© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/11 29. Juli / 05. August 2011

„Ich glaube an meinen Traum“
Der Architekt Arthur Sarnitz will Königsberg wieder aufbauen: Im größten europäischen Projekt dieser Art soll die historische deutsche Altstadt auferstehen.
Moritz Schwarz

Herr Sarnitz, Sie wollen das alte Königsberg wieder aufbauen. Warum?

Sarnitz: Eine wunderbare Frage: Nun, davon träume ich schon seit mehr als 25 Jahren! Denn heute ist Königsberg eine Stadt ohne Herz. Nichts schlägt da in ihrem Inneren.

Eine historische deutsche Altstadt als Herz einer heute russischen Metropole?

Sarnitz: Es handelt sich hier nicht nur um schöne alte Häuser, sondern um eine großartige Geschichte. Für mich ist es absolut wichtig zu verstehen, woher man kommt. Ich kann einfach nicht akzeptieren, daß meine Vaterstadt angeblich nur eine so kurze Historie haben soll – ich meine, die wenigen Jahrzehnte seit Ende des Krieges. Ich bin in einem der alten deutschen Häuser geboren, die den Krieg überlebt haben. Das Treppenhaus, die Fassade, das Schindeldach, all das war um mich herum. So habe ich seit meiner Kindheit den Unterschied gesehen: mit wieviel Liebe, Talent und Sinn für das Praktische in Königsberg jahrhundertelang gebaut wurde. Mit Wehmut und blutendem Herzen beobachte ich seine Verwandlung, Verschwinden und sogar Tod. Was 1945 passiert, ist war eine absolute Katastrophe: Königsberg – das darf nicht für alle Zeiten nur das furchtbare Kapitel sein, das sich hier zu Kriegsende ereignet hat.

 Wie wird Königsberg aussehen, wenn Ihr Wiederaufbauprojekt tatsächlich verwirklicht werden sollte?

Sarnitz: Wir wollen den historischen Stadtkern, bestehend aus den Stadtteilen Altstadt, Löbenicht und dem Kneiphof, die fast vollständig zerstört wurden, wiederherstellen. Herz des Projektes ist dabei das alte Königsberger Schloß. Ich möchte, daß alles einmal so steht, wie es einst ausgesehen hat. Die Menschen sollen all das wieder sehen können! 

Wie groß ist die Chance, daß das Projekt jemals Wirklichkeit wird?

Sarnitz: Ich bin sicher, daß es zumindest auf die ein oder andere Art seine Realisierung findet. Allerdings wünsche ich mir, daß es nicht nur „irgendwie“, sondern möglichst historisch verwirklicht wird.

Was heißt das konkret? Ein Eins-zu-Eins-Wiederaufbau?

Sarnitz: Das ist sicher nicht möglich, denn wir müssen zum Beispiel auf die heutigen Verkehrsverhältnisse Rücksicht nehmen. Außerdem bin ich nicht verrückt und weiß, daß die Durchsetzung eines solchen Vorhabens immer auch eine Frage der Kompromißbereitschaft ist. Aber ich werde bei der Kompromißfindung in Sachen Authentizität so hart wie möglich sein. Die primitive Imitation eines abstrakten historisierenden Stils etwa wäre nicht akzeptabel, denn ich möchte nicht, daß es am Ende auf eine Art Disneyland hinausläuft. Sicher, innen werden die Bauten modern sein, aber außen ganz historisch. Was wir schaffen wollen, ist also ein Wiederaufbau so nah wie möglich am Alten. Die Stadt muß als das historische Königsberg wiedererkennbar sein. Ich sage, zu 95 Prozent sollte es am Ende mit Alt-Königsberg übereinstimmen, besonders in der Gegend um den Pregel.

Existiert dafür denn eine ausreichende Datengrundlage?

Sarnitz: Natürlich, die notwendige Suche nach historischem Material ist unser Problem. Aber es ist uns immerhin schon gelungen, auf Grundlage allen in der Region auffindbaren Materials das wir mühsam zusammengetragen haben, eine systematisierte Fotobasis von etwa zweihundert Gebäuden zusammenzustellen. Außerdem versuchen wir von den Erfahrungen mit anderen ähnlichen Projekten, wie in Dresden oder Danzig, zu lernen. Und wir wollen, um so originalgetreu wie möglich wiederaufzubauen, möglichst die gleichen Materialien und vielleicht sogar die gleichen Werkmethoden verwenden.

Um die Quellenlage zu verbessern, suchen Sie auch in Deutschland Archiv- und Museumsbestände sowie private Sammlungen.

Sarnitz: Je größer der Kreis der Unterstützer – auch in Deutschland, etwa an Architekten, Historikern, aber auch Landsmannschaften und anderen –, desto besser.

In Polen betrachtet man die Vertriebenen-Verbände oft ausgesprochen feindlich. Warum haben Sie diese unbefangene Einstellung gegenüber den Landsmannschaften?

Sarnitz: Ich möchte mit allen zusammenarbeiten, die an einer Annäherung interessiert sind. Dieses Projekt ist nicht nur ein architektonisches, sondern auch eines der Kooperation. Also reiche ich jedem Gutwilligen die Hand.

Haben Sie schon Kontakt mit der Landsmannschaft Ostpreußen aufgenommen?

Sarnitz: Nein, aber ich habe gute Kontakte etwa zu dem Kreis, der in Berlin das Stadtschloß wiederaufbauen will um  Herrn Wilhelm von Boddien. Er gab mir gute Ratschläge. Und auch zu anderen, etwa deutschen Architekten.

Erwarten Sie Unterstützung von der deutschen Regierung für Ihr Projekt?

Sarnitz: Nein. Sicher freuen wir uns über Unterstützung, und wir sind für Kooperation. Aber ich sage nicht: „Das ist ein deutsches Projekt.“ Wenn es denn ein öffentliches Projekt ist, dann eines der russischen Seite. Wenn ihr Deutschen uns helft, warum nicht, wir freuen uns. Aber das ist nicht, was wir verlangen oder wie wir das Projekt verstehen.

Immerhin geht es um deutsches Kulturgut.  Dennoch ist Ihr Projekt in Deutschland  kaum bekannt. Befremdet es Sie, daß sich die deutsche Regierung und die deutschen Medien offenbar kaum dafür interessieren?

Sarnitz: Ich empfinde von deutscher Seite nicht so ein Desinteresse, wie Sie unterstellen. Ich sagte ja eben, daß ich auch von Kollegen aus Deutschland Unterstützung erfahre. Überdies unterstützt uns Herr Horst Dühring, ein alter Königsberger mit einem großartigen Stadtmodell im Maßstab 1:200, das er in vielen Jahren angefertigt hat und das wir zu uns nach Königsberg holen durften, um es hier auszustellen. Ich finde, die Seele der Stadt lebt in diesem Modell weiter. 

Das Projekt findet zwar bei vielen russischen Bürgern großes Interesse, aber was denkt die Mehrheit der heutigen Königsberger darüber?

Sarnitz: Ich räume ein, die meisten meiner Freunde sind nicht solche Optimisten wie ich. Aber schon gibt es keinen Politiker mehr, der sagt, man dürfe so was nicht tun. Und wenn die erst den Film sehen, den wir über das Wiederaufbauprojekt gemacht haben, werden sie sagen: „Das ist weit interessanter, als die Stadt mit großen neuen Kästen vollzustellen.“ Wir alle hier in meinem Büro haben unser Herzblut in das Projekt gesteckt und wir hoffen, daß es am Ende die Menschen überzeugt.

Königsberg wurde auch deshalb so vollständig zerstört, um den Umstand, daß es ein den Deutschen gewaltsam geraubtes Beutegut ist, zu verleugnen. Wenn Sie die alte deutsche Stadt nun wiederaufbauen, wird das dann von vielen Russen nicht als Verrat am Sieg von 1945 empfunden?

Sarnitz: Für den Rest Rußlands ist das für mich schwer zu beurteilen. Aber diejenigen, die hier geboren sind, ficht diese Frage nicht an: Für sie ist selbstverständlich, daß Königsberg ihre Vaterstadt ist, weil sie von hier stammen.  

Dennoch, der Wiederaufbau der deutschen Stadt macht das Unrecht, das damals den Deutschen geschehen ist, wieder sichtbar.

Sarnitz: Verstehen Sie doch, ich möchte mit meinem Projekt den Krieg nicht fortsetzen, sondern ihn endlich beenden. In Köngisberg können wir alle Freunde sein. Diese Stadt steht nicht für Trennung, sondern hat eine viel längere Tradition im Zeichen der Kooperation zwischen dem Osten und dem Westen.

700 Jahre war Königsberg eine deutsche Stadt. Die Bevölkerung, die heute hier lebt, hat damit, hat mit der alten Bevölkerung vor 1945 nichts zu tun. Können Sie das einfach ignorieren?

Sarnitz: Nein, das ist richtig, man kann diese Tatsache nicht ignorieren. Und ich  hoffe, daß wir unsere Arbeit so gut machen, daß wir zumindest für einen Teil jener Bürger, die 1945 im Zuge dieses furchtbaren Krieges aus der Stadt vertrieben wurden, wieder anziehend wirken.  Ich würde es gerne sehen, daß auch sie wieder in unserem Königsberg leben. Und am Ende möchte ich ein Königsberg schaffen, das so attraktiv ist, daß es für Bürger aus ganz Europa und Rußland anziehend wirkt.

Was denken Sie über die Vertreibung der Deutschen 1945?

Sarnitz: Das war ein absolut schreckliches Ereignis. Wirklich sehr, sehr schlimm. Eine Katastrophe. Und ich bin sicher, wenn das nicht passiert wäre, wäre diese Stadt schon wieder aufgebaut.

Andererseits wären Sie ohne diese Vertreibung heute kein Königsberger, das muß Sie doch irritieren?

Sarnitz: Nein, das kann man so nicht sagen. Denn niemand weiß, was passiert wäre, wenn die Geschichte einen anderen Verlauf genommen hätte. Sehen Sie, mein Vater stammt aus Estland und vielleicht habe ich so auch Verbindungen zu Königsberg, ich meine schon aus der Zeit vor dem Krieg.

Tatsache ist doch, daß das Unrecht der Vertreibung Teil der Identität der russischen  Königsberger von heute ist.

Sarnitz: Wissen Sie, solche Fragen stehen für mich nicht im Vordergrund. Ist es eine deutsche Stadt oder nicht? Diese Frage mag sich für Russen stellen, die hier nicht geboren, sondern hierhergezogen sind: Wo sind sie hier? Sollen sie hierbleiben? Sollen sie hier ihre Kinder aufziehen? – Aber für mich ist das nicht entscheidend, weil ich weiß, daß dies meine Stadt ist: Denn ich bin hier geboren – Königsberg ist meine Vaterstadt und das ist es, was zählt! Und aus diesem Geist, aus dieser Liebe speist sich mein Projekt.

Es hat bereits Zusagen von russischen Politikern gegeben: Versprochen wurden umgerechnet fünfzig Millionen US-Dollar. Passiert ist aber noch nichts. Glauben Sie noch an die Politik?

Sarnitz: Ich glaube vor allem, daß wir alles getan haben, was unter diesen Bedingungen in unseren Kräften stand. Ohne zu übertreiben, hier geht es um die Realisierung eines der größten Projekte dieser Art in ganz Europa. Und um Ihre Frage zu beantworten: Ich glaube an meinen Traum!

 

Arthur Sarnitz wurde 1966 in Kaliningrad, dem ehemals deutschen Königsberg geboren. Seit sechs Jahren treibt der Architekt die Planungen für sein Wiederaufbau-Projekt „Altstadt“ mit Hilfe seines 15köpfigen Büros (Logo rechts) und eigenen finanziellen Mitteln voran. „Sollte er Erfolg haben, wäre es das größte städtische Rekonstruktionsprojekt einer deutschen Altstadt der Vorkriegszeit überhaupt“, urteilt der Architekturkritiker Dankwart Guratzsch. Von den polnischen Wiederaufbauprojekten unterscheide es sich zudem „fundamental“, insofern als in den von Polen annektierten deutschen Ostgebieten vor allem solche Städte rekonstruiert wurden, auf deren polnische Wurzeln man Anspruch erhob: „Der Wiederaufbau einer ganzen deutschen Altstadt dagegen wäre einzigartig in Europa“, so Guratzsch. Ob, wann und wie das Projekt tatsächlich verwirklicht wird, ist noch offen. www.altstadt.ru

Foto: „Kneiphof“ (Gebiet um den erhaltenen Dom) vor 1945, heute und Wiederaufbau-Entwurf: „Seit meiner Kindheit sehe ich, mit wieviel Liebe, Talent und praktischem Sinn in Königsberg jahrhundertelang gebaut wurde“

 

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