© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/11 29. Juli / 05. August 2011

Jenseits der „schmerzfreien Zone“
Vertriebene : Tagung zur Zukunft der Deutschen in Polen
Martin Schmidt

Zwanzig Jahre nach der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Freundschaftsvertrages sind die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Polen wieder in aller Munde. Die schmerzhafte Geschichte des vergangenen Jahrhunderts bringt es mit sich, daß die deutschen Vertrieben dabei ganz genau hinschauen.

Eine  Fachtagung der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen am vergangenen Wochenende in Königswinter sollte denn auch ganz bewußt als „Korrektiv zur allgemeinen Schönfärberei“ zur Lage der deutsch-polnischen Nachbarschaft wirken, wie der Stiftungsvorsitzende Hans-Günther Parplies erläuterte. Und in der Tat gelang es tatsächlich, Kontrapunkte zur häufig inhaltsleeren Darstellung der Beziehungen der beiden Länder zu setzen.

Bevor man sich der Bilanzierung von zwei Jahrzehnten Nachbarschaftsvertrag widmete und die auf der Einladung gestellte Frage „Haben sich die Erwartungen erfüllt?“ zu beantworten versuchte, wies der Marburger Staats- und Völkerrechtler Gilbert H. Gornig mit Verweis auf den Vertrag in aller Deutlichkeit die von Warschau jüngst geforderte Gleichbehandlung der polnischstämmigen deutschen Staatsbürger als „Minderheit“ (JF 25/11) mit den heimatverbliebenen Deutschen jenseits von Oder und Neiße zurück.

Der an der Universität Bromberg  lehrende polnische Historiker Albert Kotowski zitierte in seinem „Rückblick auf die deutsch-polnische Nachbarschaft“ den Ministerpräsidenten Donald Tusk, indem er feststellte, daß die „Zeit der großen Gesten“ vorbei sei und nunmehr nationale Interessenpolitik im Vordergrund stehe. Diese werde indes von beiden Seiten nicht überzeugend geleistet und entspreche schon gar nicht dem, was sich Berlin nach der Ablösung der Kaczynski-Regierung erhofft hatte, zumal die vormalige Kritik an den bundesstaatlichen Tendenzen der Europäischen Union nach Ansicht Kotowskis auch unter der Regentschaft Tusks weitergeführt werden dürfte. In sensiblen Fragen wie der Ostseepipeline oder dem Zentrum gegen Vertreibungen sei „immer noch eine unglaubliche Empfindlichkeit der polnischen Öffentlichkeit“ zu beobachten.

Die gemeinsame deutsch-polnische Erklärung vom 12. Juni bildete den Ausgangspunkt für eine kontroverse Debatte über die Zukunft der deutschen Volksgruppe in der Republik Polen. Während die Ministerialrätin im Bundesinnenministerium Maria Therese Müller die erfreulichen Aspekte der in mehrwöchigen Rundtischgesprächen ausgehandelten Erklärung hervorhob – namentlich die festgeschriebene stärkere Förderung von Einrichtungen der deutschen Minderheit, die in Aussicht gestellten Hilfen beim Ausbau des muttersprachlichen Unterrichts sowie die Aufarbeitung „undemokratischer Praktiken“ des kommunistischen Polens gegen die Deutschen – markierte der Beitrag von Tobias Norbert Körfer die Gegenposition. Der 1979 geborene neue Vorsitzende der Gesellschaft zur Unterstützung der Deutschen in den ehemaligen Ostgebieten „AGMO“, wetterte gegen die allgemeine „Jubelberichterstattung“ und den unverbindlichen Charakter der „Absichtserklärungen“.  Der aus einer oberschlesischen Familie stammende Körfer rückte die Problematik des (Wieder-)Erwerbs des Deutschen als Muttersprache in den Mittelpunkt seiner Analysen zur „Sprach- und Identitätsproblematik der deutschen Volksgruppe in der Republik Polen“ und erntete dafür viel Beifall. Es gab aber auch Kritik gerade von Kennern der Verhältnisse wegen der vorgetragenen „Maximalforderungen“ und eines bisweilen „aggressiven Tons“.

Zu Recht hob Körfer hervor, daß die Minderheit „institutionell zwar umfassend abgesichert“ sei, was aber nicht dazu führe, „die Sprach- und Identitätsproblematik zu klären“. Auf der Basis vertraglicher Zusicherungen des polnischen Staates müsse die Bundesrepublik im Zusammenwirken mit den örtlichen Vertretern der deutschen Volksgruppe deshalb schnell ein flächendeckendes Angebot an muttersprachlichen deutschen Schulen und Kindergärten in Trägerschaft der Minderheit durchsetzen. Doch dies werde, so der AGMO-Vorsitzende, von beiden Regierungen nicht angestrebt, deren Erfolge sich nur auf „schmerzfreie Zonen“ erstreckten. Der Ausbau bilingualer Bildungsstätten sowie die forcierte Einrichtung der sogenannten „Samstagsschulen“ seien völlig „unzureichende Konzepte“.

Diese Einschätzung wurde von mehreren Teilnehmern als „wirklichkeitsfern“ zurückgewiesen, da es bei einer kurzfristigen Bereitstellung flächendeckender muttersprachlicher Kindergärten und Schulen – selbst wenn die nötigen Gebäude und die erforderlichen Gelder vorhanden wären –  an geeigneten Lehrern und vor allem den nötigen Schülern mangeln würde. Daß eine Strategie, die die Folgen der jahrzehntelangen Zwangspolonisierung und die ohnehin schwierige Identitätslage im gemischtnationalen Oberschlesien außer Acht läßt, zum Scheitern verurteilt wäre, machte Bernard Gaida, der Vorsitzende des Verbandes der deutschen Gesellschaften in Polen (VdG), deutlich.

Er verteidigte in seinen Ausführungen „Zur aktuellen Situation der deutschen Volksgruppe in Polen“ die Notwendigkeit zweisprachiger Bildungsangebote für die nach eigener Schätzung über 300.000 Angehörigen seiner Volksgruppe, „denn Eltern müssen ihre Kinder auch zum Deutschunterricht schicken“. Trotz des bedauerlichen Fehlens eigener Schulen und Kindergärten seien Signale einer Öffnung der Berliner Politik für die Belange der Minderheit zu beobachten, was im Wortlaut der deutsch-polnischen Erklärung immerhin angedeutet würde. 

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