnem Eis er wandelte: Genscher hatte die Außenpolitik unter seinen Kanzlern Schmidt und Kohl nur aufgrund einer einmaligen Konstellation dominiert.

Es hätte Westerwelle klar sein müssen, daß er als Außenminister unter Merkel allenfalls Frühstücksdirektor werden konnte. Merkel dominiert die Außenpolitik auch deswegen, weil die großen Themen oft auf Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs verhandelt werden. Schon nach wenigen Wochen hatte dann auch Westerwelles offenkundig fehlende Begabung für das Außenressort, seine dröhnende Ahnungslosigkeit, sein eigenes Ansehen wie das des Amtes ruiniert.

Um so überraschter war man, daß er in der Libyen-Abstimmung so spektakulär und anscheinend mehr im deutschen als im alliierten Interesse votierte. Von der SPD bis hin zu prominenten Transatlantikern tönte es unisono, der Außenminister zeige sich „unsolidarisch mit der westlichen Wertegemeinschaft“, orientierungslos und ahnungslos habe er Deutschland international isoliert. Die übelste Kritik entfuhr dem Bonner Politologen Christian Hacke: Dem Spiegel sagte er, Westerwelle sei „der bornierteste Außenminister seit Joachim von Ribbentrop“, was er betreibe, sei „neudeutscher Wilhelminismus“.

Naheliegend war aber, daß Westerwelle Deutschland sicher nicht im Alleingang und nicht ohne Duldung seitens der Kanzlerin aus dem Libyen-Abenteuer herausgehalten hatte. Viele sahen die deutsche Zurückhaltung auch durch die weitere Entwicklung bestätigt, in der sich das westliche Bündnis in Tripolitanien in einen Bombenkrieg verstrickte, dessen Legitimität so umstritten ist wie sein Ausgang ungewiß. Da zudem Umfragen zeigten, daß die Mehrheit der Deutschen die Libyen-Enthaltung für richtig hielt, argwöhnten Kritiker sogar, in der „neuen deutschen Außenpolitik“ spiegle sich eine „Tendenz zur Renationalisierung“.

Gut zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung stellt sich Beobachtern und Partnern tatsächlich die Frage, inwieweit der Epochenwechsel von 1989 Ziele und Strategien der deutschen Außenpolitik variiert hat. Die Debatte kreiste um die Frage, ob ein wiedervereinigtes Deutschland, nun nicht mehr eingezwungen in die Blocksysteme, als „Zentralmacht in Europa“ unabhängiger denken und agieren werde. Daß Deutschland grundsätzlich versuchen werde, seinen Einfluß in internationalen Institutionen zu maximieren und im Rahmen von EU und Nato seine Interessen autonomer als bisher wahrzunehmen, war „draußen“ erwartet worden. Zu einer Diskussion auf Augenhöhe darüber ist es von deutscher Seite kaum gekommen. Von Westerwelle schon gar nicht.

Hinter der Libyen-Entscheidung der schwarz-gelben Außenpolitik einen gewollten Akzent in Richtung größerer politischer Eigenständigkeit, einer Tendenz zur Lockerung der Bündnisbindungen oder gar einer möglichen „Renationalisierung“ zu sehen, ist deswegen weit hergeholt. Weder in Merkels Definition von „Staatsräson“ noch in Westerwelles Auftritten und Verlautbarungen lassen sich nationale Spurenelemente finden.

In der Bevölkerung jedoch – dies kann man nun aus einer Allensbach-Umfrage für die Frankfurter Allgemeine Zeitung herauslesen – hat das Gefühl, „auf sich allein gestellt zu sein“ und nach eigenem Interesse zu handeln, zugenommen, „die Einsicht, es sei gut, Bündnissen anzugehören“, jedoch an Überzeugungskraft verloren. „Wie die Umfrage zeigt“, so Thomas Petersen vom Institut Allensbach, „blicken die Deutschen mit einem Selbstbewußtsein auf ihr Land wie seit eineinhalb Jahrzehnten nicht mehr.“ Auf die Frage „Wie groß ist der Einfluß Deutschlands in der Welt?“ antworten heute 66 Prozent, also knapp zwei Drittel, er sei „sehr groß“ oder „groß“. Im März 2010 gaben 47 Prozent diese Antwort. Und auf die Frage „Hat das Gewicht Deutschlands in der Welt in den letzten zehn Jahren zugenommen oder abgenommen?“ antworten heute 52 Prozent, das Gewicht Deutschlands habe zugenommen. Lediglich sieben Prozent sagen, es habe abgenommen.

„Es gibt so manche Hinweise darauf“, so folgert Petersen, „daß die Bevölkerung allmählich das Trauma des Dritten Reiches abgelegt hat und sich zunehmend unbefangen zur eigenen nationalen Identität bekennt. Noch immer ist der Nationalstolz der Deutschen weniger ausgeprägt als der anderer Völker wie etwa der Franzosen oder gar der Amerikaner, doch das Selbstbewußtsein ist in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich gestiegen“.

Foto: Außenminister Westerwelle eröffnet Anfang Juli eine Sitzung des Sicherheitsrates:  Vergebliche Suche nach nationalen Spurenelementen

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